Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Olympia-Log: Vancouver 2010, Tag 8."

Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

20. 2. 2010 - 23:39

Olympia-Log: Vancouver 2010, Tag 8.

Rituelles Flagellantentum im Wintersport-Ausbildungs-Dorado. Oder: Was in Österreich bei Todesstrafe verboten ist. Oder: Wer glaubt, dass er ein Lulu ist, wird tatsächlich eines.

Auf einen Blick: Olympia auf fm4.orf.at, alles aus Vancouver auf orf.at und das Olympia-Log.

Es gibt eine These, die das an rituelle Selbstgeißelung gemahnende und eigentlich komplett absurd anmutende Gezeter über die ausbleibenden Olympia-Erfolge der selbsternannten Wintersport-Supermacht Österreich erklärt.

Wenn sich eine kleine Nation wie Österreich aufgrund jüngerer historischer Probleme und einer kollektiven Unfähigkeit zu deren Aufarbeitung in seine Folklore flüchtet und zugeschriebene Klischees ernstnimmt und auch noch weiterentwickelt, um daraus sowas wie eine nationale Identität zu stricken, dann ist die auf dünnem Eis gebaut.

Kanada etwa kann recht klar sagen, wofür es steht, was es ist: Shane Koyczan hat in seinem ceremony poem anlässlich der Eröffnung auf berührende Weise, mit offenen und durchaus pathetischen Worten und Begrifflichkeiten das definiert, was dieses "Kanadisch-Sein" ausmacht.

Das hat damit zu tun, dass man dort keine Angst vor Risiko, Intellekt und echtem Gefühl hat - also genau den drei Zutaten, die in Österreich bei Todesstrafe verboten sind, von der unheiligen Koalition aus reaktionärer Bewahrungsfurcht, xenophober Befruchtungspanik und diskursfeindlicher Evolutionsangst.

Problem 1: Österreich definiert sich übers gute Skifahren

Österreich kann nicht sagen, was es ist, weshalb es glaubt, sich über das weltbeste Skifahren definieren zu müssen.
Daraus hat sich (im Verbund mit der Entwicklung des alpinen Wintertourismus und im vor allem den ländlichen Raum beherrschenden Untertanengeist nach kirchlichem Vorbild) eine recht clever aufgestellte Ökonomie entwickelt, letztlich das, was sich Franz "Riedelglas" Morak immer als Vorbild für die anderen creative industries des Landes vorgestellt hat.

Diese Industrie exportiert: Österreich etwa wintersportliches Know-How und Ausbildung. Das beginnt beim Material, geht über die personellen Ressourcen der Experten bis hin zur technischen oder psychologischen Innovation. Immer dann, wenn die Österreicher Rezepte der anderen nachkochen wollten (wie etwa die Ausdauer-Sportler auf der Loipe im Fall von Blutdoping) seppelte man hinterdrein, in anderen Bereichen, wo man sich selber was einfallen ließ, ist man seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten tatsächlich weit vorne.

Im Skispringen, wo seit der Preiml-Revolution im Mentalbereich in den 70ern und wegen der Innauer-Kontinuität der Gegenwart die Österreicher echter Innovationsführer sind und selbst von den direkten Konkurrenten, den Finnen, Deutschen, Norwegern oder zuletzt eben Schweizern immer als Maßstab gesehen und respektiert werden.

Problem 2: Österreich lebt in ständiger Angst um die Vormacht.

Und im Alpin-Ski-Bereich, wo vor allem die Strukturen des ÖSV, sein Selektions-, Trainingsaufbau, Ausbildungs- und Trainer-System weltweit kopiert werden. Und auch hier sind Deutsche, Schweizer, Italiener, Amerikaner, Kanadier, Schweden, Norweger oder Franzosen allesamt Konkurrenten, die diese innovative Vormacht-Stellung respektieren.

Anderswo würde man mit dem Respekt, der einem da weltweit entgegengebracht wird, gelassen umgehen. Anschaulichstes Beispiel dessen, wie man die Achtung anderer in sein Selbstbild integriert, bieten sowieso (und auf allen Linien) die USA: dort ernährt man sich davon und integriert auch noch die Furcht.

Da Österreichs nationale Identität aber eben (leider) ausschließlich am kargen Gut der großen Ski-Nation hängt, wird jede kleine Änderung an diesem Status als fast schon kriegerische Bedrohung angesehen.
Und deshalb kommt es zum Flagellantentum, wenn es nicht komplett rund läuft, wenn es etwa bei einer WM oder Olympia nicht Medaillen in diesen zentralen Disziplinen regnet.

"Man" ist dann gleich weniger wert, "Wir" sind dann - weltachtungstechnisch - plötzlich die Lulus.

Problem 3: Österreich inszeniert sich als unsympathisches Lulu

Glaubt die besorgte, vom entsprechenden Medienfeuer angeheizte öffentliche Meinung. Es ist zwar nicht so, aber weil sich unsere Wahrnehmung über diese Ängste so sehr verkrampft und also auch auf die Leistungen der Verbände, Trainer und Athleten auswirkt, kommen unsere öffentlichen Auftritte dann so daneben rüber, dass "die anderen" dann tatsächlich beginnen die Lulus, für die "wir" "uns" halten, auch zu sehen.

Österreichs krampft seinen Wintersport - vor lauter Angst das "Einzige" zu verlieren - so ein, dass der dann ein jammerndes Bild abgibt; und unsympathisch daherkommt.

Unsympathisch kommt es daher, dass der ÖSV Simion Amanns Ski-Bindung anmahnt - da wird Österreichs Wintersport schnell zum Gespött des Rests der Welt. Denn diese Aktion sagt: Da seiert die dominierende Nation, die seit Jahren dauernd technische Tricks anwendet und allen die lange Nase zeigt, peinlich herum, wenn einmal die anderen sowas auch machen. Schlechte Verlierer, diese Österreicher.

Unsympathisch ist es auch, wenn man anderswo mitbekommt, dass man sich intern zerfleischt und mit todernster Miene Weltuntergangs-Szenarios abspult, wenn kein Speed-Gold eingefahren wird – weil das (zurecht) als Missachtung der Konkurrenz ausgelegt wird; als wäre das ein Erbrecht.

Problem 4: Österreich hat sich in einem Konstrukt verloren

Wenn man dann auch noch in Betracht zieht, dass sich fast die gesamte Alpin- und Sprungwelt österreichischer Trainer, österreichischen Materials oder Wissens bedient, und damit den Anschluss halten kann, dann ist das Gezeter der Österreicher auch erschreckend isolationistisch und sehr wenig von globalem Geist durchweht. Das kommt einfach nicht gut rüber. Und das bringt ökonomisch und touristisch auch eher einen Backlash.

Wie so oft hat das Elend, hat das Problem Österreichs mit seiner überzogenen Selbstsicht im Wintersport damit zu tun, dass sich hier über Jahre ein Konstrukt etabliert hat, das zwar unsäglich, dümmlich und daneben ist, aber trotzdem von allen kritiklos angebetet wird, als wär's das Goldene Kalb. Der Kampf um eine neue, oder zumindest halbwegs realistische Sicht auf die Dinge, auf sich selbst, würde aber eben eine Beschäftigung mit dem schlimmsten No-Go des Landes (die sinnhafte Definition der eigenen Identität) bedeuten.
Damit ist nicht zu rechnen, nicht einmal mittel- oder langfristig.
Weshalb uns jeden Winter wieder dasselbe öde Flagellantentum, die selbe öde Selbstdarstellung als Lulu und dasselbe unsympathische Auftreten bevorsteht. Auch ohne Olympia.