Erstellt am: 29. 1. 2010 - 18:55 Uhr
Die Web-Welt-Meister
Ach Susan Boyle, was haben wir geheult vor Rührung! Doch getanzt wurde zu OK Go. Die sind nämlich die wahren Web-Welt-Meister, eine Band mit Download-Lebenslauf, der so lange ist, wie die nicht mehr ganz taufrische Long Tail Theorie von Chris Anderson vorschreibt. Manche nennen sowas noch immer „Internet -Phänomen". Als ob es heute ohne gehen würde.
Dance The Video
Es war im Jahre 2005, da hatten OK Go Sänger Damian Kulash und seine Schwester eine Idee. Deren Umsetzung kostetet schlappe 10 Dollar (für eine Videokasette), ein bisschen Zeit, Konzentration und Disziplin. Eine Investition, die sich für alle Beteiligten lohnen sollte. Am Ende sah man vier nerdige Mitzwanziger ein streng choreografiertes Tänzchen in Kulashs Garten aufführen. Und wir wissen: Männliche Musikbewegung im Kollektiv ist immer für einen Brüller gut. Siehe auch: „Brachialbuben im Ballettkostüm beim Villacher Fasching“.
Der Song dazu: "A Million Ways" vom zweiten OK Go Longplayer "Oh No". Auf dem Album legten die vier aus Chicago stammenden Flohmarkt-Klamottingers ihrem Second Hand Power Pop und Rock knallbunte Krawatten im 70er Jahre Alarm Design um. Der Clip zu "A Million Ways" war eine fröhliche Absage an die flott im Internet versinkende Videoindustrie des MTV Zeitalters. Sie funktionierte auch bestens als Parodie auf sämtliche Boy-Band-Talente-Show-Affenzirkus-Attraktionen. Der vermeintliche OK Go Sänger (Tim Nordwind, in Wahrheit der Bassist) machte sich zudem hervorragend als Role Model für das heraufdämmernde Nerd-Zeitalter: lieb und gescheit - aber mit ihm ausgehen? Gott behüte!
Zig Millionen Views, Downloads und Videoantworten später tauchte Clip No. 2 auf. Wieder billigst produziert, wieder eine Tanzroutine, wieder von Damian Kulashs Schwester Trish Sie choreografiert entwickelte sich das Laufbandvideo zu „Here It Goes Again“ zum noch größeren Burner. Das Teil gewann einen Grammy, die Verkaufszahlen des Albums stiegen proportional zur Verbreitung des Clips, es folgten Touren mit den ganz Großen (u.a. auch Prince), sogar der amtierende US-Präsident hat sich im Nachstellen der Tanzschritte versucht und vor versammelter Familie blamiert. Brüller II.
Doch “oh no!”. Auf die Champagnerlaune folgte der Katzenjammer. OK Go haben fast vier Jahre gebraucht, um ein neues Album zu veröffentlichen. Der sich langsam aufbauende Erfolg im Schatten der beiden Clips hat die Band fast drei Jahre auf Achse gehalten. "Als wir zurück von der Tour gekommen sind, waren alle Beziehungen zerbrochen. Ich konnte wochenlang keinen Powerakkord hören, geschweige eines unserer Stücke. Und ich hatte vergessen, wie man einen Song schreibt", so Kulash via Skype. "Ich musste quasi von vorne anfangen".
Die Neuerfindung ist leider nur mäßig gelungen. Verschwunden ist die wunderbare Leichtigkeit des Seins, die selbst über den dunkleren Momenten der beiden Vorgängeralben schwebte. "The Blue Colour Of The Sky" klingt angestrengt und anstrengend wie der Albumtitel. Kulashs obsessive Ausleuchtung der Seelenpein überschattet selbst die an Disco, Synth-Pop und Funk ausgerichteten Songs und sorgt für Gravität am Tanzboden.
Die expressive Umarmung von Superidol Prince ist technisch perfekt gelungen (Schlüsselstück "Skyscrapers"). Doch dieser Soul ist kein Triumph über die Pein, sondern purer Katzenjammer. Der Rest der Gang ist diesem Selbstfindungstrip nur murrend gefolgt. Das hört man an allen Ecken und Enden. Fast in jedem Song setzt es Ausbruchsversuche aus dem Emo-Häfn. Das führt mitunter zu schwerst vertrackter Verstimmung qua Verzerrung genau dort, wo sie beim leichtgewichtigen Pop von OK Go nicht funktioniert – beim Bass und auf den Trommelfellen. Die Arrangements und der Soundmix? Ein unlösbarer Dreifach-Gordios!
Aber wozu hat man das Video als gleichberechtigten Partner etabliert? Die Idee zum Index gefährdeten Akronym von einem Song namens „WTF?“ folgt wieder einer simplen Eingebung, einer simplen Umsetzung, einer simplen Choreografie. Näheres dazu in einem von OK Go produzierten „Making Of“ Filmchen.
Schon etwas aufwändiger der Clip zu „This Too Shall Pass“. Kulash: „Unter den Hunderten Antwortvideos auf „Here It Goes Again“ befand sich auch die Notre Dame Marching Band. Das war wunderbarst. Also haben wir die Kapelle eingeladen, bei einem unserer Projekte mitzumachen. Auch dieses Video ist in einem Take aufgenommen worden und sogar live eingespielt. Das hat dann natürlich schon einige Anläufe gebraucht.“
Web Frust
In einem desperat wirkenden Akt der Umsatzsicherung hat die veröffentlichende Plattenfirma EMI, die auch die Rechte auf die Videos hält, in Zusammenarbeit mit YouTube "This Too Shall Pass" mit einem global blocking belegt - schließlich wirft jeder Click auf der Originalsite einige Cents an Einnahmen ab.
Damian Kulash reagierte mit einem lesenswerten Manifest auf der Bandsite, der Veröffentlichung der Embedding-Codes (funkt hier allerings nicht) und - wie könnte es anders sein - mit einem launischen Clip.
OK Go, die Dogma Entsprechung der Musikvideo Kunst? Abseits der Reiberein mit Videokanälen und der Plattenfirma mangelt es jedenfalls nicht an diesbezüglichen Projekten. Bei der Art Basel in Miami ist die Band für das Modehaus Fendi mit Lasergitarren auf die Bühne gekraxelt. Demnächst steht eine Zusammenarbeit mit der US-Weltraumbehörde NASA an, ein Projekt mit einem holländischen Künstler, der menschliche Muskelbewegungen via Elektrizität aus der Steckdose stimmuliert ..., ein Clip mit dem Media Lab des MIT, des Weiteren eine Sache mit animierten Lebensmitteln. Und Kulashs Schwester soll auch wieder ran.
Bleibt nur zu hoffen, dass den bewegten Bildern und dem herzhaften Web-Aktivismus wieder etwas weniger expressive, dafür umso bewegendere Songs folgen.