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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

15. 2. 2010 - 23:22

Olympia-Log: Vancouver 2010, Tag 3.

Die Sache mit der Königsdisziplin.

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Keine Medaille in der Herren-Abfahrt! Der Königsdisziplin! Ein Debakel, nicht wahr?
Mit diesem Duktus geht die öffentliche Meinung an das heutige Ergebnis heran. Aus dieser Position werden Fragen gestellt und Vorwürfe erhoben.

Dabei ist beides falsch.
Zum einen ist ein vierter Platz in einer Saison, in der es keinen Sieg gab und in der Weltcup-Wertung kein Top 4-Läufer aus Österreich kommt, eh völlig okay.

Und zum anderen ist die alpine Herren-Abfahrt alles mögliche, aber eben keine globale Königsdisziplin.
Das findet nur in den seit Generation indoktrinierten österreichischen Köpfen statt. Ist ein reines Konstrukt.

Das hat ein bissl mit der Geschichte zu tun. Nach einer Eiskunstlauf-Zwischenkriegszeit war es der alpine Skilauf, der Österreich ab den 50er Jahren identitätsstiftenden Halt gab. Und mit Toni Sailer gab es da einen herzeig- und sogar exportierbaren Heroen der Musikfilm-Ära.

Das Folklore-Konstrukt "Abfahrt"

In den 70ern wurde das mit dem Hype um Franz Klammer zu einem zweiten historischen Höhepunkt hochgeschleudert.
Und seitdem krallt man sich also am Konstrukt Abfahrt fest, und zählt die Weltmeister und Olympiasieger in dieser Disziplin penibel - ebenso wie die sieglosen Jahre.

Und dabei sind die Sieger seit Klammer oft alles andere als die wahren Helden: mit Leonard Stock gewann ein Eigentlich-Nicht-Abfahrer auf einer zu simplen Strecke, der in seinem Siegjahr sonst sieglose Patrick Ortlieb erwuchs in den späteren Jahren zum politisch problematischen Schmuddelkind.
Und oft waren nicht die richtigen vorne: Hermann Maier war wie Michael Walchhofer zwar einmal Weltmeister, aber nie Olympiasieger, auch Peter Wirnsberger, zu seiner Zeit der beste, gewann nie einen Titel.

Alles recht exklusiv österreichische Helden-Verehrung, die anderswo zwar mit Respekt zur Kenntnis genommen wird, aber nicht diese absurde Überhöhung erfährt.

Nationale Prioritätensetzungen

Anderswo sind die Prioritäten anders gesetzt: Holland ortet die Königsdisziplin traditionell im Eisschnelllauf, Deutschland mittlerweile im Biathlon, China und Südkorea sagen nur Short-Track, für Russland wäre es der Eiskunstlauf, für Norweger der Langlauf und für die kanadischen Gastgeber ist das Eishockey und seit gestern Nacht auch die Buckelpiste.

Der alpine Skilauf ist schmäler aufgestellt als der nordische. Denn weite Flächen mit Schnee und Eis sind weltweit deutlich mehr vorhanden als steile Hänge, über die sich tapfer Alm-Burschen runterwerfen. Langlauf ist für über 50 Nationen weltweit ein Thema, die vermeintliche Königsdisziplin Abfahrt kommt mit einem Bruchteil aus - es geht rein technisch gar nicht anders.

Viele Wintersport-Nationen betrachten deshalb auch den Slalom als die klassische und zentrale alpine Disziplin: den kann man auch ein weniger steilen, also nicht klassische alpinen Hängen fahren, der halt weltweit mehr Akzeptanz und enthält auch noch den Geschicklichkeits-Faktor samt Show-Effekt.

Im Slalom sind Österreichs Alpin-Herren im übrigen seit Jahren schon viel besser als in den Speed-Disziplinen. Alle vier Starter sind potenzielle Siegläufer, alle erfüllen die internationalen Ansprüche.

Im Iglo-Spot tummeln sich aber dann doch wieder die fast schon unbekannten Abfahrtsherren - denn auch die partnernden Vermarkter klammern sich am Abfahrts-Mythos fest; und so lähmt sich eine Öffentlichkeit entlang ihrer unhinterfragten Folklore schlicht und ergreifend selbst.

PS:

Die ewigen alpinen Rivalen, die Kollegen Schweizer haben heute zwei Siege eingefahren: Didier Defago hat die Abfahrt gewonnen, und das Langlauf-Wunderkind Dario Cologna das 15 km-Rennen. Nach Simon Ammanns Sprung-Sieg schon das dritte Gold - und das alles breit gestreut. Vielleicht auch, weil man im Schweizer Ski-Verband nicht einen Mythos herangezüchtet hat, der einen beschränkt und erdrückt.