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Natalie Brunner

Appetite for distraction. Moderiert La Boum de Luxe und mehr.

1. 2. 2010 - 18:03

Tropicalia

Die 60s in Brasilien werden derzeit in der Kunsthalle Wien aufgearbeitet.

In den 60er Jahren putschten sich in vielen lateinamerikanischen Staaten Militärregime an die Macht. Dies geschah mit aktiver Unterstützung der USA und multinationaler Konzerne. Viele der Staaten, die damals einen Militär-Coup zum Opfer fielen, waren auf dem Weg sich wirtschaftlich zu stabilisieren. Demokratische Mitte-Links-Regierungen bekämpften erfolgreich den Hunger. Es gab Pläne zu Landreformen und man wollte auch nicht mehr zu Spottpreisen die Rohstoffe in den Norden verkaufen.

Das gefiel weder den USA, noch den Konzernen noch den alten kolonialen Eliten. Nach den Staatsstreichen wurde die Opposition zerschlagen. Gewerkschafter, Politiker, Menschen, die für ihre demokratischen Grundrechte standen wurden verschleppt, gefoltert, ermordet. Die Wirtschaftsprogramme welche, die Militärjuntas mit US-amerikanischen Wirtschaftsexperten, allen voran Milton Friedman, entwickelten, führten zu katastrophalen Hungersnöten. In Brasilien kam das Militär 1964, unterstützt durch die CIA, an die Macht. Auf Streiks und Studentenunruhen reagierte das Militär mit Zensur und Säuberungsaktionen. Dennoch schaffte es eine Gruppe von Musikern und Künstlern mit der Erfindung einer neuen poetischen Sprache des Widerstands sich der Barbarei des Kapitalismus entgegenzustellen. Als Tropicalia werden die Arbeiten dieser Gruppe von Musikern, Poeten Filmemachern und bildenden Künstlern zusammengefasst.

10) Hélio Oiticica, Singer and composer Caetano Veloso wearing Oiticica’s Parangolé P4 Cape 1, 1968 © Projeto Hélio Oiticica, Rio de Janeiro

Die Musiker Cateano Veloso und Gilberto Gil sind die weltweit bekanntesten Vertreter von Tropicalia. Gil war unter Präsident Lula von 2003 bis 2008 Kulturminister Brasiliens. Gilberto Gil und Caetano Veloso kamen aus dem Norden Brasiliens aus Salvador und verbanden die musikalischen Traditionen ihrer Heimat mit dem revolutionären Geist von Rock n Roll bei gleichzeitigen Distanzierung vom US-Amerikanismus. Der Monotonie der Diktatur stellten sie die kulturelle Vielfalt des Landes entgegen. Tropicalia war bunt psychedelisch poetisch und politisch. In den Texten sangen sie über Armut, Rasissmus, Unterdrückung und Ausgrenzung der Favelas. Eine kulturelle Identität im starken Kontrast zu dem autoritären Regime dieser Tage wurde von einer Vielzahl von Künstlerinnen und Positionen konstruiert.

Tropicalia war nie ein bestimmter Stil, wie Bossa Nova, sondern eine Lebenshaltung, eine kulturelle Einstellung. Wir wollten Aspekte der traditionellen Musik Brasiliens hervorheben, der ländlichen und der urbanen Folklore, und gleichzeitig die Türe offen halten für Einflüsse aus Amerika und Europa – in der Vermischung all dieser Einflüsse entwickelten wir etwas Neues.“ (Gilberto Gil)

Gilberto Gil und Caetano Veloso zogen nach Sao Paulo und hatten Anfang der 60er erste kommerzielle Erfolge. Sie wurden Meister darin, die Zensur in ihren Liedern zu Umgehen, mit Doppeldeutigkeiten zu spielen und die Zensoren zu Verzweiflung zu bringen. 1968 erscheint das Album Tropicália: ou Panis et Circenses, das musikalische Manifest von Tropicalia. Neben Gil und Veloso sind Tom Zé, Nara Leão, Os Mutantes und Gal Costa an dem Album beteiligt.

Rubens Gerchman, Album Cover Tropicália: ou Panis et Circencis, 1968, Courtesy Gerchman’s Family Collection

1969 wurden Gil und Veloso von der Regierung unter Hausarrest gestellt und mit Auftrittsverbot belegt. Im gleichen Jahr emigrierten Caetona Veloso und Gilberto Gil nach London, wo sie von Heimweh geplagt bis 1972 lebten. Viele ihrer WeggefährtInnen konnten dem Militär-Regime nicht entkommen und wurden in Gefängnissen gefoltert oder in Irrenhäusern interniert.

Einer der bildenden Künstler, der die Provokation des Militärregimes auf die Spitze getrieben hat, ist der 1937 in Rio geborenen Helio Oiticica. Eine Aufhebung der Trennung von Kunst und Leben war sein Ziel. Es ging ihm nicht um eine Reflexion des Lebens in der Kunst sondern um die Frage was Kunst für die Menschen im Alltag tun könne. Seine Installation Tropicalia aus dem Jahr 1967 ist in der Kunsthalle Wien zu sehen. Auf Sandboden ist eine Favela Hütte ist aufgebaut, von Pflanzen umringt und bewohnt von zwei lebendigen Papageien.

Hélio Oiticica, Relevo especial, 1959, Daros Latinamerica Collection, Zürich © Projeto Hélio Oiticica, Rio de Janeiro

Kurator Thomas Mießgang über die Arbeit von Helio Oiticica:
"Helio Oiticica war der, der auch wirklich in die Favelas ging und sagte, dass er nicht länger eine fossile Elite mit seiner Kunst bedienen wolle. Die Gesamtheit der Bevölkerung und vor allem die Marginalisierten und Entrechteten müssen mit Kunst angesprochen werden. Er ist in die Favela von Mangueira gegangen und war Mitglied der dortigen Sambaschule. Er war ein Freund von Cara de Carvalho, einen berühmten Gangster der von Todesschwadronen ermordet wurde. Er hat ihm mit eine Flagge ein Mahnmal gesetzt und letztendlich war die Flagge ausschlaggebend, dass Gilberto Gil und Cartano Veloso verhaftet 1968 wurden, weil sie in einer Fernsehshow diese Flagge aufgespannt haben und das hat das Militärregime als zu provokant empfunden."

Oiticica

helio oiticica

Die Tropicalia Ausstellung ist bis zum 2 mai in der Kunsthalle Wien zu sehen.

"Sei marginal, sei ein Held" ist auf der Fahne zu lesen, die Caetano Veloso und Gilberto Gil im Fernsehen hoch hielten. Cara de Carvalho war nicht nur Verbrecher, sondern auch Volksheld in den Favelas. Eine Forderung, die immer wieder auftaucht genauso wie "e prohibido prohibir": Es ist verboten zu verbieten.