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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

5. 2. 2010 - 22:16

In die Zukunft kopieren

Der kanadische Science-Fiction-Autor und Blogger Cory Doctorow glaubt an die Kraft der Kopie und ihre Wirkung auf die Kultur. In Graz sampelte er Popreferenzen.

Einmal jährlich lädt die Creative Industries Styria zur Convention, einem Empfang für die Kreativen des Landes. Für die geschlossene Abendgesellschaft können sich alle Interessierten anmelden.
Damit soll die steirische Kreativwirtschaft mit der Industrie vernetzt und Graz zur "City of Design" gemacht werden.

Der Mann im gestreiften Pullover und den markanten, schwarz gerandeten Gläsern lächelt den ganzen Abend lang. Und das wirkt nicht einmal penetrant, sondern anziehend und sympathisch. Cory Doctorow ist Science-Fiction-Autor, Journalist und Blogger - und nicht zuletzt Optimist.

Von der Decke der Helmut-List-Halle in Graz hängen meterlange Stoffbahnen. "Copying is life" kann man in riesigen Buchstaben auf mehreren davon lesen, "Cory Doctorow" steht kleingedruckt darunter. Verhaltensforscher würden gähnend nicken, das Beispiel mit dem Kleinkind, das lernend die Mama nachahmt (und man möchte den Papa dazufügen), wird noch fallen, dagegen gibt's nichts einzuwenden. Hier versammelt sich aber die Kreativwirtschaft der Stadt zu einer Art verspäteten Neujahrsempfang, der sich Convention nennt, und der Titel von Doctorows Rede lautete "How to destroy the arts".

Die Open Rights Group setzt sich für eine Liberalisierung des Urheberrechts, gegen digitale Rechteverwaltung und für den Datenschutz ein.

Copy & push things forward

Unsere Zellen tun es permanent: Kopieren. Das findet Cory Doctorow nicht nur super, der in London lebende Mitbegründer der Open Rights Group sagt sogar: "Alle Kreativität beginnt mit Kopieren." Zu Beginn der Welt haben Moleküle einen Weg gefunden, sich zu reproduzieren. Michelangelo ließ seine Skulpturen und Gemälde von seinen Schülern kopieren. "Wir sollten heute eigentlich im goldenen Zeitalter der Kreativität leben, denn niemals zuvor war Kopieren so leicht, wie es heute dank der Computer ist.", so Doctorow. Das Internet ist für ihn das Austauschmedium schlechthin, das die Kopie in Reinkultur ermöglicht, und das Kultur im Idealfall demokratisch verbreitet. Kopieren, und das ist die Schlüsselthese des Science-Fiction-Autors, bringt die Kultur weiter und dient ihrer Entwicklung. Und dann geht es mit dem Beispiel des "Grey Album" von Danger Mouse kurz ans Eingemachte. Wer von wem kopieren dürfe, bestimmen jene, die über die Definitionsmacht verfügen, hinter der die (Finanz-)Macht steht. Die Beatles liebäugelten mit R'n'B, doch sobald ein schwarzer Musiker Beatles-Songs sampelt, bekommt er Schwierigkeiten. Doctorow selbst teasert (pop-)kulturelle Referenzen an, doch für Schlußfolgerungen hat er keine Zeit.

Cory Doctorow, geboren 1971, ist Mitherausgeber von Boing Boing

Der kanadische Science-Fiction-Autor Cory Doctorow sitzt auf Pappkartonhockern und lacht

Creative Industries Styria

Kinderkram sei die Debatte um Jugendliche, die sich ihre Musik aus dem Netz saugen. Sie sind für Doctorow keine Bedrohung. Ihm geht es um die Entwicklung von Kultur und nicht um das Bewahren von Rechten. Macht eine große Produktion einen Film und eine andere dreht die Parodie, klären die beiden die Rechte. Benützt ein Schüler einen Ausschnitt daraus für ein Video und stellt es auf Youtube, begeht er oder sie damit einen Urheberrechtsbruch. Denn die Lizenz zu erwerben, sei nicht zu bezahlen. Daran hätten nicht mal Anwälte Interesse.

Computer legen die Kultur in mehr Hände als je zuvor, doch das Copyright wird zum Hindernis. Entgegen seiner eigentlichen Aufgabe, den Künsten zu dienen. Cory Doctorow fordert eine Liberalisierung des Urheberrechts.

