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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

7. 2. 2010 - 12:54

EM-Journal '12-1.

Lesen im Kaffeesud. Warum anlässlich der Auslosung für die EM 2012 mit todernster Miene nur Blödsinn geredet werden muss, je Experte, desto mehr. Und ein kurzes Paninibildersammeln der Fußball-Fan-Gehirne: das Chancentauschen.

Die Qualifikation für die Europameisterschaft 2012 in Polen und der Ukraine wird von Herbst 2010 bis Winter 2011 stattfinden.

Österreich spielt in der ersten von 9 Gruppen, der Gruppe A gegen Deutschland, die Türkei, Belgien, Kazachstan und Azerbeidjan.

Das Tolle an den Auslosungen von Großereignissen, egal ob finales Turnier oder Qualifikation, ist - neben der kurzen aber doch triftigen Spannung im eigentlichen Prozess - das sofortige Gehirn-Lego danach. Jeder, der sich auch nur ansatzweise dafür interessiert, kramt seine Assoziationen zu den zugelosten Gegnern aus den Gedächtnis-Schubladen und berechnet in großer Geschwindigkeit den Hoffnungs-Index für sein Nationalteam. Wenn Zeit bleibt, werden auch noch für andere Lieblingsmannschaften individuelle Prozente errechnet.

Dann geht es an die Lieblingsbeschäftigung der geneigten Fankultur: das Abtauschen.
Das spielt sich noch schärfer ab, als beim Fußball-Bilder-Sammeln: Man setzt seine irgendwie aus sich selbst erarbeitete Einschätzung gegen die der anderen, versucht zu überzeugen und lässt sich überzeugen. Wie an einer gigantischen Börse misst dann eine Nation ihr kollektives Gefühl aus.

Dabei spielen natürlich nicht nur Hochjubilier- oder Miesepeter-Medien eine große Verstärker-Rolle, sondern auch die sogenannten Experten.

Je Experte, desto Unfug

Wer jemals das Gewäsch dieser vorgeblichen Auskenner evaluiert hat, sprich: sich nach einer ausgespielten Quali oder einem Turnier angschaut hat, was die expertischen Prognosen wert waren, der weiß: diese Profis haben nicht die geringste Ahnung, je Österreich, desto weniger.

Das hat damit zu tun, dass sie es genauso machen wie wir: sie setzen ihre privaten Odds auch aus der persönlichen Erfahrung und aus puren Assoziationen zusammen. Und die bleiben meist auf niedrigem Niveau der Sorte "I hob dena Bloßfiaßige domols drei Tirl einegmocht!" oder "De woan imma scho stoak!"

Über den aktuellen Zustand der jeweiligen Nationalmannschaften haben die Experten nicht die geringste Ahnung, sie kennen meist nicht einmal die aktuelle Zusammensetzung. Und selbst wenn sie das wissen würden (was Klasse-Experten aus Fußball-Nationen mit einer entsprechenden Medien-Kultur tun) tät das nix nützen.

Geschnarrte Platitüden

Im Fall der heute erfolgten EM-Quali-Auslosung in Warschau ist es etwa doppelt sinnlos den künftigen Kaffeesud zu lesen. Denn selbst wenn man jetzt die Stärke einzelner Team berechnet: Niemand weiß, wie sich die WM im Sommer entwickeln wird, wer sich dort durchsetzen, wer danach zurücktreten wird. Niemand kann also sagen, was dann ab Herbst '10 fußballerisch Sache sein wird. Niemand.

Gutes Beispiel der letzten Quali: Rumänien. Die hatten eine brillante Euro-Quali und ein mäßiges Euro-Turnier, wurden entsprechend über- und unterschätzt, meist ohne dass ein Experte einen Namen außer Koks-Mutu memorieren konnte. Man hatte schlicht keine Ahnung.

Trotzdem schnattern und schnarren die Experten im Moment in dem die Auslosung beendet ist. Und geben zwangsweise Platitüden von sich. Dass Deutschland eine Turniermannschaft ist und sich steigern kann, dass es keine kleinen Gegner mehr gibt, dass Mannschaften aus dem Osten unangenehm zu spielen, dass Skandinavier körperlich robust und maritime Gegner technisch versiert sind. Also übersetzt: blablablabla.

