Erstellt am: 16. 2. 2010 - 12:20 Uhr
Mauritania in a nutshell
Hamedi lacht. Der Lichtkegel seiner Stirnlampe hüpft im Dunkeln. „So schwarz, wie ich,“ hatte ein Freund gewitzelt. Und meinte damit Bénehméra, „den Ayer’s Rock von Mauretanien,“ wie ihn Hamedi stolz nennt. Der kleine Berg steht mitten in der Wüste und wegen seiner ebenmäßig gewölbten Form findet ihn Hamedi besonders schön. Außerdem ist es eine der seltenen Landschaftsmerkmale, die es entlang der Strecke „seines Zuges“ gibt. Des „Train au désert“, der längste Zug der Welt.
anna mayumi kerber
Eigentlich. Denn seine Länge hängt davon ab, wieviel Eisenerz an einem Tag abgebaut wurde. An Spitzentagen ziehen drei Lokomotiven 250 Waggons voll mit Eisenerz. Drei Kilometer misst der Zug dann. An dessen Ende gibt es noch einen Passagierwaggon. Dort kontrolliert Hamedi die Fahrscheine.
Dieser Teil seiner Arbeit nimmt nicht besonders viel Zeit in Anspruch. Wenn der Zug den Hafen von Nouadhibou verlässt, wo das Erz in Container auf Schiffe verfrachtet wurde, dann macht er noch kurz vor der Stadteinfahrt Halt. Der Bahnhof der zweitgrößten Stadt Mauretaniens ist nicht besonders groß. Im Sand wurde eine etwa 25 Quadratmeter große Fläche betoniert, an drei Seiten Wände aufgezogen und überdacht. Dorthin flüchten die Wartenden vor der Sonne, die nahezu jeden Tag hemmungslos herunterbrennt.
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Sie dösen im Sand liegend, pinkeln im Knien (wegen dem Wind), neigen sich in einem Kreis aus Felsbrocken gen Mekka oder kauen auf Schlehdornzweigen und schrubben sich dann mit den fasrigen Enden die Zähne. Ein paar dicke, in bunte Schals gewickelte Frauen verkaufen Kleinkram: Wasser, Kekse, Streichhölzer, Batterien, die nicht funktionieren. Dazwischen streunen ein paar Ziegen herum und knabbern an dem Müll, der überall verstreut liegt.
Train au désért:
mit bis zu 250 Waggons knapp 3 Kilometer lang
Strecke: Nouadhibou – Zouérat (rund 700 km)
Fahrtzeit: sehr, sehr unterschiedlich. Etwa 12 bis 19 Stunden.
seit 1963 in Betrieb
Hier gibt es mehr Informationen über die Islamische Präsidialrepublik Mauretanien.
Ein Ticket gibt es für 2.500 Ouguyia, umgerechnet knapp sieben Euro, egal wohin. Wer auf einen der Güterwaggons klettert, bezahlt zwar kein Geld, aber mit der Gesundheit. Dem aufgewirbelten Sand und dem Dreck des Eisenerz kann man auch schwer vermummt in der Hitze kaum trotzen. Bis zur Endstation sind es rund 690 Kilometer. Diese verläuft – nach Verlassen der Halbinsel, auf der Nouadhibou liegt – geradewegs nach Osten. Von der Küste weg, entlang der Grenze zu dem von Marokko besetzten Westsaharagebiet, mitten hinein in die Wüste. Nach zwei Drittel der Strecke, bei Choume, knicken die Gleise 90 Grad nach oben in den Norden und führen nach Zouérat. Dort laden die Tagwerker das Eisenerz auf bevor sich der „Train au désért“ wieder auf zum Atlantik macht.
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Knapp 40 Prozent seines Exportumsatz erwirtschaftet Mauretanien mit Eisenerz. Neben den Bodenschätzen verfügt das Land auch über eines der fischreichsten Gewässer vor seiner Küste. Diese Einkommensquelle droht aber dennoch zu versiegen, aufgrund massiver Überfischung asiatischer Konzerne.
Von solch einem hat Abdelaya Bâ die Poster in seinem Zimmer, die aus einem chinesischen Kalender stammen. Abdelaya ist Autohändler in Nouadhibou und manchmal auch Touristenführer. In beiden Berufen verdient er nicht schlecht, er kann sich eine eigene Wohnung und ein Auto leisten. Damit lebt er weit über dem Durchschnitt, der mit einem jährlichen Pro-Kopf-Einkommen von rund 1600 Euro auskommen muss. Ein Viertel der Mauretanier leben gar von weniger als einem Euro pro Tag.
