Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Verschachtelte Tristesse"

Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

17. 2. 2010 - 19:36

Verschachtelte Tristesse

Zu einem regulären Kinostart hat es dieser Film nie gebracht. Jetzt ist Charlie Kaufmans surreales Drama "Synecdoche, New York" aber kurz in Wien zu sehen.

Den Namen Charlie Kaufman las ich erstmals im Herbst 1999 bei einer denkwürdigen Viennale-Premiere im Vorspann von "Being John Malkovich". Und habe ihn nie wieder vergessen.

So wie die ganz und gar unglaubliche Geschichte von Craig und Lotte, dem fusseligen Hippie-Paar, das durch einen Zufall ein Tor findet, das direkt in den Kopf von John Malkovich führt. Alleine die Idee, dass es in Craigs Bürogebäude einen 7 1/2ten Stock gibt, wo die Menschen alle gebückt arbeiten, und dass dieser Stock von einem Architekten für seine Liliputanerfreundin gebaut wurde, die hat mich damals mehr umgehauen als die meisten Bücher von Hollywood-Drehbuchschreibern in den neunziger Jahren.

Aus einem großartigen Review von Rogert Ebert zu "Synecdoche, New York":

Here is how it happens. We find something we want to do, if we are lucky, or something we need to do, if we are like most people. We use it as a way to obtain food, shelter, clothing, mates, comfort, a first folio of Shakespeare, model airplanes, American Girl dolls, a handful of rice, sex, solitude, a trip to Venice, Nikes, drinking water, plastic surgery, child care, dogs, medicine, education, cars, spiritual solace - whatever we think we need.

To do this, we enact the role we call "me," trying to brand ourselves as a person who can and should obtain these things.

In the process, we place the people in our lives into compartments and define how they should behave to our advantage. Because we cannot force them to follow our desires, we deal with projections of them created in our minds. But they will be contrary and have wills of their own.

Eventually new projections of us are dealing with new projections of them. Sometimes versions of ourselves disagree. We succumb to temptation - but, oh, father, what else was I gonna do? I feel like hell. I repent. I'll do it again.

Als bei "Being John Malkovich" damals die Schlusscredits abliefen, war ich mehrmals vor Lachen fast vom Sessel gefallen, gleichzeitig sprachlos vor Erstaunen. Endlich ein Film, der dem damaligen Zitate-Overkill im Kino den Mittelfinger zeigte, weil er wirklich neu und anders war.

Was sich einerseits dem Musikvideo-Star Spike Jonze und seiner Regie verdankte. Zum anderen aber auch dem genialen Skript von Charlie Kaufman, der den durchgeknallten Stoff superseriös behandelte. "Ich wollte die Verzweiflung der Figuren ernst nehmen", erzählte er seinerzeit in Interviews. "Ich wollte nichts verblödeln. Spike ging ebenfalls in diese dunkle, realistische Richtung und er hatte recht damit."

Being John Malkovich

UIP

Danach blieb es weiterhin spannend, innovativ und höchst emotional. Spike Jonze verdankte Kaufman das wundervoll zerrissene Schreibblockaden-Drama "Adaptation", Michel Gondry die melancholische Romantic Comedy "Eternal Sunshine Of The Spotless Mind", eines der Meisterwerke, das zurecht viele Nuller-Kino-Charts anführte.

Seit geraumer Zeit gehen sie getrennte Wege, der Jonze, der Gondry und der Kaufman. Ersterer blieb in seiner vielgelobten Kinderbuch-Verfilmung "Where The Wild Things Are" der bittersüßen Verschrobenheit treu. Zweiterer ließ auf Solopfaden für meinen Geschmack ein wenig zu sehr die Indie-Niedlichkeit raushängen.

Und was wurde aus Mr. Charlie Kaufman? Der Ausnahmeautor begab sich selbst in den Regiestuhl und huldigte dort einigen seiner Lieblingsthemen: der Beziehungsunfähigkeit von uns armseligen Menschen-Würsteln, der Einsamkeit in sämtlichen Konstellationen, der Furcht vor dem Altern, dem langsamen Warten auf den Tod.

