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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

17. 2. 2010 - 13:46

Olympia-Log: Vancouver 2010, Tag 5.

Marketing-Opfer. Oder die Geschichten hinter den eingefrorenen Posen.

Gestern war es endlich soweit.

Auf einen Blick: Olympia auf fm4.orf.at, alles aus Vancouver auf orf.at und das Olympia-Log.

Es ist das passiert, was bei Olympia immer eintrifft: ich ertappe mich dabei mich mit Sportarten zu beschäftigen, die sonst schon den erstmöglichen Filter nicht überstehen.
Was dann natürlich sofort die Frage der Verführbarkeit durch schlaues Marketing aufwirft.

Denn so funktioniert Olympia: du kriegst neben dem, was dich eigentlich interessiert, gratis und zusätzlich einen Strauß an Dingen serviert, die dir eigentlich herzlich egal sind.
Und wenn du Pech hast wirst du angefixt.

Dealer arbeiten so. Und der Kapitalismus, dessen bestes in die Praxis runtergebrochenes Beispiel Dealer ja sind.

Mir sind Menschen, die sich mit Snowboards Hänge herunterwerfen, etwa so fremd wie Mischgetränke mit Red Bull. Das Konzept, die natürliche Beidfüßigkeit freiwillig auf eine De-facto-Einbeinigkeit zu reduzieren, hat was Lächerliches.
Obwohl: auch das Konzept, einen Ball mit einer vergleichsweise gefühlsarmen Extremität zu spielen anstatt ihn in die viel sensiblere Hand zu nehmen, ist an sich absurd. Und zeigt mir nur, dass Menschen gern das probieren, was sie nicht so gut können.

Dynamik und Dramaturgie

Und der olympische Parcours-Wettbewerb der Snowboarder, das was sie da Cross nennen, hatte dann endlich auch die Länge, die Wucht und die Schwierigkeit, die mir bislang bei langweiligen Parallelrennen, eiskunstlaufmäßiger Halfpipe und X-Game-Schmafu gefehlt hatte. Zwar ist ein Regulativ, das Schubsen, Rausdrängen und Über-den-Haufen-Fahren durchaus erlaubt, ein wenig, ähm, gewöhnungsbedürftig - aber mir als Olympia-Glotzer darf das dann ja auch ein bisserl egal sein. Sollen sie doch, wenn sie wollen.
Solange das, was dann zu sehen ist, gute Dynamik und Dramaturgie besitzt.

Auf derselben Piste fahren dann auch richtige Skifahrer, Crosser - und irgendwie hat das mehr von der Abbildung realen Skifahrens als der brave Einzelstart.

Das, die Abbildung gesellschaftlicher Realität, hat mich dann sogar zur am allerweitest entfernten Disziplin überhaupt, zum Eiskunstlauf der Paare, gebracht: das steht ja per se für reaktionäres Beharren auf eingefrorene Posen der sexual politics, verkauft mit einem süßlich verpickten Mainstream-Grinsen.

Eingefrorene Posen

Und gerade in diesem Kontext ist die Geschichte des deutschen Paares zu interessant: sie ukrainische Aussiedlerin, er Sohn eines tansanischen Arztes, der in der DDR studiert hatte, der Trainer einst selber Paar-Weltmeister und Stasi-Spitzel-Äffaren-belastet. Die Schnapsidee, sich von Schleim-Produzent Andre Rieu eine Kitsch-Version von You Never Walk Alone schneidern zu lassen, das Scheitern und die Reparatur-Arbeiten. Die in ihrer Verbissenheit bizarre Beschwörung der Einmaligkeit dieser Olympia-Chance und schließlich das Zerbrechen an der ruhigen Performance des chinesischen Paares, das sonst alles gewonnen hatte, aber bereits dreimal an Olympia gescheitert war und nur für diesen Event vom eigentlichen Rücktritt zurückgetreten war.

Tränen, Flüche, Beschwörungen; die erbarmungslose Emotionalisierung in einem Umfeld kompletter Künstlichkeit; die tief eingefurchte Angst vor einem Versagen auf einem nur einer Hand voll Menschen überhaupt möglichen Niveau.

Erzählt mir das einfach eine gute Geschichte, aus der ich was für mein Leben rausziehen oder ein besseres Gefühl für menschliche Verhaltensweisen entwickeln kann, oder bin ich einer Inszenierung, einem Marketing-Schmäh aufgesessen.

Over-Branding

Es wird wohl eine Mischung aus beidem sein - denn die nächsten Weltmeisterschaften der Eiskünstler werden sicher wieder ganz ohne mich stattfinden. Wie auch die nächsten X-Spiele mit über Schanzen sausenden Snowboards. Das auch, weil ich die dort herrschende Überbrandung nicht ertrage.

Ich weiß, dass digitale Eingeborene darüber längst hinwegsehen, aber wenn mir etwas mit einer gefühlten Überdosis an Sponsoren auf Mützen, Revers, Vorder- und Hintergrund entgegendröhnt, dann verliert auch das eigentliche Produkt an Wert.

Insofern ist die Marketing-Grundidee von Olympia, diese dezente Verwendung von Werbung in und um den/die Sportstätten, auch so angenehm.

Vielleicht fischen sie mich deswegen alle zwei Jahre so deppensicher ein.