Erstellt am: 24. 2. 2010 - 11:04 Uhr
Pullover für Hose, Rock für Bluse

Radio FM4
In den Montagvormittagstunden füllte sich der erste Kleiderständer im Grazer Kunstverein <rotor>. Von der Sonne sollte man sich noch nicht täuschen lassen und die Pullover in Griffweite behalten, doch quillt der Kleiderschrank über, ist diese Woche ein guter Zeitpunkt, um endlich auszumustern. Jene schönen Stücke, die zu klein, zu sehr im falschen Grün gehalten oder aus einem Haben-Muss!-Impuls heraus gekauft wurden und ihr Dasein auf Kleiderbügeln fristen, könnten doch jemand anderem passen. Ab damit zu "Clothes Swapping".
Am 27. Februar laden Alexandra Pötz und Evelina Lundqvist zum öffentlichen Kleidertausch in Graz ein. Bis inklusive Freitag kann man Designerkleidung für ihr "Clothes Swapping" bei <rotor> abgeben. Diesen Samstag darf man sich dafür ein oder mehrere Kleidungsstücke anderer Menschen aussuchen. Ich stelle mir das ein bisschen so vor wie in "1, 2 oder 3", wo die teilnehmenden Kinder am Ende immer auf diese Konsumwand zuliefen und sich etwas auswählen durften für ihre erspielten Punkte. Überforderung deluxe. Damit sind wir mitten im Gewühl, denn auch bei Clothes Swapping bekommt man Bons für die abgegebene Kleidung: die Designerin Alexandra Pötz möchte den lustigen Kleidertausch nicht einzig aus modeverliebten Gründen, auf vergnügliche Weise an möglicherweise Vintage-Yamamoto-Stücke zu kommen, organisiert verstanden wissen. Ihr geht es auch um Ressourcenschonung. Statt sich den nächsten Pullover zu kaufen, sollte man lieber mal tauschen.
Swishing for the best
Das Kleidertauschen in größerer Runde hat die Britin Lucy Shea "Swishing" benannt.
Neu ist die Idee des Kleidertauschs keineswegs, im Freundeskreis hat Alexandra Pötz bereits private Parties gegeben, und in Städten wie Berlin und London wandern Pullover, Hosen und Schuhe seit zwei Jahren durch "Swishing" von einem Haushalt in den nächsten. Eigene Communities sind entstanden, "mit coolen Parties, mit voll coolen Mädels und Frauen, wo du merkst, sie sind sehr gestylt", wie Pötz bestätigen kann. Wer sich jetzt denkt: "ein Haufen Hipster!", der sollte mitmachen. Die Vorgabe Designerkleidung ist dehnbar, von internationalen Marken zu Stücken heimischer ModemacherInnen. Das Sortiment bestimmen alle Teilnehmenden, diese Dynamik birgt zugleich das größte Risiko.

Una Stade
Dass Tauschen den nur dezent verlangsamten Konsumpuls trifft und die wieder wachsende Beliebtheit bargeldlosen Handels mit der wirtschaftlichen Situation zusammenhängt, denkt Alexandra Pötz nicht. "Das hat mit einer Einstellung zu tun. Mehr Menschen entwickeln ein Bewusstsein der Erde gegenüber". Das glaubt sie wirklich? "Ja, ich habe viel mit Leuten zu tun, die ökologisch leben", sagt die Modemacherin und Mutter von fünfjährigen Zwillingen. Wie ernst man es damit nimmt, zeigt sich schon beim Mülltrennen. "Ja, machst du das nicht?!", fragt die 32-Jährige.
In der Hauptschule schneiderte Alexandra Pötz silberne Leggins, wenn die Aufgabe Hosennähen lautete. Aus "glitschigen Horrorstoffen", die sie heute nicht mehr verwenden würde.
Pötz betreibt das Label ap_moDE.SIGN, zuletzt entwarf sie Shirts und Etuis für Andy Wolf Brillen und arbeitete mit Barbara Koszednar von "anzüglich" und dem Kubaner Hamlet Lavastida Cordovi , der Propaganda-Texte eins zu eins für seine Kunst verwendet.
In der Mülltonne in meinem Wohnhaus liegen jede Woche Weinflaschen und Konservendosen. Einzig biologische und fair gehandelte Mode zu kaufen, schafft Designerin Alexandra Pötz noch nicht. Über manche Tatsachen wie Röcke um zehn Euro dürfe sie aber gar nicht nachdenken, sonst rege sie sich zu sehr auf. Dem Preisdumping bei Textilien setzen sie und Evelina Lundqvist das Clothes Swapping entgegen.
So ein eingenähtes Label-Etikett sagt natürlich noch gar nichts darüber aus, wie denn das Kleidungsstück beschaffen ist (geschweige denn über die Produktionsbedingungen). Das kennt man ja: Eine Jacke, die genau den Schnitt hat, den man schon lange sucht, aber die insgesamt etwas farblos aussieht.
Darum erweitern die Schwedin Evelina Lundqvist und Alexandra Pötz ihr Tausch-Angebot um sogenannte "Recreate-Stationen": Die neu erworbenen Stücke aus zweiter Hand kann man sich gleich an Ort und Stelle verändern lassen. Mit einer Schlange aus Knöpfen, mit Siebdruck oder Applikationen. Das T-Shirt-Label zerum steht mit Druckutensilien bereit, bertl Handarbeit und Randkunst oder auch der Grazer Palo Alto bieten ebenso ihre Dienste an wie Asatrjan Marianna mit feinen Stickereien.

Radio FM4
Design und sein Wert
So nebenbei soll bei den Recreate-Plätzen eine Statistik zur Wertigkeit von Design entstehen, denn dazu gibt es in erster Linie Hypothesen. Bei den Recreate-Angeboten wird im Gegensatz zum Tausch Bargeld fließen. Wieviel man bereit ist, für das Design und wieviel für die handwerkliche Arbeit zu zahlen, wird in einer Tabelle festgehalten. Klingt ein wenig kompliziert, doch die kleine Feldforschung macht durchaus Sinn, um zu sehen, wo die Wertigkeiten liegen und ob es denn überhaupt welche gibt. Das interessiert Alexandra Pötz, die in Designveranstaltungen wie die das Grazer Festival "Assembly" involviert war, zutiefst.
Clothes Swapping*: Kleidung abgeben bis 26. Februar, 9 - 18 Uhr, Swapping und Recreate am 27. Februar, 10 - 22 Uhr, <rotor>, Volksgartenstraße 6a, 8020 Graz.
Wird Swishing bzw. Swapping der neue Privatflohmarkt? Vor dem System Wühlmaus muss man sich jedenfalls nicht abschrecken lassen: Das kommt beim Clothes Swapping gar nicht erst zum Einsatz. In Graz wird im Gegensatz zu mancher Swishing-Einladung andernorts alles ordentlich gehängt, in einem Innenstadtlokal, wo seit November jeden Dienstag zum Tauschrausch gebeten wird, ebenso wie beim kommenden "Clothes Swapping".