Mit Touristen nimmt Abdelaya selten den Zug, dafür ist er auch nicht gedacht. Der Passagierwaggon ist ein mittleres Desaster. Die Vorsichtshinweise belegen, dass dieses heutige Halbwrack einst auf deutschen Schienen fuhr. Das war aber bevor die Sitzpolster herausgerissen und die Sechspersonenabteile ebenso verdreckt wurden, wie die Toilette; als man Fenster und Türen noch schließen und durch die Scheiben hinaussehen konnte. Nun verdicken aufgewirbelter Sand und Staub die Luft zu einem Nebel, der die Schleimhäute der Fahrgäste verklebt.
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Diese sind zumeist männlich. Händler, die Fisch und importierte Waren ins Landesinnere und Datteln von dort heraus führen. Arbeiter der großen, kommerziellen Fischerboote und Tagwerker. Vereinzelt sind auch Frauen an Bord. Sie haben ihre Familien in Nouadhibou besucht oder fahren zu diesen in Zouérat. Dann nehmen sie große Plastiktaschen und Kartons voll Waren mit, die sie in ihrem Kleinladen anbieten werden. Selten sind sie alleine unterwegs, es ziemt sich nicht in Mauretanien, das beinahe ausnahmslos muslimisch ist.
„Meine Frau müsste nicht arbeiten,“ meint Hamedi, Junggeselle mit 43 Jahren. „aber sie dürfte.“ Das Betreiben eines Kleinwarenladens etwa dulden sie, meinen auch die anderen Männer im Zug. Lieber sieht man die Frauen jedoch zu Hause bei den Kindern, beim Kochen, in Sicherheit. Man sorgt sich um das „zerbrechliche“ Geschlecht, wie Abdelaya es nennt. In der Tat wird auf Frauen Rücksicht genommen. Als die Mutter einer Zweijährigen zu Gähnen beginnt, stehen die Männer im Abteil augenblicklich auf, breiten eine Decke über die eine Sitzreihe aus. Die Frau darf sich ausstrecken, während die Männer sich auf dem Boden setzen und später mit dem Kopf auf den Knien einschlafen, immer wieder wachgerüttelt, wenn ein harter Ruck durch den Zug fährt.
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Wer noch aufbleiben will, winkt dem Teemann. Der kommt dann mit seinem Gaskocher, seiner winzigen Teekanne mit drei winzigen Teegläsern auf einem Tablett. Wasser mit Zucker in etwa derselben Menge, ein wenig chinesische Teeblätter und eine Handvoll Minze. In einem strikten Verfahren (das zahlreiches Ein- und Umschenken zur Schaumbildung – weil’s so hübsch ist – beinhaltet), wird ein sirupartiges Heißgetränk gebraut, „der mauretanische Alkohol,“ wie die Männer lachend meinen und auf das gesetzliche Alkoholverbot im Land anspielen.
Abdelaya schläft ohnehin nicht, wenn er mit einem Ausländer unterwegs ist. Er macht sich zu viele Sorgen. In jüngster Vergangenheit musste der mauretanische Tourismus ein paar harte Schläge einstecken. Ausgeteilt vom Terrornetzwerk El Kaida, das sich zu mehreren Entführungen auf mauretanischem Gebiet bekannt hat.
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Die Sicherheitsmaßnahmen für Reisende wurden dementsprechend erhöht. Der Aufenthalt von ausländischen Gästen wird streng protokolliert. Ob aber etwa ein Militärposten, der mitten in der Sahara scheinbar aus dem Nichts auftaucht und an dem Passkopien verlangt werden, diese Information auch tatsächlich einer zentralen Verwaltung zukommen lässt, ist fraglich. (Insbesondere, wenn der zuständige Offizier sich nicht nach einer neuen Kopie zu fragen traut, nachdem der Wüstenwind ihm die erste aus der Hand gerissen hat.)
Nicht nur Abdelaya macht sich Sorgen. Auch viele Urlauber – meist auf der Durchreise von Marokko nach Senegal – versuchen, ihren Aufenthalt in Mauretanien so kurz wie möglich zu gestalten. So kommt es, dass die Straßen von Chinguetti verlassen liegen. Obwohl die kleine Wüstenstadt sonst so hartnäckig ist. 777 zum ersten Mal errichtet, wurde sie bereits zweimal vom Sand verschluckt und wiederaufgebaut. Jetzt hängen die zahlreichen Touristenführer den ganzen Tag im Schatten herum und trinken Tee.
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Hamedi hat sein Teegeschirr inzwischen unter den Sitzen verstaut. „Zwei Stunden schlafen, dann sind wir in Choume,“ meint er, während er eine Decke ausbreitet. Es wird etwas länger dauern, aber um halb vier Uhr morgens ist es dann soweit. Tickets muss er keine kontrollieren, denn es steigt niemand zu.