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Barbara Köppel

Durch den Dschungel auf die Bühne des Lebens.

12. 2. 2010 - 18:15

"Wer macht so etwas?"

Kindesmisshandlung in österreichischer Kleinstadtidylle. Paulus Hochgatterer hat mit "Das Matratzenhaus" den Nachfolgeroman zu "Die Süße des Lebens" geschrieben.

Furth am See. In der fiktiven österreichischen Kleinstadt, die schon Schauplatz von "Die Süße des Lebens" war, kehrt der Frühling ein. In den Gastgärten werden Sonnenschirme aufgespannt. Die Kinder sind wieder auf ihren Fahrrädern unterwegs. Doch wie in jedem anständigen Krimi tun sich hinter der Idylle menschliche Abgründe auf.

Horn, der die psychiatrische Abteilung des örtlichen Spitals leitet, begegnet deren pathologischen Auswüchsen jeden Tag. Da ritzt sich eine Sechzehnjährige mit Rasierklingen den Körper auf, ein Mann gurtet seine Ehefrau ans Bett, andere schlagen und missbrauchen Kinder.
Während sich Horn seinen Patienten widmet, versucht Kommissar Kovacs den Tod eines jungen Maureres zu klären. War der Sturz vom Baugerüst Mord oder ein Unfall? Und gibt es einen Zusammenhang zu den geschlagenen Volksschulkindern, die von einer mysteriösen "schwarzen Glocke" in Angst und Schrecken versetzt werden?

Paulus Hochgatterer

Copyright: Deuticke Foto: Marko Lipus / www.literaturfoto.net

Paulus Hochgatterer, Schriftsteller und Kinderpsychiater. Beides hauptberuflich.

Die Tragweite und allmähliche Aufklärung der Kriminalfälle erzählt Hochgatterer aus verschiedenen Perspektiven. Seine Stärke liegt darin, in kleinen, scheinbar beiläufigen Beobachtungen nicht nur die Umgebung genauestens zu skizzieren, sondern auch seinen Charakteren unverwechselbare Züge zu geben. Selbst manchen Nebenfiguren, die man als LeserIn natürlich nie so nah kennenlernt wie Kovacs, Horn oder Bauer, den iPod-hörenden Mönch, wäre es unangenehm, wieviel eine einzige Begegnung über sie preisgibt. "Ich war eben schon immer einer, der Äußerlichkeiten genau registriert", erzählt Hochgatterer im Interview. Für jemanden, der als Kinderpsychiater arbeitet, und dabei oft den kleinsten Dingen eine Bedeutung geben muss, eine hilfreiche Eigenschaft.

cover das matratzenhaus

Deuticke Verlag

Das Matratzenhaus ist im Deuticke Verlag erschienen.

"Das Matratzenhaus" schildert nicht nur, was es anrichtet, wenn einem einmal, wie es auf gut österreichisch heißt, die Hand ausrutscht, sondern auch die Narben, die sexueller Missbrauch hinterlässt. Die betreffenden Passagen sind aus der Ich-Perspektive der dreizehnjährigen Fanni geschrieben, und Hochgatterer muss dabei nicht einmal explizit werden. Wiederum reichen knappe Sätze und hässliche kleine Details, um sich das gesamte Ausmaß des Grauens auszumalen.

Im Zimmer riecht es komisch. Ich weiß, was das bedeutet, und schaue mich um. Switi liegt nicht vor dem Bett, wo sie meistens liegt. Die Kleiderschranktür steht einen Spalt offen. Ich öffne sie ganz. Sie liegt eingerollt im untersten Fach, wie eine Katze. Sie blickt mich kurz an, dann presst sie die Augen wieder zu. Ich knie mich hin, fasse in den Schrank und ziehe sie heraus. Sie ist nass und stinkt.

Entgegen aller Erfahrungswerte aus der psychiatrischen Praxis - kindliche Opfer sexuellen Missbrauchs bleiben den Tätern meist ergeben - erlaubt Hochgatterer diesem Mädchen aber, sich gegen ihren Peiniger aufzulehnen. Vorlage für Fannis Phantasien sind Motive aus Tarantinos Rache-Epos Kill Bill. Und ähnlich wie the bride beginnt auch sie ein spezielles Training.

Sie liegt auf dem Bauch und ich erzähle ihr von dem Film, in der gelben und roten Hülle, den ich entdeckt habe, davon, was Menschen alles passieren kann, und von dem Schlag mit den fünf Fingern, der das Herz zum Stillstand bringt. Zwischendurch drücke ich ihr Gesicht gegen die gestreifte Matratze und sage dabei, sie soll die Augen offen halten.

Am Montag, den 15. Februar liest Paulus Hochgatterer aus seinem neuen Buch im Wiener Schauspielhaus. Der Eintritt ist frei!