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Burstup

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18. 2. 2010 - 12:47

Die ewige Bundesheer-Reform

Verirrte Granate, peinliches Werbevideo, Grenzeinsatz: Das Bundesheer bleibt in den Schlagzeilen. Aber die schärfste Kritik kommt von innen.

Um Interviews mit Grundwehrdienern aufnehmen oder eine Kaserne von innen besichtigen zu können, benötigt man als Journalist die Genehmigung des zuständigen Militärkommandos. Vor einigen Tagen ist es mir - zum ersten mal in 20 Jahren - nicht gelungen, eine entsprechende Genehmigung zu erhalten. Offensichtlich herrscht Ausnahmezustand, weil derzeit die in der Geschichte der zweiten Republik härteste Kritik am Zustand des Bundesheeres geübt wird - und sie kommt von Soldaten. Die Österreichische Offiziersgesellschaft (ÖOG) ist ein privater Verein, dem einige Tausend Offiziere angehören. Nur ein Drittel dieser Offiziere ist hauptberuflich beim Bundesheer, aber zwei Drittel gehören der Miliz oder der Reserve an und brauchen sich kein Blatt vor den Mund zu nehmen: Miliz- und Reserveoffiziere sind Experten, die das Heer von innen und aus Führungspositionen kennen, die aber als Menschen im Zivilberuf keine negativen Konsequenzen für ihr Aufbegehren zu befürchten brauchen. Wenn seitens der ÖOG Kritik am Heer laut wird, kann man sicher sein, dass sie unverblümt und direkt ist, nicht zurückhaltend und mit einem Auge auf die nächste Beförderung gerichtet.

Bundesheer

Konkret war es in den letzten Tagen Edmund Paulus, Präsident der Offiziersgesellschaft, der öffentlich "gravierende Mängel" im Bundesheer angeprangert hat. Paulus stört sich besonders an mangelnden Ressourcen, die dazu geführt haben, dass die Miliz des Bundesheeres nicht mehr üben kann und daher de facto nicht mehr existiert. Er prangert baufällige Kasernen an und sieht im seit 20 Jahren andauernden Assistenzeinsatz an der Grenze eine sinnlose Ressourcenverschwendung.

Seitdem tauschen Paulus und der Generalstabschef des Bundesheeres, Edmund Entacher, in einem offenen Briefwechsel - nicht unbedingt unfreundlich, aber doch scharf - Kritik und Empfehlungen aus. Zudem ertönt ein Durcheinander an Forderungen, Protesten und Zurufen seitens aller politischen Parteien: Die SPÖ verteidigt den Grenzeinsatz des Bundesheeres, den sie als notwendig für das "subjektive Sicherheitsgefühl" der Bevölkerung erachtet. Die ÖVP fordert ein Ende dieses Grenzeinsatzes. Das BZÖ fordert ein Ende der allgemeinen Wehrpflicht. Die Grünen beschweren sich über die mangelnde Einsatzbereitschaft der Eurofighter. Die FPÖ mokiert sich über Blumensamen, die Minister Darabos am Valentinstag den weiblichen SoldatInnen schicken ließ.

garden in a bag

Nicht die Blumensamen, die Minister Darabos verschickt hat, aber auch sehr schön.

Das Bedrohungsszenario, von dem Österreich nach dem zweiten Weltkrieg ausging, war geprägt vom Status der Republik als "neutraler Riegel" zwischen Ost und West und einem möglichen Durchmarsch von Truppen der beiden Machtblöcke.

Weiss

So wurde in den siebziger und achtziger Jahren das Bedrohungsszenario veranschaulicht.

Ob die Bedrohung tatsächlich existiert hat, sei dahingestellt - dem Szenario entsprach jedenfalls das in den siebziger Jahren entworfene Raumverteidigungskonzept, das eine Bereitschaftstruppe von 15.000 Mann und eine Miliz von 150.000 einsatzbereiten Soldaten mit den verschiedensten Fähigkeiten im ganzen Land vorsah – von den guerillamäßig in Zweiertrupps agierenden Jagdkämpfern über die gut ausgerüsteten Pioniere bis zu den Gebirgsjägern.
Das Konzept sah auch noch eine Ausbaustufe der Miliz vor, in der sie ab Mitte der achtziger Jahre sogar 240.000 bis 300.000 Einsatzstärke erreichen sollte. Der österreichische Landesverteidigungsplan ähnelte dem der neutralen Schweiz, deren Miliz zu dieser Zeit sogar eine Einsatzstärke von 600.000 Mann und in der Bevölkerung eine Akzeptanz besaß, die gerade noch von den Freiwilligen Feuerwehren übertroffen wurde.

Diese von den Regierungen der siebziger und achtziger Jahre festgelegten Ziele wurden allerdings nie erreicht, und Ende der neunziger Jahre fuhr man in Österreich das Miliz-System im Rahmen einer neuerlichen Reform stark zurück: Viele Milizverbände wurden aufgelöst. Menschen, die freiwillig jahrelang zu Übungen in ihre Verbände eingerückt waren, wurden verabschiedet. Ausrüstung wurde verkauft oder veschrottet. Formal ist der Landesverteidigungsplan auch heute noch in Kraft - mangels Ressourcen und Einsatzstärke aber längst unrealistisch.

