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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

13. 2. 2010 - 21:32

Olympia-Log: Vancouver 2010, Tag 1.

Kultureller Reichtum. Und ein kurzer Alptraum.

Auf einen Blick: Olympia auf fm4.orf.at, alles aus Vancouver auf orf.at und das Olympia-Log.

In Bärenfell-Verteil-Manier hatte die Propaganda-Maschinerie für den ersten Tag bereits zumindest einen Olympiasieg und gegen drei Medaillen festgesetzt; und das, obwohl die Herren-Abfahrt heuer die schwächste alpine Herren-Disziplin war und obwohl die Springer-Formkurve für die Österreicher nach unten zeigte, wohingegen Amann und die Deutschen vorpreschten – also eigentlich wider besseres Wissen.

Dass es dann einer gehörige Portion Glück bedurfte, nach der Abfahrts-Absage nicht mit dem Schlimmsten, einem 4. Platz für den jungen Helden der Herzen (Modedesigner Gregor Schlierenzauer) leben zu müssen, wird im medialen Transport jetzt den üblichen Backlash-Modus einläuten.

Auf die maßlose Übertreibung der Marke Großkotz wird das Gewinsel der Marke „Krise“, oder womöglich „Böse Ausländer“ folgen – denn für sowas wie einen analytischen Mittelwert ist der Boulevard einfach nicht gebaut. Da müßte man von den Masterplänen „Ex-Größen plappern in Pseudo-Kolumnen Kaffeesud daher“ und „Alles außer ganz vorne ist voll hinten“ abweichen – und einen Plan B gibt es nicht.

Die Eröffnungsfeier als gelungene Selbstpräsentation

Daran wird auch der Todesfall in der Kunstrodelbahn (was mir als Naturbahn-Rodel-Freund natürlich Wasser auf die Mühlen bringt) nichts ändern: das ist hierzulande nur eine kleine Meldung.

Glücklicherweise fanden sich die positiven emotionalen Momente eh ganz woanders statt. Bei der Eröffnungs-Feier, die trotz klassisch-kitschiger Grundstruktur deutlich zeigte, wo das ganze passiert: in Kanada eben, einer Nation, der sowohl kulturelles Bewusstsein als auch eine Beschäftigung mit dem eigenen Zustand immer wichtig war und auch bei einem solchem Mainstream-Ereignis wichtig ist.
Man kann es sich leisten Joni Mitchells „Both Sides Now“ als Soundtrack für einen Peter-Panmäßigen Flugtraum herzunehmen, man leistet sich einen Beat/Slam-Poeten, der eine zugleich sprachgewaltige und durchaus verständliche Reflexion zu Land und Menschen rausspuckt, und man kann KD Lang aufbieten um das herzzerreißende Herzstück des großen Sohns Leonard Cohen so gut zu interpretieren wie sonst noch kein Mann zuvor.

Ich traue den Organisatoren durchaus noch Neil Young für die Abschluss-Feier zu.

Die Sache mit den hochkommenden Tränen

Dabei reicht es ja schon, wenn mein altes Hockey-Idol, der große Bobby Orr, als einer von 8 olympischen Flaggenträgern einmal ins Publikum winkt, um mir Nässe ins Auge zu treiben – ich bin da sentimental hoch drei. Mich macht ja schon die ungewohnt offensive Selbstpräsentation der American Natives, die hier „First Nations“ heißen, schlucken – auch wenn ich aus Umfeld-Berichten weiß, dass da intern einiges nicht stimmt.

Und wenn dann Wayne Gretzky, der All-Time-Hero, und drei Mitstreiter es schaffen das Missgeschick eines nicht hochgefahrenen Feuerträgers zu überspielen und es dann eben mit drei anstatt vier Beinen durchzuziehen, dann kommen mir die Vergleichszweifel in den Vorderkopf - wie hätte das alles in Salzburg ausgesehen?

Toni Polster und Hans Krankl singen ein Volksmusik-Medley, DJ Ötzi und Richie Lugner stammeln den Eid, Schröcksnadel und Stoss nutzen die Einführungsrede um gemeine Anwürfe neidiger Ausländer abzuschmettern, Anna Netrebko und Helga Rabl-Stadler löschen bei der Fackel-Übergabe das Feuer und Didi Mateschitz, der sich das Recht die Entflammung mittels eines Red Bull X-Race-Fliegers per Bombe abzuwerfen erworben hat, versenkt Wals-Siezenheim.

Gottseidank nicht in Salzburg

Gut, das ist nur ein realitätsferner Alptraum, aber allein die leicht zu antizipierende Treffsicherheit bei der Wahl der auftretenden Promis und Künstler sollte zu Heulkrämpfen führen (um die Tränen-Metapher von zuvor auf die Spitze zu treiben).

Klar hat es Kanada da leichter.
Aber auch hier bedarf es eines nationalen Gewissens, einer funktionierenden Bürger-Gesellschaft um die Jonis und KDs den Posern vorzuziehen, um die Gemeinsamkeit einer Einwanderungs-Gesellschaft und den schweren Weg, den es dazu bedarf, zu betonen anstatt sich in aufgesetzter Folklore und aufgepimpter Tourismus-Schleimerei zu verlieren, wie das in Österreich in jedem Fall passieren würde.

Denn die entsprechenden Proponenten würde es auch geben – sie sind hierzulande aber durch die Abwesenheit eines enstprechenden Diskurses und eines kulturellen Selbstbewußtseins nicht Teil des Oberflächen-Quatsches, den man in diesem Land schon für Diskussion hält.

So gesehen macht mich Vancouver 2010 schon am ersten Tag doch ein wenig froh.