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Irmi Wutscher

Gesellschaftspolitik und Gleichstellung. All Genders welcome.

18. 2. 2010 - 14:02

l[i]eben - uferlos und andersrum

Die Ausstellung in Graz beleuchtet les_bi_schwules Leben in der Steiermark.

Seit 14. Februar gibt es im Grazer Volkskundemuseum die Ausstellung "l[i]eben" zu sehen. Sie setzt sich mit homosexuellem Leben in der Steiermark auseinander.

Die Ergebnisse des Forschungsprojekts sind auch in Buchform erschienen:
"l[i]eben und Begehren zwischen Geschlecht un Identität, Löcker Verlag Wien

2006 hat man in Graz nach dem Vorbild der Ausstellung "Geheimsache Leben", die sich 2005 mit dem Leben von les_bi_schwulen Menschen in Wien auseinandersetzte, mit der Erforschung von Liebesbeziehungen abseits der heterosexuellen Norm in der Steiermark begonnen. Das Büro der Erinnerungen in Graz beauftragte gemeinsam mit dem Museum Joanneum Institutionen und Expertinnen damit, Material zusammen zu tragen. Dies gestaltete sich gar nicht so einfach, wie auf den ersten Blick erwartet: Die ersten eineinhalb Jahre wurden vor allem damit verbracht, zu definieren, wer hier überhaupt beforscht werden sollte. "Untersuchen wir eine arme, geknechtete Minderheit, von der wir sagen möchten, dass sie eh total normal ist? Nein - um das geht es uns nicht, es geht nicht um Toleranz. Vielmehr ist es die Normalität, die wir hier in Frage stellen wollen. Die Normalität, die Schwule, Lesben aber auch Heteros in eine ganz bestimmte Richtung treibt.“, erklärt Elke Murlasits, eine der Kuratorinnen. Im Endeffekt wurde dann erst einmal ein zweijähriges Forschungsprojekt konzipiert, da die Quellenlage so dürftig war. In diesem Rahmen wurden dann erst einmal Archive durchforstet und ZeitzeugInnen gesucht und befragt.

Eva kreissl und elke murslasits in der ausstellung l[i]eben

irmi wutscher

Eva Kreissl und Elke Murlasits in der Ausstellung l[i]eben

Herausgekommen ist nun eine zweiteilige Ausstellung: Im eigentlichen Ausstellungsraum wird Geschichte und Alltag homosexuellen Lebens in der Steiermark nachgezeichnet. Allerdings wurde auch die permanente Sammlung des Volkskundemuseums einer Art Revision unterzogen. Denn es ist ja auch ein Anspruch der Kuratorinnen, die sexuelle Norm zu hinterfragen und aufzudecken.

Dirndl-Interventionen

Austellungsort ist immerhin ein etablierter und traditioneller Raum: das Steirische Volkskundemuseum in Graz. Hier werden zum Zwecke der Bewahrung des Kulturguts Alltags- und Gebrauchsgegenstände gesammelt. Es gibt Truhen und Buttermodel, Dirndln, Lederhosen und Wadlstutzen, Heiligenstatuen und Andachtsbildchen.
"Uns geht es ja auch ein wenig um die Hinterfragung dessen, was ist eigentlich erlaubte Liebe, was ist keine erlaubte Liebe. Und für die unerlaubte Liebe gibt es keine Dokumente. Also eigentlich nichts, was sich in einem Museum aufbewahren lässt." erklärt Eva Kreissl. Betrachtet man die vorhandenen Gegenstände allerdings unter anderen Gesichtspunkten, so lassen sich durchaus Spuren von erlaubter und unerlaubter Liebe erahnen.

hochzeitstruhe

irmi wutscher

Die Hochzeitstruhe im Volkskundemuseum

Anhand von Hochzeitstruhen oder Butterzwecken zum Beispiel, die hier als „Liebesgaben“ ausgestellt sind und deren Bedeutung normalerweise nicht hinterfragt wird. Mit so genannten Interventionen wird aufgezeigt, dass es sich bei diesen Liebesgaben um handfeste Anträge und um finanzielle Absicherung handelt - etwa wenn die Hochzeitstruhe Geschirr oder Bettwäsche enthält, die die Braut dann in ihrem ganzen restlichen Leben verwenden wird. "Hier sieht man also das Materielle, das dahintersteht.“, meint Eva Kreissl. „Heiraten, das war Ökonomie, das war ganz Beinhartes und Liebe spielte da kaum eine Rolle.“

buttermodel

irmi wutscher

Liebesgabe oder Vertragsabschluss?

Eben weil es sich bei der Ehe um eine finanzielle Absicherung und weniger um das hehre Ideal der romantischen Liebe handelte, wird auch deutlich, welche Bevölkerungsgruppen keinen Zugang dazu hatten: Das waren - neben Lesben und Schwulen - vor allem Personen, die kein eigenes Vermögen besaßen.

Die Heirat zwischen Mann und Frau wird als Ideal propagiert und in den Dienst der Bevölkerungsreproduktion gestellt: "Deswegen auch diese Fixierung auf die Heterosexualität" meint Eva Kreissl "Und daher kommen die Scheuklappen, vor anderen Formen von Liebe, die nicht in die Ehe führen."

