Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Berlin im ewigen Eis"

Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

20. 2. 2010 - 11:01

Berlin im ewigen Eis

Es ist ja einiges los zur Zeit: Die Berlinale, die Sache mit den Steuer-CDs, Olympia, unser durchgeknallter Außenminister - aber kein Thema hat die Berliner in den letzten Wochen mehr beschäftigt als das Eis, der Glättenotstand, die Katastrophe.

Auch Besucher aus Süddeutschland und Österreich wunderten sich: "Bei euch wird ja gar nicht geräumt!" Tatsächlich fühlte sich hier wochenlang keiner für Schnee und Eis verantwortlich.

So entstand seit Silvester eine Schicht aus mehrfach überfrorenem und festgestampftem Schnee, die vergletscherten Gehwege kalbten immer wieder aufs Neue, Tausende von Fußabdrücken wurden in Schnee und Matsch getreten, als die noch weich waren, dann aber froren die Abdrücke zu extrem hartem Eis, eine tückische und effektive Falle für Knöchel und Gelenke! Seit Wochen verlassen ältere und gehbehinderte Menschen ihre Wohnung nicht mehr und in den Notaufnahmen der Krankenhäuser wurden täglich über 100 komplizierte Knochenbrüche eingeliefert. Da gingen die Behörden langsam an die Fehlersuche. Fazit: Es liegt an der Zuständigkeit. Eigentlich müssen die Hausbesitzer räumen, nicht die Stadt.

Schneeschaufelnder Mann, völlig verschneite Autos

Christiane Rösinger

Heldenhafte Eigeninitiative: Mann mit Schneeschaufel
Zwei ältere Menschen auf verschneitem Gehweg

Christiane Rösinger

Viele ältere Menschen trauen sich seit Wochen nicht auf die Straße, Lieferservice haben Hochkonjunktur.

Den guten alten Hausmeister aber gibt es nicht mehr, er heißt jetzt Facility Manager, betreut Hunderte von Mietshäusern und hat in den meisten Fällen den Schneeräumdienst an eine Billigfirma outgesourct. Deren Preise und Personal sind für milde Winter kalkuliert, sie kommen nicht nach. So wurde der mediale Eisnotstand ausgerufen: Sondersendungen, Beschwerdetelefone, Expertenbefragung.

Claus Peymann, Chef des Berliner Ensembles, forderte den Einsatz von Bundeswehr und "Hartz-4-Leuten", um das Theaterpublikum vor dem Ausrutschen zu bewahren.

"Alles Heulsusen! Einfach selber mal die Schaufel in die Hand nehmen!", erklärte hingegen der Chef des Technischen Hilfswerks.

Guter Rat kam trotz der momentanen Spannung zwischen den beiden Ländern von den befragten Exil-Schweizern in Berlin: "Man muss halt einfach alles vom ersten Schneefall an gründlich wegräumen."

Inzwischen hacken einzelne Geschäftsleute das Eis vor ihren Geschäften mit Eispickeln auf, am Potsdamer Platz wurden zu Ehren der Berlinale Schlagbohrer eingesetzt. Aber, auch wenn Berlin jetzt eine Chance hat vom ewigen Eis befreit zu werden, wir dürfen uns nix vormachen:
Die nächste Katastrophe steht unmittelbar bevor. Es taut und dann kommt das Hochwasser: Berlin geht unter!

Eis hackende Arbeiter

Christiane Rösinger

Nach sechs Wochen im ewigen Berliner Eis hat die Stadt einen Strategiewechsel vorgenommen: Sie ist jetzt doch zuständig!