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Arthur Einöder

POP: Partys, Obsessionen, Politik. Ich fürchte mich vor dem Weltuntergang, möchte aber zumindest daran beteiligt sein.

10. 2. 2010 - 15:29

Agentenfunkchansons und Zahlen

Element of Crime, die unersetzlichste deutschsprachige Band der Welt war auf Österreichtour. Ein Konzertbericht. Mit sehr schönen Bildern!

Element Of Crime, Wien Gasometer, 9. Februar 2010

Interviews mit Musikerinnen und Musikern sind so eine Sache. Da gibts die einen, denen du besser kein Mikro zum Sprechen unter die Nase hältst, weil sie all ihr Talent und ihre Hingabe für die Musik aufbrauchen. Die scheitern dann schon allein beim Versuch, ihre Musik zu erklären, oder Statements abzugeben, die über den Tellerrand namens Bühne beziehungsweise Aufnahmestudio hinausgehen.

Über ihre Songs sagt das natürlich nur bedingt was aus, weil es ja zum Glück auch Menschen gibt, die mit Musik um der Musik willen was anfangen können.

Dann gibts noch die Typen, die in Interviews außer Promo für ihr aktuelles Zeug nichts rausbringen. Meistens ist es aber so, dass irgendein Managementhansl mit einem Alice-im-Wunderland-mäßigen Wecker um den Hals neben euch sitzt und grinst und ständig darauf hinweist, dass die Interviewzeit jetzt noch genau 4 Minuten 30, 2 Minuten 10, 10 Sekunden, 4, 3, 2, 1... beträgt.

Das Glück, mit zwei so großartigen Künstlern und Menschen eine ganze Stunde lang backstage zu plaudern, hab ich entsprechend selten, und wer den FM4 Interviewpodcast abonniert, kriegt das in den nächsten Tagen auch ungeschnitten nach Hause geliefert.

Florian Horwath, live, Gasometer Wien

Pamela Rußmann

Florian Horwath

Romantik!

Die zwei großartigen Künstler und Menschen heißen Sven Regener, Sänger der Band Element Of Crime, und Florian Horwath, Sänger von Florian Horwath.

Sven Regener hat im Herbst auf derstandard.at gebloggt, und dort versucht, die Österreicher mit den Deutschen auszusöhnen, beziehungsweise umgekehrt. Wieso er das kann, wird im Interview schnell klar: er versteht das hauptstädtische Handwerk der Grantigkeit aufs Brillianteste. Noch dazu schafft er das, wozu in der 2-Millionen-Stadt Wien selten jemand fähig ist, nämlich Grant und Unfreundlichkeit voneinander zu unterscheiden.

Anders wärs ja auch kaum möglich, solche Songs zu schreiben. Straßenlieder, Seemannslieder, große Gefühle in der kleinen, eigenen Welt. Wobei sich Sven Regener ja immer energisch dagegen wehrt, ein Liebeslied als klein zu bezeichnen, dann da gäbe es nichts größeres. Gut zuhören, Dirk, das gilt dann wohl auch für deine tocotronicschen Imperative.

Und klein ist auch die Location nicht - das Wiener Gasometer ist schon seit Tagen ausverkauft. Und wie das halt in ausverkauften großen Hallen ist, stimmt sich das Publikum gern auf den großen Headliner ein. Eh schon wissen: Sprechchöre, Anfeuerungsrufe und so, bevor die Band auf die Bühne kommt.

Bei den White Stripes macht das Publikum entweder einen auf daaa-daddada-daaa-daaaaaa (Seven Nation Army) oder auf rhythmischen Sprechchor White!! Stripes!!. Bei Alkbottle ruft man schon zwei Stunden vorher nach den Bottle Buam. Und das pathologische Slaaaaaaaayeeer geht da auch leicht von den Lippen.

