Erstellt am: 9. 3. 2010 - 17:56 Uhr
Klaut, wenn nötig!
"Klaut, wenn nötig". Diese Aufforderung könnte aus dem Slogan-verliebten Hause Tocotronic stammen. Die Band ist kürzlich unaufgefordert Helene Hegemann zur Seite gesprungen und erkennt ihr den "'Macht es nicht selbst-Award'" zu mit den Worten: "Halt stand! Bald werden die ehrbaren Ehrlichkeitsspießer endlich schweigen!"
Ob Juan Carlos Onetti ein ehrbarer Ehrlichkeitsspießer war? Wahrscheinlich genau so wenig, wie Helene Hegemann diesen Beistand Not hat. Der uruguayische Schriftsteller Onetti riet jungen KollegInnen: "Verschmäht nicht Themen mit sonderbarer Erzählweise, egal welchen Ursprungs. Klaut, wenn nötig." Die Anthologie "Covering Onetti" nahm Onetti beim Wort und elf junge AutorInnen machten sich über vier seiner Erzählungen her.
Wer war dieser Onetti? 1994 in Madrid verstorben und geboren 1909 in Montevideo, gilt heute als Wegbereiter der neuen lateinamerikanischen Literatur.
Nora Bossong, Jörg Albrecht oder Gerhild Steinbuch plündern dabei vier Erzählungen, greifen einzelne Motive auf, verschieben Perspektiven und machen Nebenfiguren zu Hauptakteuren. Die von den Vorlagen inspirierten Geschichten lassen sich nicht als Fan-Art abheften, Pastiche ist nur ein Stilmittel von vielen, die zum Einsatz kamen.
Vom Plagiatsvorwurf haben sie die Herausgeber von vornherein freigespielt: die Anthologie ist als Hommage an Onetti entstanden, dessen literarische Welt zugleich eine erste und vielversprechende Entdeckung im Buch ist. Düster und egoistisch geht es in dieser Welt zu - wie sich bereits in den vier in "Covering Onetti" abgedruckten Erzählungen des Autors darstelllt - derb mitunter und einer bewegt sich sehr oft nah am Abgrund, während junge Ex-Frauen sich in der Rache versuchen oder Priester von Inzest unterrichtet werden. Und etwas lässt sich stets erst nur erahnen, bevor es mit kühlen Worten zur Gewissheit wird. An dieser Stimmung der Originale haben sich auch die versammelten Erzählungen der jungen deutschprachigen Autoren orientiert.
Panik in den Raum schießen
Anerkennung fand der Autor Onetti erst in späten Lebensjahren, 1980 wurde er mit dem Cervantespreis ausgezeichnet, dem wichtigsten Literaturpreis der Spanisch sprechenden Welt. Die Militärdiktatur unter Präsident Juan María Bordaberry, der selbst 1976 vom Militär abgesetzt wurde, trieb Onetti in den Siebziger Jahren ins Exil nach Spanien.
Es beginnt mit einem Abschied, einem inszenierten noch dazu: in Onettis Erzählung "Montaigne" wohnen Freunde und Liebhaberinnen dem Selbstmord eines Freundes bei. Geladen zu einem Fest, das die Eingeladenen für einen "exhibitionistischen Jux" hielten. "Ich näherte mich ihm, um den Ablauf zu beobachten. Meine Schultern trennten mich von der Gruppe, ich hörte die Schreie, die vorausgeahnten und unvermeidlichen Worte: "Krankenwagen Arzt Polizei Magenspülung vielleicht." Ich fühlte unserem Charlie den Puls. Sehr schwach, in großen Abständen." Noch ehe der Tote seine Körperwärme verloren hat, werden die Freunde die Wohnung verlassen haben. Ohne die Rettung zu rufen.
"Irgendeine Geschichte muss das doch können: Panik in den Raum schießen, schöne Panik, die alllen hilft, außer sich zu sein, momentlang", wünscht sich Jörg Albrecht in "broken powers", seinem Cover von Onettis "Montaigne". Schöne Panik findet sich in den Coverversionen, von denen sich keine mit einem dem Original folgenden Nacherzählen begnügt.

copy & waste
Jörg Albrecht ist wie Christian Winkler oder Sophie Reyer einer der derzeitigen AutorInnen des uniT-Lehrganges Szenisches Schreiben.
Jörg Albrecht verlegt das angekündigte Abschiednehmen aus "Montaigne" vor Webcams, vor denen sich ein entlassener Filmbranche-Angestellter "wegsprengen" und zuvor noch Bill Murrays Gesichtszüge beherrschen möchte. In Onettis Erzählung steht dem Toten der Mund grotesk offen, bei Albrecht wird aus dem Detail eine weitere Hommage - an Murray: "Das Gesicht von Bill Murray als Nichtspielhaus, eine verwinkelte Architektur, in der es kein Charakter, von Scriptwritern geschaffen, schafft, mir vorzuspielen, wer er ist, so verwinkelt, dieses Haus, dass ich endlich meine Liebe zu dir ausdrücken kann, mit einem Gesicht völlig ohne Ausdruck, eine Liebe zwischen uns, die niemand sieht, die für niemanden stattfindet (...)." Remixe und Remakes finden sich in der Literatur, doch als wäre es nicht genug, auf das Fehlen literarischer Begriffe dafür und ihrer Abgrenzungen hinzuweisen, mischt sich mit Film noch ein anderes Medium in die Erzählungen von Jörg Albrecht und Georg Leß ("Der Glasstall - Actionszenen unter Bäumen") ein, der eifrig weitere Textpassagen aus Spielfilmen und Zeitungen zu Onetti-Referenzen montiert.
Täglich grüßt das Maultier

Verlag Lettrétage
Bei all diesen Analogien drängen sich Vergleiche förmlich auf, die Sammlung ist ein literarisches Suchbild und nur auf wenigen Seiten ein enervierendes Hütchenspiel. Wie ein Spürhund in polizeilicher Ausbildung stößt man auf gelungene Passagen. Diese Metapher des gejagten Tieres für die fremde Wut im Bauch, geduckt "Schnurrbart und Schnauze, die Pfoten" bewegend, aus Onettis "Das so gefürchtete Inferno", das hat doch bestimmt jemand aufgegriffen? Klar, und nicht nur einer der jungen deutschsprachigen Autoren.
Dennoch begegnet man nicht viermal demselben Maultier in vier aufeinanderfolgenden Um- und Weiterschreibungen ein- und derselben Erzählung und Querlesen macht Spaß. Auch copy&paste-Passagen wie "Hi. This is the qmail-send program" im Fall des improvisationserfahrenen Philip Maroldt stören nicht. Die Dosis macht das Gift. Carl Juan Onettis literarische Welt betritt man ohnedies lieber langsam und in bedachten Schritten.
"Covering Onetti", herausgegeben von Katherina Deloglu und Moritz Malsch ist im Verlag Lettrétage erschienen.