Erstellt am: 2. 2. 2010 - 16:33 Uhr
Weltraumoper zum Mitmachen
EA/Bioware
Wie sagte SF-Autor Brian W. Aldiss so schön: "Science Fiction is for real - space opera is for fun." Die Weltraumoper - schon der leicht spöttische Begriff nimmt vorweg, dass es im beliebten Subgenre der wahrscheinlich erfolgreichsten literarischen Gattung der Gegenwart wie in der Oper emotional zugeht. Technik und Wissenschaft, die namensgebenden Elemente der SF, treten zurück und werden zur Kulisse: Es geht um Menschliches, Allzumenschliches, um große Dramen, Verrat, galaktische Bedrohungen und die Heldentaten, die alles zum Guten wenden.
Space Opera zum Lesen, entstaubt: Alastair Reynolds' "Revelation Space"-Reihe kann getrost als inoffizielle "Inspirationsquelle" für Teile des düsteren "Mass Effect"-Universums gelten, ebenso wie der Kultur-Zyklus von Ian M. Banks.
Nicht nur in Film und Literatur, auch im Spiel stellen diese Zutaten eigentlich Garanten für massentaugliche Popcorn-Unterhaltung dar. "Mass Effect 2", Nachfolger des 2007 erschienen erfolgreichen Rollenspiels, liefert als zweiter Teil einer geplanten Trilogie nun alles, was Weltraumopern so ausmacht - und kommt dabei dem leicht angestaubten Traum von einer Verschmelzung von Spiel und Film beeindruckend nahe.
Eine Geschichte voller Missverständnisse
Interaktive Unterhaltung auf Augenhöhe mit Hollywood, ein "Film zum Spielen" - solche Versprechungen hört man als Spieler seit Jahrzehnten. Meist waren die Resultate allerdings enttäuschend: Spiele "zum Film" sind notorisch üble Zweitverwertungsprodukte (jüngst "Avatar- The Game"), und nicht-interaktive filmische Cut-Scenes mit Spielelementen so zusammenzustoppeln, dass der Bruch zwischen Interaktion und Konsum nicht auffällt, ist eine knifflige Aufgabe. "Mass Effect 2" versteht es als vielleicht erster Titel, diese lange angestrebte Fusion in die Tat umzusetzen: Erzählerisch auf hohem Niveau, mit einer nicht nur für Spieleverhältnisse soliden, spannenden Story und mit glaubwürdigen, komplexen Charakteren, bietet "Mass Effect 2" Hochglanzunterhaltung mit Massenappeal - der Trailer verspricht nicht zu viel.
Von Hollywood lernen, heißt, Emotionen zu lernen: Wie wenige andere Titel greift "Mass Effect 2" in die Trickkiste der Traumfabrik. Die filmische Inszenierung reicht von den dramaturgisch geschnittenen Dialogen über bombastische Zwischensequenzen bis hin zur wendungsreichen Handlung, in der nicht selten effektreich auf die Tränendrüse gedrückt wird, vor allem, wenn es um die Hintergrundgeschichten der verschiedenen Mitstreiter geht. An emotionalen, auch düsteren oder kontroversiellen Themen wird nicht gespart, und das clevere Dialogsystem lässt dem Spieler genügend moralische Freiheiten, um geschickt über die letztlich lineare Handlung hinwegzutäuschen.
Mashup for the masses
Es ist leider fast logisch, dass bei aller Konzentration auf die Schau- und Erfahrungswerte die Spielkomponente im großen Emotionstheater nur die zweite Geige spielt: Die atmosphärischen Actionsequenzen, in denen der Spieler mit Unterstützung durch zwei KI-Kollegen gegen allerhand Bösewichter kämpft, sind wenig inspiriert und kurz, die freie Erkundung der Galaxis samt Rohstoffabbau ist ein langweiliges Ärgernis und die Rollenspielkomponente wurde derart radikal entschlankt, dass Bioware-Veteranen einmal heftig schlucken werden. Die Hauptrolle spielen zum Glück aber die Dialoge, die Welt und ihre Figuren und die Illusion der Entscheidungsfreiheit, selbst zu bestimmen, wie das große Weltraumdrama denn nun weiter vorangeht - kurzum, es ist die große Kunst des Geschichtenerzählens, die immerhin 30 Stunden lang für Spielspaß sorgt.
EA/Bioware
"Mass Effect 2" ist denn auch jenseits aller Genreschubladen angesiedelt: ein bisschen Rollenspiel light, ein wenig Action und viel Atmosphäre - ein Mashup im Dienste der Hochglanzunterhaltung für alle. Genre-Puristen mögen jammern, doch Electronic Arts und Bioware haben ein größeres Publikum im Auge: "Mass Effect 2" ist ein Spiel jenseits fast aller Genreregeln geworden, an dem Gelegenheitsspieler und auch der kleiner werdende und zunehmend ins Spezialistenparadies der Independent Games abwandernde Kreis der Hardcore-Gamer Gefallen finden können. Zur Erinnerung: "Fallout 3" ging 2008 mit großem Erfolg denselben Weg - auch hier wurden die verstaubten Genregrenzen mit leichter Hand erweitert.
EA/Bioware
"Mass Effect 2", Bioware/Electronic Arts, ist vor kurzem für PC und XBox360 erschienen.
Wie bei "Avatar" fällt es auch bei "Mass Effect 2" schwer, als ansonsten dem Mainstream kritisch gegenüberstehender Konsument das Endergebnis trotz aller Schwächen nicht doch als gelungenen Ausnahmetitel zu würdigen: "Mass Effect 2" ist ein Spiel, das seinen Spagat zwischen Fan-Befriedigung und Massenappeal glücklich meistert und zugleich die Messlatte für interaktives Entertainment ein Stückchen höher legt. Purismus ist fehl am Platz - erlaubt ist, was gefällt.