Erstellt am: 29. 1. 2010 - 16:02 Uhr
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Am besten nicht nachdenken, nicht reflektieren, keinen ernsthaften Gedanken verschwenden. Das raten führende US-Kritiker-Päpste, wenn es um Guy Ritchies aktuellen Film geht. Und sie haben erst einmal recht.
"Sherlock Holmes" ist einer dieser lautstarken, überzogenen, effektüberladenen Blockbuster. Pures, selbstzweckhaftes Popcornkino.
Dabei geht es in Hollywoods neuestem Actionknaller eben nicht um Terminatoren, Riesenroboter oder kostümierte Comichelden. Sondern um eine britische Kulturikone, die von feingeistigen Anhängern fanatisch verehrt wird. Sherlock Holmes, der legendäre Meisterdetektiv aus dem späten 19. Jahrhundert, steht für forensische Arbeitsmethoden, nüchterne Schlussfolgerungen und analytisch-rationales Denken.
Beim Kombinieren darf man dem Herrn auch in Guy Ritchies Version zusehen. Aber noch mehr wird in diesem Film gefochten, geritten und geboxt. Mit bloßen Fäusten, versteht sich. Guy Ritchie erfindet "Sherlock Holmes" neu, als muskulösen Actionhelden mit Waschbrettbauch, der nebenbei auch ein scharfsinniger Denker ist.
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Dabei beruft sich Ritchie bei seiner radikalen Neuinterpretation auf den zentralen Namen überhaupt: Sir Arthur Conan Doyle. Denn dass Sherlock Holmes diverse Martial Arts-Techniken beherrschte und sich in der Kunst des Bare Knuckle Boxing übte, all das steht schon in den berühmten Romanvorlagen, sagt der Regisseur.
Es ist aber nicht bloß die extreme Betonung der körperlichen Komponente, die diesen Holmes-Film so seltsam macht. Auch nicht die Tatsache, dass der Detektiv seinen Karo-Anzug und den berühmten Deerstalker-Hut konsequent im Schrank lässt oder nur gelegentlich zur Pfeife greift.
Viel zu sehr hetzt der Ex-Madonna-Ehemann Ritchie von einem bombastischen Set zum nächsten, greift ständig in die digitale Trickkiste und ermüdet mit seinen Trademark-Kameraspielereien, siehe auch "Snatch", "Revolver" oder "RocknRolla".
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Ist "Sherlock Holmes" also ein einziges überteuertes Multiplex-Missverständnis? Nein, das dann doch wieder nicht, denn da sind die Schauspieler. Allen voran der große Robert Downey Jr., der sich neben Johnny Depp zum führenden Exzentriker inmitten des Mainstream-Kinos entwickelt hat.
Sein Holmes ist kein nostalgisch anmutender Detektiv aus einer vergessenen Ära, sondern ein Rock'n'Roll-Dandy mit Defekten. Ein gleichzeitig verwirrter und messerscharfer Denker, ein charmant verkorkster Superheld des 19. Jahrhunderts.
Ebenfalls köstlich: Jude Law an der Seite von Robert Downey. Dr. Watson ist plötzlich kein treuherziger alter Gefolgsmann mehr, sondern ein selbstbewusster, cleverer und höchst gutaussehender Partner, der mitten im Geschehen steht und ebenso viele Schläge austeilt.
Es ist die Chemie zwischen diesen beiden Männern, die den Film zur Gänze trägt. Und auch bei der Pressekonferenz in London sprühen kleine Funken, schieben sich Downey und Law gegenseitig die Wuchteln zu.
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Wer nun gleich von einem homosexuellen Subtext spricht, wie ihn viele Vorberichte verkündeten, interpretiert zu viel in den Film hinein. Aber es ist schön zu sehen, wie die beiden sympathischen Gockel mittels ihres ausgeprägten Dandyismus die herkömmlichen Fallen des Buddymovies und der Männerbündlerei umschiffen.
Frauen haben es schwer in dieser Konstellation, dementsprechend geht Rachel McAdams, die als Irine Adler das rare Love Interest im Holmes-Universum verkörpert, eher unter. Durchaus seinen Platz erobert sich Mark Strong, der als diabolischer Lord Blackwood sichtbaren Spaß hat. Und Hans Zimmer, der hier seinen großartigsten Soundtrack seit "The Dark Knight" abliefert, zählt zu den heimlichen Stars des Film.
Am besten nicht nachdenken jedenfalls. Die Action ist massiv, die Story nebensächlich, auch wenn sich Sir Conan Doyle im Grab umdreht.
Aber Robert Downey und Jude Law bei ihren Gefechten zuzusehen, dass reicht für einen Feelgood-Abend im Popcorn-Kino der persönlichen Wahl.
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