Einen Bandnamen wie Element Of Crime in so einen Chant zu verpacken, ist jetzt nicht super easy. Vor allem, weil das Publikum nicht aus fußballstadienerprobten Männern, sondern aus eng umschlungenen Pärchen besteht (Er: Elementoff Sie: Craaaiiiim). Wahrscheinlich ist das mit dem Bandnamen auch der Grund, warum Sven Regener in den Bühnenansagen das Händeindiehöhereißen und "Romantik!"-Brüllen etabliert hat.

Sven Regener

Pamela Rußmann

Sven Regener

Dinosaurier denken an dich

Die Setlist von Element Of Crime im Wiener Gasometer (ohne Gewähr!)

  • Kopf aus dem Fenster (Immer da wo du bist bin ich nie)
  • Am Ende denk ich immer nur an dich (Immer da...)
  • Deborah Müller (Immer da...)
  • Du hast die Wahl (Weißes Papier)
  • Immer unter Strom (Weißes Papier)
  • Schwere See (Weißes Papier)
  • In mondlosen Nächten (Immer da...)
  • Damals hinterm Mond (Damals hinterm Mond)
  • Bitte bleib bei mir (Immer da...)
  • You Shouldn't Be Lonely (Try To Be Mensch)
  • Don't You Smile (Try To Be Mensch)
  • Death Kills (Robert Zimmermann wundert sich über die Liebe Soundtrack)
  • Über dir der Mond (Robert Zimmermann...)
  • Jetzt musst du springen (Psycho)
  • Kaffee und Karin (Immer da...)
  • Euro und Markstück (Immer da...)
  • Immer da wo du bist bin ich nie (Immer da...)

1. Zugabe

  • Einer kommt weiter (Immer da...)
  • Delmenhorst (Mittelpunkt der Welt)

2. Zugabe

  • Weißes Papier (Weißes Papier)
  • Draußen hinterm Fenster (Weißes Papier)

3. Zugabe

  • Vier Stunden Vor Elbe (Damals hinterm Mond)

4. Zugabe

  • Der weiße Hai (Immer da...)

So, jetzt aber endlich zum Konzert. Die Tour, die Element Of Crime aktuell durch den so genannten deutschen Sprachraum führt, steht im Zeichen des neuen Albums Immer da wo bist bin ich nie. Entsprechend gehts auch mit dem Opener los. Kopf aus dem Fenster, ein wilder Roadtrip, bei dem ich gern wissen würde, was Sven Regener hinter der Bühne gemacht hat, damit er seine Stimme dermaßen raubeinig und kratzig hinkriegt. Enrico Caruso brauchte Äther, gurgelt Sven Regener mit Essigsäure?

Jedenfalls ist das neue Album wohl das amerikanischste bisher. Geiger Christian Komorowski verstärkt die Band auf der Tour. Meistens jault die Violine, als würde sie uns in der Fußgängerzone ein paar Euro abschnorren wollen, sehr straßenmusikantisch, bei Kopf aus dem Fenster ist das neue Element der Band als fiedelnder Rotnacken im Saloon unterwegs.

Nach dem Eröffnungsstück folgt Am Ende denk ich immer nur an dich und danach Deborah Müller. So weit, so CD. In irgendeiner Review hat jemand über ein Konzert der aktuellen Tour geschrieben, dass die neuen Stücke nicht einmal besonders stören. Eine bodenlose Gemeinheit gegenüber dem neuen Baby einer Band eigentlich, aber wohl das, was sich viele Fans denken.

Das Problem mit den Dinosauriern unter den Bands ist ja, dass sie im Schneeballeffekt von Beginn ihrer Karriere an, Fans sammeln. Weil aber Lawinenmetaphern im Moment gar nicht gehen, kürz ich die Sache ab: es ist verdammt schwierig, treue Fans bei der Stange zu halten.

Und obwohl das Publikum ein wenig braucht, um auf Touren zu kommen, und den Beginn noch eher verhalten aufnimmt, ist beispielsweise Am Ende denk ich immer nur an dich ein Element Of Crime Song aus dem Lehrbuch: Schaukelndes Spielplatzkind verliert Schuh, der auf Auto landet, das Gemeinsamkeit mit dir hat.

