Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Song zum Sonntag: Magnetic Fields"

Boris Jordan

Maßgebliche Musiken, merkwürdige Bücher und mühevolle Spiele - nutzloses Wissen für ermattete Bildungsbürger.

7. 3. 2010 - 13:09

Song zum Sonntag: Magnetic Fields

Blindarmentfernung ohne Narkose: You Must Be Out Of Your Mind

Diese Beziehung ist wohl zu Ende. Warum sollte ich mit ihm reden wollen, nur weil er glaubt ich könnte es nicht mehr erwarten, zu ihm zurück zu rennen. Er will nur das wieder einschalten, was er selbst ausgeknipst hat. Der spinnt. Den zurückzubekommen brauche ich ungefähr so nötig, wie eine Blinddarmentfernung ohne Narkose. So viel will ich gar nicht mehr saufen, dass ich sein Gerede geistreich finden würde. Der spinnt. Wenn er glaubt, dass er die Vergangenheit einfach zurückdrehen kann, auf "zurückspulen" schalten, dann ist er übergeschnappt. Der spinnt.

freewebs.com

Diese Lyrics: "Der Erste, der Herz auf Schmerz gereimt hat, war ein Genie, der Zweite ein Idiot", soll Peter Rühmkorf gesagt haben. Hier reimen sich "rewind" auf "behind", "scandalous" auf "santa claus", "back to me" auf "appendectomy", "down on your knees , yeah" auf "anesthesia" und "pretty" auf "witty". Ich kann hier nur Ersteren erkennen.

you think I'll run not walk to you
why would I want to talk to you
I want you crawling back to me
down on your knees yeah
like an appendectomy
sans anaesthesia

if you think you can leave the past behind
you must be out of your mind
if you think you can simply press rewind
you must be out of your mind, son
you must be out of your mind

you want what you turned off, turned on
you call it sunset, now it's dawn
you can't go 'round just saying stuff
because it's pretty
and I no longer drink enough
to think you're witty

if you think you can leave the past behind ...

you want to kindle that old flame
I don't remember your real name
it must be something scandalous
lurks in your shadows
if you need a santa claus
to buy your gallows

if you think you can leave the past behind ...

You Must Be Out Of Your Mind zum Nachören

Die Magnetic Fields zuhause

Thomas Kramar über "You Must Be Out Of Your Mind"

pitchfork.com

Nachdem er seine Band, nach einem mutmaßlich in der Technik der Litterature automatique verfassten Buch benannt, schon selten in Pop-Zusammenhängen verwendete Figuren (Ferdinand de Saussure, Busby Berkeley, Paul Bunyan) in seine Songs eingebaut, in den "69 Love Songs" - wahrscheinlich dem Pop Meisterwerk der letzten 10 Jahre - zu jedem musikalischen Genre (außer Hardrock) zugleich einen Klassiker und die Parodie darauf verfasst hat, setzt Stephin Merrit, der gehörgeschädigte Exzentriker, der Ukulelespieler, der berückendste Grummelsänger seit Beat Happenings Calvin Johnston, sein Vorhaben fort, seine Schreibkunst in jedes erdenkliche konzeptionell- künstlerische Format einzufügen.

images.publicradio.org

"Realism" ist das dritte von drei Konzeptalben ohne Zuhilfenahme von Computern oder Synthesizern (die in den Liner Notes zu "69 Love Songs" noch liebevoll als verschiedene Instrumente aufgezählt worden waren), diesmal auch weitgehend ohne Percussion. Nach einer Platte, deren sämtliche Songs mit "i" beginnen, und einer Nachstellung von Jesus & Mary Chains "Psychocandy", ist "Realism" nun Stephin Meritts "Folk Album". Folk im Sinn von naiv und weltläufig zugleich.

Der Song zum Sonntag ist eine Kooperation zwischen FM4 und der Presse am Sonntag und erscheint hier wie dort, wo sich der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar der Kolumne annimmt.

Die Platte als ein Ort, an dem Songs klingen, wie direkt aus dem Field Recrdings-Katalog des Smithsonian-Institutes entnommen, die es dann doch nicht auf den Soundtrack von "O Brother, Where Art thou" geschafft haben, neben Kunstliedern, in der Merrits Ukulele und eine Harfe sich so geschickt bei Schubert und Rodgers/ Hart bedienen, dass man am Ende wieder nicht weiß, ob sie Parodien auf ihr eigenes Genre oder die Höhepunkte dessen sind.

Sollte irgendjemand die Idee gut finden, dass das "Musical" Genre zum ersten Mal, seit das Brill Building verlassen wurde, wieder geistreich und tiefgehend sein könnte - ruft Stephin Merritt an - er spielt dieses "Liebe/ Hass"-Rettungsspiel mit abgegriffenen musikalischen Formen seit 15 Jahren virtuos wie niemand sonst.