Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Spielst du Indie?"

Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

3. 2. 2010 - 13:03

Spielst du Indie?

Die Szene der unabhängigen Spieleentwickler ist trotz inhaltlicher Vielfalt verdächtig homogen. Eine Analyse.

Warum das denn immer sein müsse mit dieser Definition, will Leser generator3punkte wissen. Keine unberechtigte Frage. So selbstverständlich, wie sich manche Videospielkulturmenschen gegenseitig das kleine Wörtchen "Indie" gegenseitig um die Ohren schmeißen, das im Musikbereich schon Ende der 1990er Jahre aufgrund seiner Schwammigkeit problematisch wurde, so unklar wird es auch im Games-Bereich, wenn man sich näher damit beschäftigt.

Ein Bildschirmfotos aus dem Puzzlespiel "Decepticolor".

Global Game Jam 2010

Der Grund, warum unabhängige Spieleentwicklung derzeit allgemein so einen Aufwind erlebt, liegt zunächst an den Entwicklungstools und -umgebungen. Die sind in den letzten Jahren sehr zugänglich geworden, dieser Demokratisierungsprozess hat eine Welle an jungen Softwarebastlern auf den Plan gerufen, die mit ein bisschen Eifer aus kreativen Einfällen nun eigene, kleine Spiele machen können. Der "Austrian Game Jam", zu dessen Berichterstattung generator3punkte sein Anliegen formulierte, ist der beste Beweis dafür. Die Gesetze der letzten 20 Jahre Computerspieleentwicklung werden dabei auf den Kopf stellt: Nur in 48 Stunden hast du dein eigenes Werk, für das die großen Fische oft bis zu vier Jahren brauchen.

Selbstbestimmte Spiele 2.0

Es ist eine Rückkehr zu jenen Tagen, als es selbstverständlich war, dass Games von Einzelpersonen oder kleinen Teams entwickelt wurden. Die limitierte technische Infrastruktur der 1970er und 1980er Jahre mit den beschränkten Speicherkapazitäten und bescheidenen Prozessorleistungen der damaligen Computer benötigten nicht mehr Manpower.

Ein Bildschirmfoto aus dem Computerspiel "Cadaver".

Image Works/Bitmap Brothers

"Cadaver" (1990)

Doch dann kam die CD-ROM und plötzlich war genug Platz vorhanden für aufwendiges Artwork, schicke Texturen und gefilmte Zwischensequenzen. Die CPU-Geschwindigkeit schoss in die Höhe, Speicher wurde billig, Grafikkarten brauchten eigene Lüfter. Aus wars mit der Spieleentwicklung im kleinen Rahmen: An die Stelle, wo früher die "Bitmap Brothers" oder das "Team17" in überschaubarem Umfang ihre drolligen 2D-Games zusammenpixelten, sind innerhalb einer Dekade bis zu 100-köpfige Teams getreten, die in monatelanger Kleinarbeit an einzelnen Charaktermodellen und komplexen Oberflächenbeleuchtungstechniken hantieren.

Das Web als Markt und Gemeinschaft

Mitte der 2000er Jahre entsteht aus Fanprojekten und in Uni-Seminaren aber langsam wieder das Bewusstsein, dass diese kleinen, selbstgemachten Spielchen ebenso viel Spaß machen können, wie die großen Vorbilder aus dem Elektrogroßmarkt. Entwicklungsumgebungen und Programmiersprachen wie Flash und Python werden leistungsstärker, das dazugehörige Wissen ist in dutzenden Tutorials in Wikis, Büchern und Lehrveranstaltungen fein säuberlich aufbereitet.

Die Renaissance der selbstbestimmten Spieleentwicklung bringt nicht nur eine perfekte Infrastruktur in Bezug auf das Erstellen der Games mit sich: Übers Netz lassen sich die eigenen Produktionen auch gut verkaufen. Darüber hinaus kann man sich via Web wunderbar mit Gleichgesinnten kurzschließen.