Von wegen Element Of Crime Lehrbuch. Was ich an der Band super finde, ist dass sie seit beinahe 24 Jahren eigentlich immer das gleiche Lied schreiben. Es heißt zwar immer wieder anders, und klingt auch nicht gleich, ist aber das selbe Lied. Alles nicht wahr, kontert Sven Regener im Interview, es sind drei Songs, die er immer schreibt. Zumindest seitdem die Songs auf deutsch sind, und das ist auch schon eine Weile her. Damals hinterm Mond erschien 1991.

Element of Crime, live, Gasometer Wien

Pamela Rußmann

Weißes Papier

Nach den drei neuen Stücken folgt ein Dreierblock aus Weißes Papier. Du hast die Wahl, ein Song der alle SPÖ-Funktionäre in Wien-Simmering frohlocken ließ (und das, obwohl da ausnahmsweise gar keine U-Bahn vorkommt), wie es scheint. Bei der Kann sein...-Textzeile war nämlich erstmals so etwas wie stimmlicher Support aus dem Publikum zu vernehmen, das sich bis dahin mit dem Schicken von Luftballons quer über die Köpfe der Zuschauer vergnügt hat.

Schwere See zum Abschluss des Weißes Papier-Blocks hat dann die Gasometerhalle in blaues Licht getaucht. So simpel die musikalischen Arrangements von Element of Crime sind, so minimal auch das, was andere wohl Bühnenshow nennen. Erstaunlich, wie toll die Effekte trotzdem (oder gerade deswegen?) wirken.

Seitdem Florian Horwath auf diesen schwarzgelben Seiten über seine Tour mit Element Of Crime bloggt, weiß ich auch, wie diese großen Banner in der Fachsprache heißen, die Bands manchmal hinter ihnen auf der Bühne aufhängen.

Sven Regener, Sänger von Element of Crime, live, Gasometer Wien

Pamela Rußmann

Das Alter und der Mond

Im Konzert geht es dann mondlastig weiter. Auf In mondlosen Nächten vom neuen Album folgt Damals hinterm Mond, bis in Bitte bleib bei mir dann endlich das Wort "Ex-Spargelkönig" Bühnenpremiere in Wien feiert.

Dass Sven Regener dem Meister der seltsamen Worte in Songtexten, Funny van Dannen, in nichts nachsteht, wissen wir zwar schon seit dem Gastauftritt von Skippy, dem Buschkänguru auf der Straßenbahn des Todes. Wie das mit den Altersbeschränkungen für Spargelköniginnen so ist, warum man nicht am Monatsanfang sterben sollte, und was das alles mit Straßenbahnen zu tun haben könnte, erfährt man wie immer erst bei Element Of Crime.

Während sich Popmusik ja gewöhnlich mit dem Älterwerden befasst, taucht Sven Regener langsam aber sicher in ein komplett neues Genre ein, das vom Altsein singt. Ironisch natürlich, versteht sich. Aber ganz im Ernst: Müssen Merchandise-T-Shirts für Männer mit der Aufschrift "Too Old To Die Young" tatsächlich sein? Während es für Frauen nur T-Shirts mit dem "Jung & Schön"-Aufdruck gibt? Überhaupt strapaziert Element Of Crime das Bild vom alten, verdorbenen Sack, der auf den erlösenden Kuss der jungen Alten-Sack-Versteherin wartet, am neuen Album fast schon ins Bizarre. Immerhin, in der Woche des Lugnerballs werte ich das jetzt mal als Gesellschaftskritik.

Drummer, Element of Crime, live

Pamela Rußmann

Agentenfunkchansons und Zahlen

Vor mehr als 20 Jahren, in den Anfängen von Element Of Crime, war die Mauer noch hoch, waren die Texte noch englisch, nur die Seelen waren immer schon alt.

