Erstellt am: 18. 2. 2010 - 17:30 Uhr
Olympia-Log: Vancouver 2010, Tag 6.
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Jeweils 77 Zentimeter Oberschenkel-Umfang treiben die Füße des Hausherrn an, die damit befüllten Schlittschuhe bohren sich ins Eis des Richmond Olympic Oval, die Herzen der Zuschauer fliegen ihm laut vernehmbar zu und er selber macht sich auf den Weg über die 1000-Meter-Strecke: Jeremy Wotherspoon, Idol nicht nur der kanadischen Speedskate-Gemeinde, versucht es noch einmal.
Ihm ist klar, dass die junge Generation der Eisschnell-Läufer ihm wahrscheinlich überlegen sein wird, aber es wäre eine Sünde, wenn er, die Skater-Ikone seines Landes, nicht antreten würde, wenn Olympia vor seiner Haustür stattfindet.
Wotherspoon geht in Führung und die Halle tobt auf eine freundliche und entspannte Weise, in fröhlicher Feierlaune zwar, aber wohl wissend, dass das nicht halten wird.
Denn schon in der nächsten Paarung kommt einer der jungen Holländer, die Wotherspoon noch wegfahren werden, Stefan Groothuis, dann gleich Simon Kuipers und selbst Jan Bos wird vor ihm landen. Und als im 16. Paar dann der Amerikaner Chad Hedrick und Tae-Bum Mo, der koreanische 500m-Sieger von vorgestern antreten, denkt keiner mehr an Old Jeremy.
Duelle auf Eis
Die beiden legen ein sagenhaftes Duell ins Eis, Mo setzte sich mit 1:19.12 zwei Zehntel vor seinen Konkurrenten, der mit seiner Zeit auch noch vor allen anderen liegt. Als der Koreaner Lee und der für seine Kasperliaden beliebte Finne Poutala in Paar 17 und auch der letzte Holländer (Tuitert) in Paar 18 sich hinter die beiden einreihen, ist klar: Es wird auf den letzten Starter ankommen; und das wird der Titelverteidiger sein.
Shani Davis aus Chicago lebt und arbeitet in Calgary, Kanada, er ist Eis-Sprinter von Beruf, Weltmeister, Weltrekordhalter und Olympiasieger. Und wie beim 7 Jahre älteren Wotherspoon gibt es bereits erste Zweifler. Seine 500 Meter-Performance war nicht überragend - und die gute Zeit von Mo leuchtete bedrohlich von der Anzeigetafel.
Davis erste Durchgangszeit bestätigte die Unker: Rückstand. Rückstand auch bei den anderen Zwischenzeiten. Und dann in der letzten Runde dreht Davis dann plötzlich auf, demoralisiert seine koreanischen Gegner und skatet mit der einzigen Zeit unter 1:09 über die Ziellinie. Shani Davis ist, unerwartet, die Titelverteidigung gelungen, die Zuschauer, die schöne dramatische Bögen natürlich schätzen, springen auf und cheeren, selbst Mo applaudiert, und Davis reißt sich die Renn-Kapuze runter und schreit seine Freude an die Hallendecke, anstatt sich dem üblichen Läufer-Ritual nach dem Rennen (Kapuze runter, lässige Speed-Brille aufsetzen und ausgleiten) hinzugeben.
Shani Davis Aufschrei
Shani Davis schreit vor Glück.
Seine Coaches und Kollegen geben ihm fünf und mehr.
Shani Davis ist übrigens schwarz, Afroamerikaner. Und damit bei den Winterspielen Mitglied einer ganz exklusiven Minderheit.
Ja, Cool Runnings im Bob Jamaica, und da wäre noch der äthiopische Langläufer, der in den USA studiert und sicher noch drei andere Beispiele. Es nehmen ja auch durchaus ein paar afrikanische Nationen teil in Vancouver.
Aber die Schnee- und Eismenschen sind weiß oder gelb, kommen aus Europa und seinen neuen Kolonien oder Asien. Auch der Südamerikaner ist kaum vertreten, und viele der American Natives oder der Inuit sind zwar schneefest, aber sportdesinteressiert und vor allem von jeglichen Förderstrukturen ausgeklammert.
Bis auf Grant Fuhr und Jerome Iginla kenne ich auch keinen wirklich bekannten Hockeyspieler. Und Ausnahme-Fälle wie der kanadische Skispringer Stevie Collins in den 70ern bestätigen die Regel.
Winter-Olympia ist was für die Nordhalbkugel.
Für die erste Welt und die, die sich ranpirschen (wie China).
Luxus.
Ausrüstungsintensiv und ausbildungsschwer.
Bei Winter-Olympia hat der Naturbursch, der einfach losrennt, loskickt, losballert keine Chance. Selbst dem Maier-Hermann hat man erst die richtigen Ski anpassen und jahrelang warten müssen.
Das sollte man immer bedenken, finde ich.
Und wenn ein menschgewordener Zufall wie Shani Davis, der sich übers rollerskaten in der windy city dann halt irgendwie in diese exotische Richtung entwickelt hat, gegen die Hallendecke heult, dann erinnere ich mich kurz daran.