Bundesheer

Zuweilen dienen beim Assistenzeinsatz an der Grenze auch die Haflinger der Militärakademie.

Seitens SPÖ und ÖVP erfolgte Anfang der neunziger Jahre zwar weiterhin das grundsätzliche Bekenntnis zu Wehrpflicht und Miliz, weil man sie im Gegensatz zu einem Berufsheer ("Staat im Staat") als die demokratischste Form der Armee empfand. Tatsächlich stellte man immer weniger Ressourcen für die Miliz zur Verfügung. Gleichzeitig schickte man jetzt junge Rekruten während ihres Grundwehrdienstes zu einem teuren Assistenzeinsatz an den Grenzen zu den osteuropäischen Nachbarn.

Kritik wurde laut, es folgte Reform um Reform, und einige Regierungsperioden später gelangten wir zur mit viel Pomp präsentierten Bundesheerreformkommission unter der Leitung von Helmut Zilk. Auch die Kommission bekannte sich prinzipiell zur Miliz, die Einsatzstärke der Armee sollte aber bis 2010 auf 55.000 Mann und Frau heruntergefahren werden - dies dafür bei bestmöglichen Bedingungen für die SoldatInnen. 2010 ist beides nicht erreicht: Weder die Einsatzstärke von 55.000, noch die bestmöglichen Bedingungen für die Heeresangehörigen. Viele Bauwerke des Bundesheeres sind, wie Brigadier Jocham, Kommandant der Vega-Payer-Weyprecht-Kaserne in Wien selbst sagt, "desolat". Die tatsächliche Einsatzstärke des Heeres besteht heute aus fünf- bis zehntausend SoldatInnen, also hauptsächlich aus dem Kader - die Miliz kann mangels Ressourcen seit fünf Jahren nicht mehr üben, und eine Miliz, die nicht übt, existiert nicht. Die Kritik der Offiziersgesellschaft richtet sich also hauptsächlich gegen das So-Tun-als-ob, gegen die Nichtexistenz des Bundesheeres in der Form (Miliz), die von der Politik eigentlich vorgesehen ist.

BMLV

Die Bundesheerreformkommission

Ist eh alles bestens

Auf die Kritik der Offiziersgesellschaft wird seitens des Ministeriums und des Generalstabs gebetsmühlenartig hingewiesen auf das, was beim Bundesheer angeblich funktioniert und auf Gegenliebe beim Volk stößt: auf Katastropheneinsätze (die nächste Überschwemmung kommt bestimmt), Auslandseinsätze (da ist Österreich wieder wichtig in der Welt) und den Grenzeinsatz (für das subjektive Sicherheitsgefühl). Weder Ministerium noch Generalstab gehen ein auf die heeresinterne Kritik an der Nichtexistenz der Miliz, an desolaten Kasernen, 48-Mann-Schlafsälen, mangelnder Ausrüstung oder der Absurdität, Geldverschwendung und Verfassungswidrigkeit des Grenzeinsatzes.
Edmund Paulus, Präsident der Offiziersgesellschaft, fordert naturgemäß die Erfüllung der von der zilkschen Bundesheerreformkommission festgelegten Ziele ein. Und dann gibt es auch noch Experten, die für die Schaffung einer Berufsarmee eintreten – die teurere Variante, wie Befürworter der Miliz immer wieder betonen.

Kreislauf

Kritik --> Beschwichtigung --> Reformvorhaben, das nicht erfüllt wird --> Kritik. So stellt sich mir seit Jahrzehnten der Kreislauf in der österreichischen Verteidigungspolitik dar. Auf der Strecke bleiben dabei vor allem die Grundwehrdiener, die sich mit schlechter Ausrüstung, unerträglicher Unterbringung, miesester Bezahlung und einem sinnlosen zweimonatigen Grenzeinsatz quälen.

Österreich braucht eine Debatte über das Scheitern jeder einzelnen Bundesheer-"Reform" seit den siebziger Jahren, insbesondere der von der zilkschen Bundesheerreformkommission eingeleiteten "Heeresreform 2010". Die Ziele, auf die man sich für 2010 geeinigt hatte, wurden nicht einmal ansatzweise erreicht. Hier muss endlich Tacheles geredet werden, und es muss politische Konsequenzen für das Scheitern geben, gefolgt von einem Diskurs darüber, was wir eigentlich wollen. Wollen wir die allgemeine Wehrpflicht und die Miliz? Leisten wir uns ein (teureres) Berufsheer? Brauchen wir bewaffneten Grenzschutz an einer EU-Schengen-Innengrenze, damit wir im "subjektiven Sicherheitsgefühl" schunkeln können? Warten wir auf die EU-Armee (und geben dann die Neutralität auf)? Brauchen wir gar keine Landesverteidigung? Solange Reformen und Reformkommissionen nichts als Lippenbekenntnisse sind, mangelnde Ergebnisse nur beschönigt und Kritiker nur beschwichtigt werden, solange leiden diejenigen Menschen, die es am meisten betrifft: Achtzehnjährige Grundwehrdiener, aber auch jene, die SoldatIn als ihren Hauptberuf gewählt haben oder als Freiwillige in der Miliz sind.