Solidarität statt Konkurrenz

Erste Erfolgsgeschichten schwappen aus dem Untergrund auf unsere Spielekonsolen, wie 2004 "Alien Hominid", das zwei Jahre davor als Flash-Game debütiert hatte. Die Szene formiert sich rund um diese neuen, leuchtenden Aufmerksamkeitserreger, die sich trotz ihrer Erfolge weiterhin mit der Community identifizieren und sich weigern, in große Konzerne eingegliedert zu werden. So kriegt Dan Paladin, Gründer des "Alien Hominid"-Studios The Behemoth auch als Einziger keine aufs Maul.

So ein Bauchgefühl

Vom Gefühl her ist also alles klar: Ein Indie-Game ist ein Computerspiel, das von einer Handvoll Leuten mit wenig Geld, vielen Einfällen und großem Talent entwickelt wird. Finanzielle Unabhängigkeit steht an oberster Stelle. Neben diesen "offiziellen Richtlinien" wirken jedoch weitere, unterschwellige Merkmale mit: Ein Indie-Game, das sind frische Ideen statt lukrativer Rip-Offs, das ist Szeneverbundenheit statt Einzelkämpfertum, Retro-Ästhetik statt slicker 3D-Umgebung.

Nach nährerer Betrachtung mutet die Indie-Games Welt nach einem herrlich kreativen, und doch auf eine kuriose Weise hermetisch abgeschlossenen Kreis an, der sich konfrontativ "den Großen" gegenüberstellt. Die besten von ihnen werden von wichtigen Games-Portalen rezensiert und fallen auf Konsolen ein. Und doch bleibt ein Indie immer ein Indie. Konsequent - aber was ist eigentlich mit all jenen, die von der Anmutung her nicht in den prototypischen Indie-Raster passen?

Darf ich mitspielen?

Bildschirmfotos aus dem Action-Computerrollenspiel "Torchlight".

Runic Games Inc.

"Torchlight" (2009)

Da gibt es zum Beispiel Spieleentwickler, die ehemals bei großen Studios angestellt waren und sich danach selbstständig machten. Ganz unabhängig und mit neuer Firma haben etwa die ehemaligen "Diablo"-Designer 2009 auf eigene Faust ihr Spiel "Torchlight" veröffentlicht und vertrieben. Indie oder nicht?

Der unabhängige, international respektierte und gut vernetzte österreichische Spieleentwickler Sproing hat ein umfangreiches Portfolio an Titeln vorzuweisen, die sich quer über alle Plattformen ziehen. Doch die wenigsten dieser Spiele wirken auf kulturbeflissene Gamer besonders glamorös: "Riding Star 3", "Scotland Yard", "Mountain Sports". Indie oder nicht?

Bis Mitte vergangenen Jahres war selbst id Software ("Doom", "Quake") ein unabhängiger Spieleentwickler, der bereits in den frühen 1990ern auf eigene Faust übers Netz seine Games verkauft hatte. Sein Mitgründer John Carmack, eine der markantesten Persönlichkeiten der Games-Industrie, sieht sich bis heute dem Hacker-Ethos verpflichtet und veröffentlicht seinen Quellcode mit ein paar Jahren Abstand als Open Source. Indie oder nicht?

Lifestyle und Leidenschaft

Die alternative und wohl auch ein bisschen elitäre Welt der Indie-Games-Szene ist also nicht nur durch Faktoren wie Innovation, Finanzierung und Ästhetik konstituiert. Ebenso schwingen nicht messbare Werte wie Lifestyle und Leidenschaft mit, gepaart mit einem gewissen intellektuellen, selbstreflexiven Habitus. Die Szene tickt so, wie die meisten anderen Subkulturen diverser kreativer Industrien auch: Neben dem Produkt muss auch die Ideologie stimmen, und wer mit den "Suits" nicht bloß zusammenarbeitet, sondern sich mit ihnen ins Bett legt, wird schnell mal aus der gedachten Mitgliederliste gestrichen.

Doch auch unabhängig des chauvinistischen Stammtischgehabes und egal, ob "Szene-Indie" oder "Normal-Indie": Zum Umsetzen der eigenen Ideen mit der Weigerung, sich dem Markt anzubiedern, gehört in jedem Fall eine große Portion Mut. Mut, der notwendig ist, um einer marktgetriebenen Industrie erfrischende Impulse zu geben und sie daran zu erinnern, dass es ohne das Hochhalten von Kreativität auch mit dem Shareholder Value nicht lange klappen wird.