Erstellt am: 30. 1. 2010 - 17:24 Uhr
Die Top 10 des Protestsongcontests
Dieses Jahr haben wir uns wirklich den falschen Tag für das Vorfinale ausgesucht. Denn während im Haus der Begegnung (der Name hat schon etwas viel zu friedliches) vom Protest gesungen worden ist, hat zwei Straßenbahnstationen weiter echter Protest stattgefunden. Schade nur, dass es scheinbar nicht möglich ist, der Polizeiübermacht in Kampfmontur mit Wasserwerferverstärkung gewaltfrei gegenüber zu treten. Ich persönlich finde es ja schöner, wenn all der Aufwand ins Leere läuft. So habe ich nicht damit gerechnet, dass neben den üblichen Fanblöcken der auftretenden Bands noch unabhängiges Publikum kommt und bin eines besseren belehrt worden, denn der Saal war schnell voll. Was das jetzt über die Protestkultur in Österreich aussagt, ist eine ganz andere Frage.
Auf der Bühne hat Mathias Zsutty die schwierige Aufgabe bewältigt, allen anwesenden Protestlern zu entlocken, wogegen sie denn protestieren. Und der Vorjury war es ein leichtes, ihre Aufgabe zu erfüllen, den Hass des Publikums auf sich zu ziehen. Gerlinde Lang macht das mit ihrem ätzenden Spott; Mieze Medusa, indem sie sich auf einzelne Textstellen draufsetzt; und Ronnie Urini durch seine Weigerung, die Regeln einzuhalten. Wie oft musste der arme Zsutty dem Undergroundrockurgestein erklären, dass ein Live-Auftritt beim Vorfinale keine Pflicht ist und auch nicht in die Bewertung einzufließen hat.
Michael Fiedler Radio FM4
Schließlich ist es erstens kaum schaffbar, eine Bühne an einem Abend 25 Mal umzubauen (und davor 25 Soundchecks durchzuführen), und zweitens unzumutbar, dass Bands aus Deutschland oder den westlichen Bundesländern vielleicht gleich zwei Mal samt Equipment die Reise nach Wien auf sich nehmen. Urini hats nicht verstanden: "Krank sein is ka Ausred'! Wann ma die Straßenbahn drüberfoart, jo, aber sunst..."
The Bands
Erstes Highlight des Abends waren die glamourösen Cremeschnitten, die einen Playbackauftritt hinlegen, an dem sich Britney Spears noch etwas abschauen kann. Mit Melodica-Solo und täuschend echt gespieltem Bass. Und das alles in Träumen aus Glitzer und Rosa. Ihr Lied erinnert textlich ein wenig an den großen Hit von Großstadtgeflüster und der Auftritt auf der Bühne wurde von Ronnie Urini natürlich lobend erwähnt.
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Besonderen Applaus hat sich die Kindergärtnerin Kè schon vor ihrem Auftritt abgeholt. Auch wenn ihr Lied eher resignativen, denn auflehnenden Charakter hat, auch wenn ihr Beruf unterschätzt und ihr Arbeitsplatz unterfinanziert ist, hat sie sich ein wenig positives Denken erhalten: "Ich gehe optimistisch in den Tag, wenn ich weiß, dass ich abgelöst werde und dann auch einmal aufs Klo gehen kann." Was nicht jeden Tag passiert. Kann man da bitte etwas machen?
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Kurzes Jury-Geplänkel auf der Couch und schon haben Rotzpipn und das Simmeringer Faustwatschenorchester die Bühne erobert. Die händchenhaltenden Blues Brothers mit Alkbottle-Hauben singen ihre Würschtelpolka mit Inbrunst und Watschen sich nach dem Refrain ab, dass es knallt. Herr Urini findet es spitze, was es ja auch ist, aber eben nicht gewertet werden darf! Maria Stern hat ihrem Swarovski-Song noch ein paar Strophen hinzugefügt, und auch wenn der Protest nur leise anklingt, kommt der Protest gegen reiche Leute, die trotz Ahnungslosigkeit über das echte Leben dumme Ratschläge geben, sehr gut an.
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Der St. Pöltner Beschwerdechor, der nicht live zugegen ist, dafür mit einer gut 15-minütigen Nummer antritt und mit dieser Kombination für Ungeduld im Zuschauerraum sorgt, findet Gnade bei der sonst so gnadenlosen Gerlinde Lang: "Im leeren Bus im Stau stehen ist ein so schönes Bild. Das hat mich bei allen 14 Refrains immer wieder traurig gemacht." Und ich hab gedacht, sie langweilt sich.
Die Zukunftsmusik mit ihrem Suppenkasper-Protest gegen all das neumodische Zeug fahren emotionale Stalinorgeln auf: Tanzende Kinder. Herr Urini, ganz egal, wie feucht ihre Augen bei diesem Anblick werden: Showelemente zählen heute nicht!
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Dann ein weiterer Showact: Das Café Olga Sánchez kann ihre vielen Instrumente im Haus der Begegnung nicht einsetzten und muss daher umsatteln. Selten wurde eine Kartongitarre so hart gerockt, selten ein Kartonsaxofon mit so viel Gefühl gespielt, selten wurden einer Karton-Säge solch feine Violinenklänge entlockt. Und auch wenn er kaum ein Wort vom vorarlbergerischen Text verstanden hat, Ronnie findet es super.
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Und weil ich dem Ronnie Urini misstraue, was die Einhaltung der Regeln betrifft, begleite ich die Jury zum ersten Mal zur streng geheimen Sitzung im Kellergewölbe unter der Bühne. Dort läuft aber eh alles mit rechten Dingen ab und das Verhältnis von auf der Bühne anwesenden Bands und Bandabspielungen unter den Top10 beträgt 6:4, was akzeptabel ist. Erschreckend nur, wie schnell und eiskalt die drei Songs rauskicken, die mir in der Vorauswahl ans Herz gewachsen sind. Zack und weg, da wird nicht einmal drüber diskutiert. Ewig schade. Meine Favoriten fürs Stockerl stehen trotzdem schon fest, hier sind alle zehn FinalistInnen in aus der Luft gegriffener Reihenfolge samt Hook:
Mad Town Dogs - Lokalverbot
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Karin Rabhansl - Arbeitsamt
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Die Cremeschnitten - Nichts
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Beschwerdechor St. Pölten - Wenn in Wien die Sonne scheint
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Rotz - Draußen vor der Stadt
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Café Olga Sánchez - Schwarza Ma
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pauT - sepp haT gesagT, wir müssen alles anzünden
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Maria Stern - Swarovski Song
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Binder & Krieglstein - Fahradfahr´n ist schadstoffarm
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Rotzpipn & Das Simmeringer Faustwatschenorchester - Würschtlpolka
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Das große Finale
Am 12. Februar steigt im Wiener Rabenhoftheater das Finale des Protestsongcontests. Ab 20 Uhr spielen die zehn Finalbands live gegeneinander. Eine sechsköpfige Jury, bestehend aus. Birgit Denk, Peter Paul Skrepek, Doris Knecht, Peter Hein, Sigrid Maurer und Martin Blumenau kann es kaum erwarten, mit faulen Eiern und Tomaten beworfen zu werden und wer die wohlfeilen 15 Euro dafür nicht löhnen will, kann sich das Spektakel live im Radio anhören und - erstmals - hier auch per Videostream ansehen.