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Elisabeth Gollackner

Subjektivitäten, Identitäten und andere feine Unterschiede.

15. 2. 2010 - 18:10

Ein Roman wie ein Road Movie: "Freelander"

"Niemals vergessen!" steht am T-Shirt einer jungen Frau, die am Straßenrand in Bosnien DVDs verkauft. Aber Professor Adum versteht nicht. Was genau soll niemals vergessen werden?

Das Cover von Freelander: Ein gelbes Auto

Schöffling & Co

"Freelander" von Miljenko Jergović;
aus dem Kroatischen von Brigitte Döbert,
erschienen bei Schöffling & Co.

Mit Professor Karlo Adum hat der bosnisch-kroatische Autor Miljenko Jergović einen widerwilligen Helden geschaffen: Karlo Adum, geboren in den 1940ern in Sarajevo, nach Zagreb geflüchtet, von einem Krieg in den nächsten, die Verinnerlichung des Krieges also, die personalisierte Ambivalenz eines Landstrichs, der sich nicht zu erholen scheint.

Adum ist Pensionist, seit kurzem Witwer, und er kann sich auf herzhaft-boshafte Art und Weise über seine Mitmenschen ärgern. Als er gebeten wird, nach Sarajevo zurückzukommen, um eine Erbschaft anzutreten, steigt er in seinen alten orangen Volvo und fährt los.
"Er war dem Volvo wie einem letzten Freund verbunden, wollte ihn aber trotzdem los sein, weil ihn das Auto an etwas erinnerte, das ihm Angst einjagte und von dem er nicht sagen konnte, was es war."
Die Pistole im Handschuhfach schützt ihn dabei vor allem vor seinen eigenen Gedanken.

Der Autor zwingt seine Hauptfigur zu einer Tour de Force, einem Kraftakt - nie mehr wollte Professor Adum das Land seiner Kindheit betreten. Und mit jedem Kilometer mehr schält sich die Wut aus diesem stillen, alten Mann, der so stolz darauf ist, Dinge, die er nicht mag, einfach vergessen zu können.

"Der Professor hatte den Eindruck, dass man hier absichtlich Katzen auf der Landstraße überfährt. Den Leuten ist langweilig, es ist nichts los, schon lange kein Krieg mehr, die internationale Verwaltung hat alles verboten, was die Menschen hier in der Gegend aufregend finden, und so bleibt ihnen nichts anderes übrig, als Katzen zu überfahren."

Wird der Mensch jemals aus der Geschichte lernen?
Miljenko Jergović scheint skeptisch zu sein - ausgerechnet sein Protagonist ist Geschichtslehrer a.D. und arbeitet hart daran, sich nicht zu erinnern. Doch während der langen Fahrt durch unendliche Landschaften schweifen seine Gedanken ab, er erinnert sich an den Bruder, der dem anderen Bruder den Daumen abhackt, an die gehängten Kommunisten vor der Kathedrale und an die Angst vor den bärtigen, bösen Tschetniks, die nachts kommen und den Kindern, die nicht schlafen wollen, die Hälse durchschneiden.

Ein gelbes Auto

Schöffling & Co

"Freelander" ist ein Buch wie ein Roadmovie, undramatisch und herzlich, lakonisch und ohne Pathos. Und während wir auf schlecht geflickten Straßen durch Kroatien und Bosnien Herzegowina fahren, während Professor Adum über die unendliche Dummheit der Menschen schimpft und in der Luft der Geruch von Ćevapčići und Knoblauch liegt, versteht man plötzlich, worauf der Autor hinauswill:

Miljenko Jergovic

C. C. Kelcec

Miljenko Jergović
© C. C. Kelcec

Er beklagt das Verschwinden des "Freelanders", eines staatenlosen Menschen, "einen, den es nicht mehr geben wird, einen Mann aus einem freien Land, ein Landstreicher ohne gültige Papiere, einer ohne Wurzeln." In den ständig wechselnden Staatsgrenzen Ex-Jugoslawiens liegt das gesamte Elend von Professor Adum.

Miljenko Jergović ist ein großer Geschichtenerzähler. Während des Balkankriegs berichtete der inzwischen 43-jährige Schriftsteller und Journalist aus dem belagerten Sarajevo. Im Roman "Freelander" plaziert er seine Botschaft ein weiteres Mal zwischen den Zeilen, und sie ist eindeutig: Krieg ist Irrsinn; er nimmt dem Menschen alles. Miljenko Jergović ist einer jener Autoren, die brillant und berührend gegen das Vergessen dieser Tatsache anschreiben.