Das Englisch des Sven Regener ist übrigens immer noch sehr charmant. Denn obwohl er "He didn't deserve you" militärisch bundesdeutsch ins Mikro bellt, tragen die nun folgenden beiden Songs vom Try To Be Mensch-Album den herrlich spröden Charakter eines alten Möbelstücks, von dem man sich nicht trennen kann. Jede Wette, dass Element Of Crime mittlerweile an die fünfzig bessere Songs geschrieben haben. Wer aber Anfang der Achtziger in Berlin dabei war und noch nicht vollkommen hinüber ist, und dazu noch das Glück hat, dass es seine Band sogar noch gibt, muss damit selbstbewusst umgehen und seine Agentenfunkpunkchansons einfach live spielen.

Und von wegen bessere Songs, und weil alle irgendwie traurig waren, dass genau IHR Lieblingslied nicht im Set dabei war: An die 120 haben Element Of Crime bereits auf CD veröffentlicht. Beim Konzert haben sie 24 gespielt. Dass da genau deine 24 Lieblingssongs gespielt werden, hat eine Wahrscheinlichkeit von 9 mal 10 hoch minus 26. Selbst für einen Lottosechser brauchst du da rund 19 Nullen weniger hinterm Komma. Und dabei hat ein Lottosechser nicht einmal ein neues Album zu promoten.

Und hat im Normalfall auch nur eine Zusatzzahl. Element Of Crime hingegen haben sich zu ganzen vier Zugaben hinreißen lassen und dabei nicht nur die Fans zu Jubelstürmen hingerissen, sondern auch zwei langgepflegte Theorien meinerseits verworfen: erstens, dass nur Bands, die ich nicht mag, viele Zugaben spielen. Und zweitens, dass ein Konzert noch nicht zu Ende sein kann, bevor der Sänger seine Band vorgestellt hat. Namentlich und mit Applaus einzeln und so. Geht eine Band von der Bühne und hat sie sich noch nicht vorgestellt, kannst du dir im Normalfall sicher sein, dass sie nochmal auf die Bühne kommt. (Extremlinge wie Borg-Kollektive oder The Locust einmal ausgenommen.)

Sven Regener an der Trompete

Pamela Rußmann

Vielen Dank für die schönen Fotos, Pamela Rußmann!

Bei Element Of Crime wars dann ein letztes "Danke! Servus! Tschüß! Element Of Crime!", nachdem die Lichter an- und die heile Konzertwelt untergegangen ist.

Dabei war ich mir bei Vier Stunden Vor Elbe noch so sicher, dass dieses, unser Schiff, in dessen kleine morsche Kajüte ich während des Songs blicken durfte, niemals kentern würde. Dass die flackernden, warmen Glühbirnen, die von der Decke auf die Seekarten des Kapitäns Regeners leuchteten, uns schließlich dort ankommen lassen, wo Stromableser die Stromzähler zu Brei schlagen, wo wir Lieder zum Lob einer besseren Welt singen, wo wir uns mit Blumen beschießen und immer irgendwo eine Straßenbahn fährt.

Vielleicht sind wir aber eh schon dort, und es weiß halt keiner.

BONUS

Das Interview, das ich mit Sven Regener und Florian Horwath vor dem Konzert geführt habe, in der Radiokurzfassung.

Teil 1: Sven Regener schreibt seit über 20 Jahren nur drei Songs immer und immer wieder. Was das mit Elvis Presley zu tun hat? Und warum Sven Regener für den Standard oder die taz bloggt, und dafür das Übel von Web 2.0 in Kauf nimmt?

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Teil 2: Florian Horwath und Sven Regener haben einiges gemeinsam. Regener hat das letzte Florian Horwath Album abgemischt, Frau Regener ist Herrn Horwaths Managerin und in Berlin haben sie einander beim Ausgehen häufig getroffen. Außerdem sind beide exzellente Songwriter. Wie gehen die beiden ans Songschreiben heran?

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