Schubladen-Denken

Derart "vorbereitet" geht es dann in den Hauptteil der Ausstellung über les_bi_schwules Alltagsleben in der Steiermark. Er beginnt mit einer spielerischen und künstlerischen Auseinandersetzung mit der Frage nach Vorurteilen, Klischees, eben dem "Schubladendenken": Die gesamte Wand des ersten Raums wird von einem hellrosa Schubladenelement eingenommen. Die Laden gehen wie von Geisterhand alleine auf: Aus einer ertönt YMCA, in der nächsten befindet sich ein rosa Männertanga. Oder es finden sich aussagen wie: "Echte Männer trinken Bier" oder "Lesben sind politisch".

Ausstellung l[i]eben - uferlos und andersrum. Laden 01, geöffnete Schublade

UMJ / Nicolas Lackner

"Hier kann man viel Zeit verbringen und sich ein wenig selbst reflektieren", meint Kuratorin Elke Murlasits "Inwieweit steckt das auch in mir drinnen, glaube ich das auch? Andererseits: Ist diese Rollenbilder vielleicht auch für meine Identität zentral? Man darf ja nicht vergessen: Wir sind alle in einer homophoben Gesellschaft aufgewachsen, auch Lesben und Schwule sind in ihren eigenen Identitätsfragen mit Vorurteilen konfrontiert."

Dokumentation der Bewegung

Im Hauptausstellungsraum liegt neben der Dokumentation der rechtlichen Entwicklung ein Fokus auf der Geschichte der homosexuellen Bewegung in der Steiermark.

Ausstellung l[i]eben - uferlos und andersrum. Infowand mit Monitor.

Alexander Karelly

So ist zum Beispiel die erste antihomosexuelle Kundgebung Österreichs dokumentiert: Anlässlich der Vorführung des Aufklärungsfilms "Anders als die Anderen", der Homosexualität thematisierte, stürmte 1919 ein Mob von Deutschnationalen und Klerikalen das Ringkino.

Filmplakat "Anders als die Anderen"

irmi wutscher

Filmplakat "Anders als die Anderen"

Ebenfalls zu finden ist ein nachträglich neu vertontes Couplet aus den 50er Jahren: "Capo der Schwapo" nimmt einen Polizisten aufs Korn, der als besonders hartnäckiger "Schwulenjäger" bekannt war. Ansonsten gibt es hauptsächlich Texte und kleine Erinnerungsstücke zu sehen, wie zum Beispiel die Tür des ersten bekannten Schwulenlokals in Graz, dem "Club Café Werner".

Suche nach dem Alltag

Einer der Hauptansprüche der Ausstellung bzw. auch des Forschungsprojekts war es aber, les_bi_schwules Alltagsleben in der Steiermark zu dokumentieren und sichtbar zu machen. Und zwar in Form von Selbstzeugnissen, das heißt über Interviews, Memoiren, Bildern etc. "Was natürlich schnell auffindbar ist, sind Fremdbeschreibungen“, sagt Elke Murlasits. "Sei es aus Gerichtsakten oder psychopathologischen Charakterisierungen. Für die Ausstellung wollten wir aber so viele Selbstzeugnisse wie möglich bekommen."

Dies gestaltete sich schwierig, denn wie eines Phänomens habhaft werden, das über Jahrzehnte kriminalisiert und unterdrückt wurde? Und, ein Problem, das sich stellt, sobald man diese Zeugnisse gefunden hat: Was macht man damit? Wie stellt man sie aus? Denn im Rahmen des Forschungsprojekts wurden zwar Interviews mit homosexuellen SteirerInnen geführt und Fotos, Dokumente etc. gesammelt, zu sehen sind diese in der Ausstellung aber nicht: Der les_bi_schwule Alltag in der Steiermark ist nur über anonymisierte Interviewausschnitte an Hörstationen erfahrbar.

Frau an Hörstation

Alexander Karelly

Alltagsleben gibt es nur zu hören.

Denn, so meint Murlasits, es sei durchaus problematisch, Personen einfach zu zeigen oder auch nur namentlich zu nennen. Daher sind in der Ausstellung nur AktivistInnen sichtbar.

Und so muss der Anspruch, les-bi_schwules Leben in der Steiermark sichtbar zu machen, zum Teil auch scheitern. Einerseits, weil es nicht viel anders aussieht als heterosexuelles Alltagsleben. Und andererseits, weil die Personen geschützt werden müssen. Die les_bi_schwulen SteirerInnen, die sind in der Ausstellung also nur über ihre Geschichten, ihre Erinnerungen präsent.

Warten auf das Wiederkommen

Bei der Eröffnung mischten sich traditionelle Volkskundemuseum-Besucher im Steireranzug unter die les_bi_schwule Szene. Berührungsängste gab es an diesem Abend keine. Denn dass die Ausstellung im in der öffentlichen Wahrnehmung so etablierten Raum des Volkskundemuseums stattfindet, ist eine ihrer großen Stärken und ihres Potenzials, finden die Kuratorinnen.

"Die Frage ist, ob die wiederkommen", meint Eva Kreissl, an das Stammpublikum denkend. "Es war bei der Eröffnung ja kaum Zeit, sich ernsthaft mit den Themen zu befassen. Und wer das möchte, der kommt wieder. Wenn das passiert, dann haben wir schon etwas bewirkt."