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Pamela Rußmann

Brennend leben: Das Große im Kleinen erkennen

4. 2. 2010 - 11:11

Hipster Lit

Wenn ein Schriftsteller aussieht wie ein American Apparel-Model und Spike Jonze die Filmrechte erworben hat, ist der Hype nicht weit.

Shane Jones portrait

colligan creative

Shane Jones

"Gestatten, Shane Jones." Noch vor wenigen Monaten lebte er im Souterrain seines Elternhauses in Albany im US-Bundesstaat New York mit Blick auf den Mohawk River und jobbte für acht Dollar die Stunde in einer Buchhandlung. Nebenbei befüllte Shane, kürzlich 30 geworden, sein Weblog mit Gedichten, Kurzgeschichten, Listen und Links zu rührenden Subkultur-KollegInnen. Dann veröffentlichte der Verlag Publishing Genius Press in einer Auflage von etwa 500 Stück seinen Roman "Light Boxes", der – so will es die Legende – nach kurzer Zeit vergriffen war. Und wie es sich heutzutage bei popkulturellen Medienhypes gehört, wo die Form mehr hergibt als der Inhalt, war es selbstredend "DAS INTERNET", das aus dem Kellerkind einen Superstar machte. Der Blogger ist der Tellerwäscher des jungen Jahrhunderts.

Heute wird Shane Jones von der William Morris Agency, einer der größten Künstleragenturen der USA, vertreten. Und: Spike Jonze ("Being John Malkovich", "Wo die wilden Kerle wohnen") hat die Filmrechte an "Light Boxes" erworben. Ein Satz, der genug PR-Potenzial besitzt, um im Pressetext erwähnt zu werden und nach professioneller Nerdigkeit, Kritikererfolg, Filmfestival und Business Lunch in Soho in Ringel-Sweater und 6-Tage-Bart klingt.

Thaddeus und der Februar

"Wir saßen auf dem Berg und sahen den Ballons zu." Öffnen, du musst dich öffnen, spreche ich mir einem Mantra gleich Mut zu. "Ich träumte zwei winzige Sonnen und heftete sie an ihre Stirnen." Alle Chakren in Fließposition stellen, sonst, sonst, sonst pfeffere ich das Buch noch an eine Stelle, wo nicht mal der Mond hinschauen kann. Ich versuche, mich harmoniesüchtigst reinfallen zu lassen in Sätze wie "Ich habe die Wolken als Vögel gemalt, ein Fuchs jagt sie ins Gebirge hinauf". Aber beim Wallungsmenschen, der ich bin, wenn man mich lässt, gräbt sich "Scheitern" als Furche in die Denkerstirn.

"Thaddeus und der Februar", ein Titel, der auf fantasievolles Erwachsenenbuch mit "Das-Kind-in-dir"-Appeal macht. Am Cover eine Illustration, die nach Antoine de Saint-Exupéry und Lewis Carroll riecht. Vereinzelt zwischen den kurzen Kapiteln, die sich wie Filmszenen aus der Subjektive des jeweiligen Charakters lesen, schwarz-weiße Zeichnungen von Ria Brodell, die auch in einem anspruchsvolleren Jugendbuch vorstellbar wären. Call me langweilig, aber ich brauch´s zum Lesen nicht. Und ich mag "Romane" nicht, deren Seiteninhalt man mit einem Blick erfassen kann. Ja, warum les ich es dann überhaupt, denkt sich die werte Leserschaft, zu recht!

Eichborn Verlag

Hintergrundinfo: Ich wollte den Gegenbeweis antreten. Ich wollte alle Vorurteile und alles Ächzen über aufgeblasenes Marketing (Hübscher Jungautor! Underground-Karriere! Professionelle Spleenigkeit! Hipster Literatur! Spike Jonze hat die Filmrechte erworben!) entkräften. Ich wollte "Thaddeus und der Februar" die Chance geben, sich als literarischer Text zu entfalten, abseits des Coolness-Bonus "Spike Jonze hat die Filmrechte erworben". Ich bin in einen ehrgeizigen Wettstreit mit mir selber gegangen. Bevor jemand fragt: Zynismus und Abgebrühtheit haben gewonnen.

"Im Buch geht es um einen Ballonfahrer, der einen Krieg gegen den Februar führt", erklärt der Autor. Die Charaktere heißen u.a. Bianca, Thaddeus, Selah, Caldor Clemens oder Der Ausweg – die Wahl der Namen birgt eindeutige Hinweise darauf, dass es hier ganz schön tiefgründig zugehen wird. Warum hat noch mal Kafka den Jäger "Gracchus" genannt? Vergessen, nachlesen, nachsitzen!

"Ich glaube nicht, dass Schriftsteller selbst wirklich verstehen, was sie schreiben." Hat nicht Kafka gesagt, sondern Shane Jones über seine Textcollage, in der es nur so wimmelt von surrealen Bildern und bedeutungsschwangeren Puzzleteilen. Männer tragen Vogelmasken und schwarze Zylinder, in Winkeln der Zimmerdecke sammelt sich Schnee, Fische schlucken Wasser und Kinder schreien gegen die Grausamkeit des Februars an, hinaus in wolkenbedeckte Nachthimmel.

Ich stelle mir Spike Jonze beim Frühstück vor, wie er vielleicht mit seiner Ex Sofia Coppola telefoniert und sich mit ihr über aktuelle Projekte austauscht. Sag, wann machst du denn wieder mal einen Film, ich hab mir grad die Recht an so einem Debütdings gesichert, sehr nerdig, aber total lieber Typ, der ist das nächste große Ding, aber ich werd wohl nicht selber Regie führen, das macht Ray…ach, ich entwerfe heuer noch ein paar Clutches für Louis Vuitton, hab letzte Woche Marc getroffen, mal abwarten, wie das mit dem zweiten Baby wird, ich schau einfach mal, welches Projekt mich findet, usw.

"Sieh da, sagte sich Thaddeus, sommerliche Ranken fallen vom Himmel. Wie seltsam."

Sorry, echt jetzt, das war´s. Mich interessieren weder die Lieblingsfarben 2009 des Autors ("really light blue") noch dass die vergriffene amerikanische Originalausgabe von "Light Boxes" als Sammlerobjekt für 360 Dollar gehandelt wird. Man kann mich gern altmodisch schimpfen, aber mir ist die glamouröse, scherenschnittartige Scheinwelt, die da um die Autorensperson mitgeliefert wird, zu sehr verkaufsfördernd und effekthaschend. Ihr werdet von Shane Jones schon noch hören, auf der einen oder anderen Hipster-Internetseite. Oder im Feuilleton einer renommierten Zeitung. Glaubt mir.

P.S. "Sometimes I think I won't write another book. Sometimes I just don't see it happening and that would be okay I think. Younger writers will come up and write new and exciting books that will be optioned by Tim Burton."

Exakt, Shane, du sagst es. How sad, how true.

"Thaddeus und der Februar" von Shane Jones ist am 1. Februar (!) in der Übersetzung von Chris Hirte im Verlag Eichborn erschienen. 176 Seiten, 16,95 Euro.