Erstellt am: 6. 2. 2010 - 15:21 Uhr
Phasen des Kurzen
Es gibt Zeiten in meinem Leben, da ich quasi dem Serienwahn verfalle. Keine Ausdauer für Dokus oder Spielfilme habe. Beim gedruckten Wort verhält es sich ähnlich. 300-seitige Romane entlocken mir dann höchstens ein „Geh, Bitte“ und auch gerade jetzt war mal wieder Short Story Zeit. Der Doppelpack bestand aus „Bang Crunch“ von Neil Smith und „Tausend Trottel“ von Quim Monzó.
Smith ist Kanadier, hat gerade debütiert, arbeitet im richtigen Leben als Übersetzer. Monzó kann man als arrivierten Schriftsteller bezeichnen, sein erster Roman erschien 1976, der Katalane hat als Kriegsberichter-
statter gearbeitet, wie auch als Comiczeichner, Song- und Drehbuchschreiber, Übersetzer und Radiomacher.
Beide Autoren besitzen diesen durchwegs "anderen" Blick auf die Realität, nicht selten mit einem Schuss Melancholie gewürzt; wobei Smith gerne mal ins Fantastische abdriftet, Monzó hingegen die Wirklichkeit überspitzt, bis sie zur Fratze verzerrt ist.
Tausend Trottel
Joachim Unseld
Das Buch des Spaniers enthält 19 Kurz- und Kürzestgeschichten. Und wie das auch bei Serien so der Fall ist: Manche Episoden funktionieren nur suboptimal, was selbstverständlich nichts über die gesamte Staffel aussagt. Bei Monzó gilt das suboptimal für die Kürzestge-
schichten, die sich im hinteren Teil des Buches finden. Aber schmuckstückhaft ist der Rest.
Wie der Titel schon sagt: Trottel sind es, die sich hier tummeln. Manche bedauernswert zärtlich, andere idiotisch planend, dritte unbedarft gemein.
Frankfurter Verlagsanstalt
"Tausend Trottel" von Quim Monzó, übersetzt von Monika Lübcke, ist bei der Frankfurter Verlagsanstalt erschienen.
Da ist etwa die Geschichte eines bindungsunwilligen Mannes. Der sich, als er erfährt, dass die Dame seines Herzens todkrank ist, doch zum Zusammenleben entschließt. Allein, das Glück tut ihr mehr als gut und da steht er nun, der arme Tor.
Ähnlich ergeht es einem angesehenen Dichter. Eines Tages lobt er einen aufstrebenden Autor, doch diese Laudatio verselbstständigt sich. Am Ende hat er den jungen Kollegen durch zuerst vergessliches, dann bewusstes Meiden vor den Kopf gestoßen. Und als der Neue die Nase vorne, der Ruhm sich ein neues Zuhause gesucht hat, lässt die Rache nicht lange auf sich warten.
Monzós Sprache ist nüchtern, dabei pointiert-humorig beschreibend, mit dem einen oder anderen aufblitzenden Funken Lebenserfahrung.
Für Neil Smith wiederum könnte gelten, was Quim Monzó in der Geschichte über die verunglückte Dichterfreund- und damit Feindschaft schreibt: Als er schließlich den Erzählband zuklappt, hat er das Gefühl, ein interessantes Buch gelesen zu haben, umso mehr als es ein Erstlingswerk ist.
Bang Crunch
Neil Smith
Sein "Werdegang" klingt, als hätte der Kanadier ihn selbst erfunden. Niederge-schrieben als eine Art Märchen: Von einem, der auszog, um einen Creative Writing Kurs zu besuchen – so wie sich andere für Yoga oder Italienisch-Stunden entscheiden, und um den sich letztendlich die Verlage rissen. Heutzu-tage, zumal am Short Story Sektor, eine Seltenheit. In einem Interview meinte Neil Smith selbst: "Everyone told me it’s hard to just get your stories accepted by magazines. Then everyone said it’s impossible to get an agent or a big publisher for short stories. As for selling a story collection abroad in the U.S. and the U.K., forget it. But it’s all happened: every step has happened and happened rather easily, almost embarrassingly so. I guess I’m due to be hit by a bus."
Schöffling & Co.
Neil Smiths "Bang Crunch", aus dem Englischen von Gabriele Haefs, ist bei Schöffling & Co. erschienen
Smiths Debüt besteht aus neun Geschichten. Auch hier habe ich nicht alle geliebt (es gilt wie oben: Episode ≠ Staffel), aber grandios etwa sein Opener. Ganz großes Theater (sic!) ebenso die letzte Erzählung des Bandes mit dem Titel "Paradiesvogel". Darin geht es um einen oberflächlich-eitlen Schauspieler-Gecken, der im Zuge einer Laien-Aufführung von einer Agentin zur Rache an all den anderen "Roll-den-Teppich-aus-ich-bin-ein-Star"-Kollegen missbraucht wird. Am Ende bleibt nicht nur Demut, sondern auch eine große Rolle und die Liebe.
Oder: Wunderbar-tragisch die Geschichte einer Mutter und ihres Samenspenders, deren Kind ein Frühchen ist:
Neonatal Intensive Care Unit. Auch bekannt als NICU. Die Ärzte sprechen das NICK-U aus, wie den Namen einer Universität. „Unsere Kleine studiert an der Nick-U“, sagt Jacob im Scherz.
Man leidet mit Smiths Figuren mit, ist binnen Sätzen in ihren Leben. Sie haben etwas, das man wiedererkennt, besitzen in ihrer "Verrücktheit" stets auch etwas Liebenswertes. Smith erzählt nuancenreich und facettenvoll.
Trotz seines Erfolgs hat er den Übersetzer-Beruf scheinbar nicht ganz an den Nagel gehängt, arbeitet aber angeblich auch an einem Roman. Seine Ankündigung: "My next book will be a novel set in a heaven where atheists go when they die."
Könnte doch auch was sein.