Warum wir uns diesen Schwachsinn trotzdem anhören, hat mit der oben erwähnten Tauschwut von Einschätzungen zu tun. Einschätzungen, die millionenfach ins Blaue hineingeraten werden. Weil wir nicht nur keine Ahnung vom und Angst vorm Fremden haben, sondern diese Ahnungslosigkeit auch noch zelebrieren.

Lässigkeit und Ignoranz

Dass Österreichs Granden da spezielle Kandidaten sind, hat sich herumgesprochen. Constantini und Co. haben nicht nur keine Ahnung von Fußball im Ausland (was sie bei jeder Gelegenheit gern betonen und auch stetig beweisen) - sie sind auch noch stolz drauf; wohl um eine bestimmte populistische Grundstimmung im Land wie eine Surfwelle auszunutzen und sich über ignorante Lässigkeit interessant zu machen.

Ich hab mich gerade überprüft: auf mehr als sechs bin ich auch nicht gekommen...

Zu Belgien etwa kann jetzt nach der Auslosung kein Experte auch nur mehr als drei aktuelle Nationalspieler nennen - trotzdem wird wild und mit ernstem Gesicht eingeschätzt werden. Das ist belustigend, aber akzeptabel, weil man sich ja informieren kann.

Ob sich allerdings Constantinis Trainerteam mit derlei überflüssiger Info noch vor dem Sommer herumschlagen wird? Ich bezweifle es.

Im Fall der Türkei sollte wenigstens jeder die Spiele von Sturm gegen Galatasaray gesehen und so ein bisserl Ahnung von ein paar Spielern haben. Außerdem hat man das Team ja im letzten Winter eh auch in Wien gesehen.

Ich freu mich schon auf die immer auftauchenden Probleme, wenn die Ahnungslosen, Verzeihung; die Experten sich mit der Türkei konfrontieren müssen, wo die Kicker Künstlernamen tragen und uns dann die Sabris als Sarioglus verkaufen wollen.

Und ich freue mich ebenso auf die Trottel-Klischees, die sich anlässlich des Aufeinandertreffens mit Deutschland ergeben werden, egal ob von populistischen Medien oder den Millionen diesbezüglichen Experten.

Kaffesud

Im übrigen werde ich jetzt genau das machen, was ich als blöd aber unvermeidlich abgestempelt habe: einschätzen.

Apropos Kasachstan: da gibt es tatsächliche Experten und einer spricht sogar eine Constantini verständliche Sprache: Christoph Westerthaler war zumindest in gutem Kontakt mit dem kasachischen Verband. Den anderen, Milan Oraze würde der Teamchef auch persönlich kennen, also...

Ich schätze, dass Österreich in dieser Qualifikation wieder nur lernen kann. Und dazu gute Spielkameraden bekommt, die erwähnten Türken und Belgier nämlich. Dazu kommt noch die weitestmögliche Reise, die in Bartensteins Lieblingsland; und eine Wiederbegegnung mit Azerbeidjan und mit den jenseits jeglicher Reichweite befindlichen Deutschen.

Ob es in, sagen wir, der Gruppe F mit Kroatien und Griechenland, die optisch am schwächsten aussieht, wirklich leichter gewesen wäre, ist im übrigen auch zu bezweifeln. Außerdem ist letztlich jedes Team, das aus dem vierten Topf in die Gruppen hineingelost worden ist, für zumindest ein gutes Resultat gut.

Pappnasen

Mir ist jeder recht, der jetzt für sich selber Bezugssysteme aufbaut und auf gut Glück einschätzt.
Ich muss aber ab jetzt die nächsten Tage über jeden Clown, der mit ernstem Gesicht, aber völlig pappnasiger Unwissenheit auf groteske Allgemeinplätze und zumindest 10 Jahre alte Pseudo-Infos und gefühlte Ansichten zurückgreift, herzhaft lachen.
Nicht weil deren Meinungen so lustig sind (sind sie nicht), sondern weil die den Schund, den sie daherplappern, mit so großer Ernsthaftigkeit versehen.

Nehmt diese Menschen also nicht ernster als euch selber.