Erstellt am: 9. 2. 2010 - 17:25 Uhr
Olympia-Log: Vancouver 2010, noch 3 Tage.
Auf einen Blick: Olympia auf fm4.orf.at, alles aus Vancouver auf orf.at und das Olympia-Log.
Österreich, die weltweite Wintersport-Nation Nummer 3, nimmt, so heißt es seit Wochen auf allen Vorabbericht-Kanälen vollmundig, an allen Bewerben der Spiele in Vancouver teil - außer im Curling und im Eishockey (wo man die Qualfikation halt nicht geschafft hat).
Das ist nur die halbe Wahrheit.
Die wiederum kaschiert eine Wunde, deren Verdrängung viel Lobby-Arbeit und PR-Mühen gekostet hat.
Das gesamte österreichische Langlauf-Team umfasst nämlich exakt eine Dame, Katerina Smutna, die seit 2007 für Österreich durch die Loipen fegt und im Sprint sogar Außenseiter-Chancen auf einen vorderen Platz hat.
Herren sucht man im Langlauf-Aufgebot vergeblich. Die sechs Bewerbe (der Sprint, die 15 km, die Verfolgung, die 50 km und die beiden Staffeln) werden ohne österreichischen Teilnehmer stattfinden.
Offensive Nicht-Behandlung
Komisch, nicht?
Da war man doch gut bis kürzlich, es gibt da doch einen Olympiasieger von 2002, oder? Und so mies, dass sich da gar keiner qualifizieren konnte, wird man doch nicht sein?
Und, noch viel komischer: Warum ist diese verblüffende Abwesenheit bei einer der zentralen Disziplinen dieser Spiele medial so gar kein Thema? In den jetzt schon aufgeregt und aufgeplustert daherkommenden Olympia-Specials des Boulevards war bislang keine einzige Zeile zu finden, in den TV-Previews kein Ton zu hören.
Die Abwesenheit der heimischen Langläufer geheimzuhalten funktionierte so effektiv, dass außerhalb eines Auskenner-Zirkels kaum jemand Bescheid wusste, dass also der normale Zuschauer/Konsument da erst draufkommen wird, wenn man sich bei den Langlauf-Übertragungen frei nach dem Wo ist Behle?-Klassiker die Augen reibt und staunend den kompletten Start-Verzicht des gesamten Teams zur Kenntnis nehmen muss.
Es wird dann am braven österreichischen Live-Kommentator hängenbleiben die Zusammenhänge zu erklären.
Und das ist recht feig.
Feigheit und Verdrängung
Feig vom ÖOC, dem olympischen Komitee, feig vom ÖSV, dem Skiverband, feig von den Boulevard-Medien, feig von allen, die sich an der kollektiven Verdrängungs-Aktion mitschuldig gemacht haben.
Man könnte nämlich auch ganz offen damit umgehen.
Man könnte etwa sagen: Ihr wisst, da gab es diesen kleinen aber handfesten Doping-Skandal in Turin, bei den letzten Olympics 2006, Hausdurchsuchung im Haus der Langläufer, ein paar kleinere Blutwasch-Indizien-Funde, die spektuläre Flucht des Walter Mayer, samt Trunkenheit am Steuer, polizeilicher Verfolgungsjagd und Crash; und da waren dann die Sperren, Sportgerichtsurteile, die Streitereien und Aufhebungen; und wir haben allesamt patschert reagiert - ÖOC und FIS sich gegenseitig die schwarzen Peter zugeschoben, Schröcksnadel den Schreckenssager vom Land, "to small to make good doping" getan, und uns vorm Rest der Welt blamiert.
Das hat, und auch das könnte man offen aussprechen, dazu geführt, dass der eigentlich beste Kandidat, Salzburg, nicht nur bei der Wahl zum olympischen Austragungsort 2010 sondern auch bei der darauffolgenden ostentativ und mit Bomben und Granaten durchgefallen ist - weil das IOC, weil die olmypischen Wächter und auch der internationale Skiverband, die FIS, das großkotzige Auftreten der Österreicher in Verbindung mit einer dubiosen Einstellung zur Doping-Verfolgung nämlich gar nicht leiden mochte.
Und da Eiszeit herrscht.
Akkordiertes Schweigen
Weshalb man sich, und auch das könnte man durchaus und offen aussprechen, in der Besetzung für Olympia 2010 dazu durchgerungen hatte, auf jegliche Teilnehmerschaft im inkriminierten Herren-Langlauf zu verzichten; selbst im Sprint, wo man ein paar junge Kräfte am Start gehabt hätte.
Man wäre eben der Überzeugung, dass so eine "Wir tun- Buße"-Geste des guten Willens gut rüberkommt, dass man (etwa auch mit einem Start des wegen Blutwäsche angschuldeten Christain Hoffmann nicht provozieren wollte.
Hätte man alles sagen können, ganz offen (wie es die ÖSV-Älpler immer für sich in Anspruch nehmen) oder auch verbrämt durch die Blume (wie das die slicken ÖOC-Diplomaten gern tun).
Stattdessen: silencio stampa.
Mehr noch: akkordiertes Schweigen mit Hilfe einer gleichgeschaltet wirkenden Presse.