Dann taucht Madonna in Doctorows Vortrag auf und findet lobende Erwähnung für ihren, seiner Meinung nach gar futuristischen, Umgang mit diesen Fragestellungen. Die jahrzehntelange Popqueen wechselte 2007 von ihrem Plattenlabel Warner zum Konzertveranstalter Live Nation, weil sie begriff, dass die Leute ihre Musik verbreiten. Viel wesentlicher als Plattenverträge sei, dass ihre Musik hinausgeht. Allerdings: nicht jede ist Madonna. Und was macht ein Studiomusiker, der mit hoher Präzision arbeitet, und nicht auf Tour geht oder gehen will? Einwände vorwegnehmend sagt Doctorow: "Things change". Unterton: Pech gehabt. Nur weil du letztes Jahr erfolgreich warst, heißt das nicht, dass du es nächstes Jahr sein wirst. Durststrecken können Superstars wie Madonna überbrücken, nur was bedeutet das für all die anderen MusikerInnen?
Wer auf seine Rechte poche, stehe sich im Endeffekt selbst im Weg, ist der Blogger überzeugt.

DJ Dero und Kollegen sitzen in einem Flugzeugcockpit mit Cocktails in den Händen.

tiefparterre.net

Kopie, vorwärts. Vortrefflich war die Wahl der Band des Abends: Stevies Wonder Glasses teasern, was die letzten Musikjahrzehnte hergeben, um zugleich mit ihrem eigenen Mash-Up-Wahnsinn abzuheben.

Die Lösung ist ein selbstbestimmtes und aktualisiertes Copyright. Credits lassen sich über Creative Commons sichern. Doctorow selbst stellt seine Romane und Kurzgeschichten wie seine "Futuristic Tales of the Here and Now" oder "Little Brother" unmittelbar bei der Veröffentlichung im Druck online umsonst zum Download zur Verfügung. Die anfängliche Skepsis seines Verlegers habe sich gelegt. Freilich, aus welchen Kanälen sich sein Verdienst im Detail speist, bleibt unerwähnt. Er ist überzeugt, dass die Online-Versionen den Verkauf der Bücher ankurbeln.

Für sein Paradenegativbeispiel des Digital Rights Managements hat Doctorow einen schönen Vergleich: Eine CD nur auf einem Rechner abspielen zu können sei so absurd, als würde ein riesiges Verlagshaus all seine Bücher mit der Auflage verkaufen, sie dürften nur auf Sofas eines schwedischen Möbelhauses gelesen werden. Allenfalls würden mehr Sofas verkauft, doch die Buchkultur würde davon nicht profitieren. Ein Seitenhieb auf Kindle, dafür, dass die digitalen Bücher nur auf dem Kindle-Gerät zu lesen sind.

Die ständige Kontrolle von Urheberrechten berge eine immense Gefahr: Stillstand.
Hinter verschlossenen Türen wird bereits versucht, Provider zu zwingen, Verantwortung zu übernehmen und bei ihren Kunden eine Art Spionage zu betreiben, indem sie beispielsweise Filter bei Uploads setzen. Konsequenz: Das Internet wird entschleunigt, zugespitzt gesagt, bis sich nur noch Rechtsanwälte damit beschäftigen, befürchtet Doctorow. Zustände wie bei Old Cable TV wären das dann, warnt der Kanadier, wo sich sechzehn Rechtsanwälte berieten, bevor eine Sendung ausgestrahlt werden dürfe. Wo doch soviel noch möglich werden könnte, von dem wir noch gar keinen blaße Ahnung haben.

Alles weird und wunderbar?

Hätte man Computertechnikern in den Siebziger Jahren von dem Online-Rollenspiel World of Warcraft erzählt, hätten sie ungläubig geschaut. "Weird" ist ein Wort, das Cory Doctorow mag. "Weird things will happen in the future", das sei gewiss. Vielleicht werden wir digitale Währungen kennenlernen, gold farming betreiben oder in Videospielen die Demokratie einmahnen und wählen. Und herausfinden, dass das kein so leichtes Spiel ist, wie wir dachten, "and leave". Da war das Lächeln dann nicht nur aus Doctorows Gesicht verschwunden.