Erstellt am: 26. 2. 2010 - 00:44 Uhr
The forces of hell
Ich hatte mir meinen Alpinurlaub samt Magenverstimmung (gut, niemand hatte mich gezwungen, Kasnudeln zu bestellen) ehrlich verdient. Beim Heimfahren hatte ich dann Stunden auf österreichischen, deutschen und französischen Autobahnen damit verbracht, die Psychologie des Rücklichts empirisch zu erforschen.
Bin dabei aber nicht wirklich über die eh auf der Hand liegende Erkenntnis hinausgekommen, dass man sich vor diesen Audis mit den böse aussehenden LED-Leuchten in Acht nehmen sollte.
Und dann komm ich an auf dieser Insel, wo sie sich wo-chen-lang nur über das bisschen Schnee beschwert hatten, die Straßen zerfließen förmlich im Regen, die Fontänen meiner Vorderreifen steigen hausdachhoch, und alle tun so, als wär das nun völlig unbedenklich.
Während ich also darüber reflektiere, dass des einen Unwetter des anderen Normalität ist, drehe ich am Autoradio herum. Es stellt sich heraus, die Geschichte der Woche in diesem Land ist die Frage, ob der Regierungschef ein „bully“ sei.
Vielleicht sollte ich erklären, was die meisten wahrscheinlich eh schon wissen: Es gibt kein Mobbing in Großbritannien. Zumindest nicht, seit Popbands nicht mehr die nötige gesellschaftliche Bedeutung genießen, um gemobbt, sprich von hysterischen Herden erdrückt zu werden.
Die Royal Society for the Protection of Birds definiert Mobbing dagegen als a noisy, obvious form of behaviour that birds engage in to defend themselves or their offspring from predators.
Das, was sie im deutschsprachigen Raum und offenbar auch in Amerika Mobbing nennen, heißt hier jedenfalls „bullying“. Und die Geschichte des „bully“ Gordon Brown geht ungefähr so:
Christine Pratt, die Chefin einer Anti-Bullying-Hotline ging mit der Enthüllung an die Öffentlichkeit, dass verschreckte MitarbeiterInnen von Gordon Browns Downing Street bei ihrer Organisation Hilfe gesucht hätten. Sie nannte keine Namen, wurde aber trotzdem nicht zu Unrecht postwendend des Vertrauensbruchs bezichtigt. Indessen häuften sich die bestätigten Aussagen diverser Ex-Kollegen Gordon Browns, wonach der während seiner Schreianfälle gern mit Heftklammermaschinen, Cola-Dosen und Akten um sich werfe. Und wenig später melden sich Labour-Leute, die zugeben, die Anti-Bullying-Helpline angerufen und dabei von der Chefin an die von ihrem Mann geführte psychologischen Beratungsfirma vermittelt worden zu sein.

Viking
Innerhalb der ersten 12 Stunden seit Pratts erster Wortmeldung hatte sich die Story also bereits um die eigene Achse gedreht, die Anklägerin war zur Angeklagten mutiert, und wer auch nur eine Episode der seit Jahren härtesten britischen Polit-Satire The Thick of It gesehen hat, kann sich ungefähr vorstellen, wie es dabei hinter den Kulissen zugehen mag.
Browns eigentlicher Intimfeind, Zweckkumpane und Oberscherge Lord Mandelson sprach schließlich das klassische Machtwort des Bully, indem er mit dem Zeigefinger aufs Rednerpult klopfend klarstellte, dass es in dieser Regierung aus Prinzip kein Bullying gäbe. Er bezichtigte Pratt parteipolitischer Interessen, die sie natürlich leugnet, obwohl es eigentlich schon ein bisschen eigenartig anmutet, dass die Homepage ihrer National Bullying Helpline ausgerechnet ein Zitat des Konservativenchefs David Cameron ziert.
Nicht weniger interessant ist die Figur des schon allein für seine knallroten Socken legendären Journalisten Andrew Rawnsley, der in seinem am Montag erscheinenden Buch The End of the Party unter anderem enthüllt, Brown habe Blair wegen seiner Ränkespiele des „fucking Trotskyism“ bezichtigt und ihn in einer Konfrontation vor seiner Machtübernahme wiederholt angeschrien: „You ruined my life.“
Ich muss zugeben, dass es mir perversen Spaß bereitet, dieses Zeug zu lesen. Es gibt so offensichtlich keine Guten in dieser ganzen Posse, dass es befriedigend gerecht erscheint, wenn sie sich wenigstens gegenseitig das Leben zur Hölle machen - nicht meine Worte, sondern die des Schatzkanzlers Alastair Darling, der neulich in einem Interview mit Sky News in einem Nebensatz durchklingen ließ, die Downing Street habe die „forces of hell“ auf ihn losgelassen, nachdem er 2008 die britische Rezession als die schwerste seit 60 Jahren bezeichnet hatte.
Ein erstaunliches Statement, selbst für ein Regierungsmitglied, das die spätestens am 3. Juni abzuhaltenden Unterhauswahlen sicher nicht im Amt überleben wird, egal wie sie ausgehen. Aber nichts daran, was Darling über die "Kräfte der Hölle" sagt, sollte überraschen.
Die PolitikerInnen - und sonstigen Führungskräfte - dieses Landes wurden schließlich überwiegend in privaten Boarding Schools großgezogen, die ihre Eleven systematisch dazu ermuntern, untereinander Hierarchien zu bilden und sich in den Schlafsälen und auf den Rugby-Feldern gegenseitig fertig zu machen, um für den Überlebenskampf da draußen gerüstet zu sein.
Darin liegt doch der ganze Sinn des einst als Ausbildungsstätte der künftigen Offizierskaste entworfenen Public School-Systems. Diese gern verborgene raue Unterseite des scheinbar so zivilisierten Schliffs ist wesentlicher Teil des Programms. Die britische Elite ist auf Bullying gebaut, sie ist ein ewiges Schlachtfeld in ihrer geraubten Jugend traumatisierter Neurotiker, die glauben, zum Führen geboren zu sein.
"Who do you think is better than me? Do you think there is anyone who is better than me?", soll Brown Blair entgegengebrüllt haben.
In der blauäugigen Annahme, dass es in den Büros dieser Leute irgendwie anders zugehen könnte als von Rawnsley geschildert, liegt also die eigentliche Heuchelei der ganzen Aufregung.