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Natalie Brunner

Appetite for distraction. Moderiert La Boum de Luxe und mehr.

15. 2. 2010 - 20:12

Keine Reproduktion von Gangmythen

Die Dokumentation "Crips and Bloods: Made in America" erzählt vom Bürgerkrieg in L.A.

Stacy Peralta kennt sein Los Angeles. Er dürfte die Straßen in seiner Zeit als Skater oft auf- und abgefahren sein. Er hat beim Abhängen in Parks und auf damals noch existenten öffentlichen Plätzen, "street knowledge" oder anders formuliert, einen seismographischen Instinkt entwickelt für die sozialen Fakten und Gegebenheiten, die L.A zu dem machen, was es ist. Disneyland, Entertainmenzentrum der westlichen Welt, Gartenstadt und Eingang zur Hölle.

stacy peralta

In der Dokumentation "Dogtown and Z- Boys" ging er der eigenen Geschichte nach. Er rekonstruierte mit Aufnahmen aus den 70er Jahren und neuen Interviews die Geburt des Skateboardens. 2005 wurde aus seiner Doku der Spielfilm "Lords of Dogtown" gemacht.

stacy peralta

Peralta erzählt in Interviews, dass er seit den L.A. Riots von 1992 seine Heimatstadt anders sieht. Eine Frage permanent in seinem Kopf herumwälzt: Warum kommt es in L.A. seit Jahrzehnten immer wieder zu Bürgerkriegsausbrüchen? Welche Fehler in der Stadtplanung und politischen Entscheidungen führten dazu, dass über 15.000 Todesopfer allein in L.A. im Krieg Crips vs Bloods zu beklagen sind?

stacy peralta

Es gibt viele mittelmäßige bis schlechte Dokus über Gangs in L.A. Meist von US-amerikanischen Fernsehsendern produziert. Ihr größtes Problem liegt darin, dass sie oft einen sensationalistischen, biographischen Ansatz verfolgen und anhand von Momenten aus der Geschichte von einzelnen Jugendlichen allgemeine Aussagen über schwarze Jugendliche in South Central treffen und somit rassistische Stereotypen bemühen. TV-Journalisten fallen wie Kriegsberichterstatter oder Forscher zur Kolonialzeit in Compton ein. Im Hinterhof des Hauses seiner Mama wird dann ein Kid mit gepixeltem Gesicht den Zusehern vorgeführt, welches das ewig gleiche Lied herunterleiert. Die Gesichte vom toughen Motherfucker, der man sein muss, um zu überleben, erzählt.

stacy peralta

"Crips and Bloods" unterscheidet sich grundlegend von diesen Machwerken. Sein Ansatz ist ein historisch soziologischer.
Er führt die Gangmitglieder nicht vor. Er montiert die Interviewausschnitte nicht mit distanziert moralisiserenden Untertönen. Man spürt, Peralta hat sich vor den Dreharbeiten mit den Menschen auseinander gesetzt. Es gibt da soetwas wie Vertrauen zwischen den Interviewpartnern.

stacy peralta

Menschen erzählen aus ihrem Leben und reproduzieren keine Gangmythen. Peralta lässt die Soziologen nicht kommentieren, sondern stellt ihnen und den Urbanisten die gleiche Frage wie den Gangmembers. Wie konnte es soweit kommen?

Rassismus, Segretation und verkackte Stadtplanung.

Den Grundstein zu dem Bürgerkrieg legte das LAPD, welches es als seine Aufgabe sah zu kontrollieren, dass Schwarze in schwarzen Wohngegenden bleiben. Wer die unsichtbare Grenze, einen Boulevard, überschritt, musste mit Polizeimisshandlungen und Schikanen rechnen. Die Watts Riots im Jahr 1965 waren ein kollektiver Aufschrei gegen Polizeibrutalität und Diskriminierung am Arbeits- und Wohnungsmarkt. Die drei älteren Herren, die Peralta in seiner Doku das erzählen lässt, waren die Gründungsmitglieder von L.A.s erster Gang. In den 50er Jahren wollten die drei Freunde Mitglied der Pfadfinder werden. Schwarze Jungs sind unerwünscht wurde, den 5-jährigen mitgeteilt und so gründeten sie ihre eigenen Verband, die Slausons.

streetgangs.com

Crips and Bloods: Made in America ist auf DVD erschienen und auch auf diversen Videoportalen zu finden.

In den späten 60er Jahren waren die Gangs in politische und soziale Strukturen eingebunden. Bunchy Carter, Mitglied der Slausons wurde einer der wichtigsten Black Panther-Aktivisten von Los Angeles. Wie viele seiner Brüder und Schwestern wurde auch er vom FBI ermordet. Das war im Jahr 1969. Durch das Fehlen dieser poltischen und intellektuellen Köpfe entstand für die nächste Generation ein ideologisches Vakuum. 1972 ging es los: Bürgerkrieg Crips gegen Bloods. Turf Wars, wer an welcher Ecke die vom FBI ins Ghetto gepumpten Drogen verkauft.

stacy peralta

Aus dem "Wir gemeinsam gegen Unterdrückung" wurde ein "Wir gegen uns", ein Kampf um jeden Straßenzug. Es wird in "Bloods and Crips Made in America" nicht ausgesprochen, dass diese Entwicklung im Interesse der politischen Kräfte war, die in schwarzen Bürgerrechtlern eine terroristische Bedrohung sahen, aber die Erzählungen und Bilder lassen stark vermuten, dass dies eine gesteuerte Entwicklung war.