"Synecdoche, New York", das filmische Vehikel für diese und andere, eher wenig optimistische Meditationen zum Dasein, floppte allerdings derartig, dass Kaufman wohl so schnell keinen weiteren Regieausflug wagen wird. Erst recht nicht in Zeiten wie diesen, wo riskante Filmexperimente, die trotzdem auch einiges Geld kosten, vom Aussterben bedroht scheinen.

Synecdoche, New York

Sony

Der Film, der viele Kritiker verstörte und das unaufgeschlossene Publikum vergraulte, beginnt wie die ganz normale Geschichte einer Midlife Crisis.

Sogar Woody Allen könnte von diesem Monolog aus "Synecdoche, New York" noch was lernen:

And even though the world goes on for eons and eons, you are only here for a fraction of a fraction of a second. Most of your time is spent being dead or not yet born.

But while alive, you wait in vain, wasting years, for a phone call or a letter or a look from someone or something to make it all right. And it never comes or it seems to but it doesn't really.

And so you spend your time in vague regret or vaguer hope that something good will come along. Something to make you feel connected, something to make you feel whole, something to make you feel loved.

And the truth is I feel so angry, and the truth is I feel so fucking sad, and the truth is I've felt so fucking hurt for so fucking long and for just as long I've been pretending I'm OK, just to get along, just for, I don't know why, maybe because no one wants to hear about my misery, because they have their own.

Well, fuck everybody. Amen.

Philip Seymour Hoffman, fast schon zu beklemmend naheliegend besetzt, spielt Caden Cotard, einen Theaterregisseur Mitte 40, der in einer existentiellen Sackgasse steckt. Seine Frau (schon wieder die famose Catherine Keener) flüchtet mit der gemeinsamen Tochter in eine Berliner Künstlerkommune, seine Depressionen werden schlimmer, zudem befällt ihn noch eine mysteriöse Hautkrankheit.

Während Caden spürt, dass er sein Leben immer weniger in den Griff kriegt, lässt Charlie Kaufman ganz bewusst seinen Film entgleiten. Etliche Erzählebenen kollidieren, das Wirkliche und das Halluzinierte lassen sich nicht mehr trennen, ein Kino der Metaphern, wie beim späten Luis Buñuel, löst die vertrauten Formen der Narration auf.

Caden Cotard kreiert sich nicht nur eine fiktive Realität, die sich allmählich mit dem Alltag vermischt. Er bringt diese verschiedenen Welten auch noch auf die Bühne, beginnt ein gigantomanisches Theaterprojekt, in dem diverse Schauspieler seine Krise verkörpern. Und dann wird es erst richtig kompliziert.

Synecdoche, New York

Sony

Schrullig, bizarr, absurd: Solche Attribute, die von Anfang an mit den Drehbüchern von Charlie Kaufman verknüpft waren, wird der Autor mit seinem Regiedebüt wohl nicht los werden. "Synecdoche, New York" ist ein irrwitzig verschachtelter Film, der eine finale Auflösung verweigert.

Ich gebe zu, das ist durchaus anstrengend. In einer seltsam indifferenten Stimmung taumelte ich im Vorjahr aus dem Wiener Filmmuseum, das den Streifen als Österreichpremiere präsentierte. Die erlösende Wehmut, die in anderen Verfilmungen seiner Skripts am Ende lauert, verweigert Kaufman auf fast schon frustrierende Weise.

Auf der anderen Seite ist das vielleicht auch gut so. Denn hinter all den surrealen Szenerien, hinter dieser oft schon selbstzweckhaft anmutenden Sperrigkeit, die einem den Kopf rauchen lässt, verbirgt sich eine fatale Trostlosigkeit, die ihresgleichen sucht.

Wir erschaffen uns Lügenkonstrukte und flüchten uns in Projektionen, hämmert uns Charlie Kaufman ein, weil wir die Bedeutungslosigkeit unseres Lebens nicht wahrhaben wollen.

Synecdoche, New York

Sony

Zu sehen ist "Synecdoche, New York" dieser Tage im Wiener Topkino.