Als sich in der Vorwoche einer der Hauptschuldigen am ganzen Gwirks, der unbelehrbare Walter Mayer in einem (hauptsächlich ihn selber beschämenden und beschädigenden) Interview zu Wort meldete und laut prustend Öl ins Feuer goss (die anderen sind deppert oder Hitlers Generäle, ein bissl dopen muss doch möglich sein, die Aufregung wäre scheinheilig, ihm nix nachgewiesen...), gab es nur verschämt-verschwurbelte in inexistente Bärte gemurmelte Reaktionen - man ließ auch diese Gelegenheit, sich mit einer klaren Ansage zu profilieren, vorüberziehen.
Schade.
Aber innerhalb des Konstrukts, in das sich die Beteiligten selber hineintheatert haben, auch logisch.
Warum es zu einer öffentlichen Klarstellung nicht reicht hat nämlich (zumindest) vier Gründe.
Wie ÖOC-Chef Stoss sich im Slalom durch die Probleme laviert, kann man hier im Standard-Interview nachlesen.
Zum Einen fühlen sich ÖOC und ÖSV ganz eindeutig schuldig: nur das erklärt das schamvolle Theater der Uneindeutigkeit rund um die Vorfälle von Turin. Und da fällt drüber reden eben schwer.
Schamhaftes Schuldeingeständnis
Zum Zweiten tritt man in den damals ebenso betroffenen Biathlon-Bewerben sehr wohl an. Das hat damit zu tun, dass dort gleich viel rigoser reagiert und gestraft wurde und auch damit, dass Biathlon an sich nicht dem Ski-Verband FIS angehört (sondern in der IBU organisiert ist).
Absurderweise ist der völlig hausmachtlose österreichische Biathlon-Haufen (vor dem Skandal nur der Blinddarm der Langläufer) innerhalb des ÖSV angesiedelt. Und seltsamerweise schaffte man es in der Kommunikation zwischen ÖSV und IBU, was sich in der Kommunikation zwischen ÖSV und FIS (Stichwort: Eiszeit) nicht ausging. Von der schlecht gelaufenen Kommunikation (und vor allem den überflüssigen Querschüssen und uneinsichtigen Abblockereien, die allesamt in der Tonalität Mayers durchgeführt wurden) mit dem IOC gar nicht erst zu reden.
Die Blutdoping-Schuld der Bi-Athleten Perner und Rottmann und die ihres Trainers Hoch wurde nie angezweifelt oder geleugnet - wie das bei Mayer und den Langläufern bis heute der Fall ist. Weshalb die neue Generation (Landertinger, Mesotitsch, Sumann...) auch ohne große Anfeindung starten kann.
Das alles erklären zu müssen, hieße das verfehlte Krisenmanagement des ÖSV zu thematisieren.
Zum Dritten ist es hier so wie immer im Spitzensport: Unangenehmes wird in einer Art Staatsvertrag zwischen Politik, Wirtschaft, den Verbänden und den Medien unter Kontrolle gehalten. Es gibt durchaus Vorkommnisse aus früheren Zeiten, in denen die Doping-Kontrollen noch hauptsächlich den nationalen Agenturen unterstanden, die so unter Verschluss blieben. Die Globalisierung des Kampfs gegen Doping hat die Funktionärs-Köpfe noch nicht wirklich erreicht. Weshalb etwa die mutigen Recherchen etwa der Kurier-Sportredaktion (die dann auch den erwähnten Olympiasieger Christian Hoffmann zu Fall brachten) immer noch als Nestbeschmutzung ausgelegt werden. Da der erste echte Sportminister seit Ewigkeiten hier aber eine strikte Linie verfolgt und erstmals auch seriöse Gesetze forciert, bröckelt die wichtigste Komponente dieser Seilschaft weg.
Spirale der Angst
Zum Vierten hält man - wie immer, und das nicht nur im Spitzensport - das Publikum für weitaus zu blöd um all diese Zusammenhänge zu verstehen.
Letztlich ist das dieselbe Denke die ich hier im unteren Teil angesprochen habe: man zieht zuerst populistische Kategorien zu Rate, beschließt sich nicht zu bewegen oder nicht zu trauen, weil jede Aktion Kritik nach sich zieht und eventuelle Gegner, die dann noch populistischer argumentieren, auf den Plan ruft.
In dieser Spirale der Angst vor Offenheit und Transparenz, in dieser mutlosen Unbeweglichkeit notwendigen Maßnahmen und Entscheidungen gegenüber hält sich aktuell nicht nur die Politik selber gefangen - auch die großen Sport-Verbände agieren nach genau diesem Muster.
Und die Ausrede, dass die Menschen zu doof sind und sich mit einfachen Erklärungen, simplen Helden-Abziehbildern und ein paar lässigen Bildern und Emotionen abspeisen, genügt da oft.
Auch weil sie bis zu einem gewissen Grad stimmt.
Erst dann, wenn sich die Öffentlichkeit, eine halbwegs gut informierte Fan-Basis, das Recht auf Nachfrage und Kritik herausnimmt (wie das aktuell im Fußball zumindest in Ansätzen spürbar ist) wird Bewegung in dieses starre System kommen.
Bis dahin werden weiterhin alle für blöd verkauft und mit Halbwahrheiten gefüttert werden. Und werden zum Großteil erst während der Langlauf-Bewerbe zur Kenntnis nehmen, dass "wir" da gar nicht dabei sind. Und sich dann ihren Teil denken. Oder auch nicht.