Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "An den Außenrändern der Vernunft"

Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

27. 1. 2010 - 10:16

An den Außenrändern der Vernunft

Partyhütchen und Ganzkörpertätowierungen, Oper und Hardcore: Didi Bruckmayr schneidert Konzepte für Extasen. In Graz hält er eine multivisuelle Bildungsveranstaltung über seine Kunst.

Die Grenzen, die Didi Bruckmayr im Selbstversuch bei seinen Auftritten auslotet, bringen so manchen Zuschauer aus dem Gleichgewicht. Boxen dröhnen, Ohren sausen und zwei gut trainierte Männer singen. Ältere Wipeout-Kenner geben sich hartgesotten, doch so ganz nehme ich ihnen das nicht ab, dass die Energiewucht von der Bühne nach mehrfachem Konsum so mir nix, dir nix an einem abprallt?

Bruckmayr-Performance-DebütantInnen rückt und drückt es während der ersten Stücke einige Meter zurück. Da erst kommt das Partyhütchen auf dem Kopf des Sängers ins Blickfeld, die eigenen Ohren protestieren nur noch leise gegen die enorme Lautstärke, und die Visuals nehmen ihre volle Form an. Sinneseindrücke prasseln auf mich ein. Ich muss an meine erste Begegnung mit den Arbeiten Didi Bruckmayrs denken, im Experimentalfilmprogramm auf einer Diagonale, ich war irritiert.

In der Kunst des Oberösterreichers steckt seit Jahren viel Kopfarbeit und Konzeption. Die diversen Projekte sind stilistisch hermetisch, ob Synthiepop oder extreme elektronische Musik à la Fuckhead, die visuelle Oberfläche ist zum gewichtigen Bestandteil gewachsen. Bruckmayrs dreidimensionale Echtzeitvisualisierungen umhüllen das Geschehen auf der Bühne.

  • Lecture von Didi Bruckmayr, 27. Jänner, 18:15, FH Joanneum, Alte Poststraße 152, Studio/3. Stock, 8020 Graz. Eintritt frei.

Über "Trancezustände, DirectX, Elitenkultur, Dilettantismus und Exzess im Club" wird Dietmar Bruckmayr im Rahmen einer öffentlich zugänglichen Lecture an der Fachhochschule Joanneum sprechen.

Dass sich das Berührt-Sein als Kriterium im Kunstbereich als zunehmend wieder ins Spiel gerückte Konstante erweist, Besucher etwa unmittelbar nach Konzerten von Soap&Skin zuallererst von ihren eigenen Gefühlsverfassungen berichten, wo man sich doch sonst gerne so abgeklärt gibt, verwundert Bruckmayr nicht. "Es ist eine naheliegende Folgeerscheinung einer Fragmentierung. Zueinanderfinden kann man über Rituale, und Konzerte sind Rituale. Und bei diesen kann ich versuchen, sie zu konzentrieren, sowohl als Artist als auch als Betrachter oder Beiwohner." Es ist die Emotion, die intensiviert. Es ginge nicht um Unterhaltung alleine. "Es geht um existentiellere Erfahrungen. Schmerzen, Wut, Extase. Um verstärkte Zustände, die nicht nur die Oberfläche ein bisschen pinseln", so Bruckmayr. "Auch der Hedonismus hat wieder eine andere Qualität."

Didi Bruckmayr mit Papp-Partyhütchen am Kopf bei Konzert im Forum Stadtpark im Jänner 2009.

Kubiza, Forum Stadtpark

Didi Bruckmayr bei einem Konzert mit Mussuranga im Forum Stadtpark.

Mit der Subdivision von Fuckhead, Mussuranga, gastierte Bruckmayr im Jänner des Vorjahres im Grazer Forum Stadtpark. Zwölf Stunden spielten über ein Dutzend Musiker und DJs am Stück.
Am 30. Jänner gibt es eine Fortsetzung: Gay Beast, Great Eskimo Hoax und die heimischen Bul Bul werden u.a. im Haus im Stadtpark beim musikforum 10_01 zu sehen sein.

Es geht um den Ausdruck

Am Linzer Landestheater steht zurzeit "Im Dickicht der Städte" am Spielplan. Im vergangenen Kulturhauptstadtjahr inszenierte Matthias Langhoff das kaum gespielte Theaterstück Bertolt Brechts, Fuckhead vertonten dafür Gedichte und schufen die Musik. In Konzertsälen saß Didi Bruckmayr von Kindesbeinen an, die Eltern nahmen ihn mit nach Wien und Salzburg. "Ich komme aus einem Haushalt, in dem klassische Musik zwar nicht autoritär groß geschrieben wurde, aber sie war immer ein Thema", erzählt er. Dieses Jahr wird er als Sänger in der jüngsten Opernproduktion von Maurizio Squillant in Rom mitwirken. Sein Cousin und Fuckhead-Mitstreiter Siegmar Aigner ist Opernsänger und Komponist, mit ihm betreibt Bruckmayr Mussuranga, auch die Musik zum Theaterstück "Il Furiosi" über Fußball-Ultras haben die beiden gemeinsam geschrieben.

Bruckmayr lernt Orgel zu spielen, mit dem Hintergedanken, dann schnell zu Synthesizern zu wechseln. "1974 habe ich Kraftwerk im Fernsehen gesehen, und das war's dann: elektronische Musik. Außerdem war es spannend, dass Kraftwerk als virtuelle Identitäten auftreten wollten. Sie wollten Roboter sein auf der Bühne."
Andererseits faszinierte Lärm, um nicht zu sagen, Krach als Überschreitung, die ins Körperliche ging: "Entweder Gitarren und zwar nur zwei oder drei Akkorde - the media is the message im Sinne einer totalen Verkürzung -, oder wirklich Krach zu machen wie Industrial. Wo du es spürst, bis es dir weh tut." Bruckmayr kombiniert seine Vorlieben. 1985 ist er auf der Bühne, die ersten Gigs finden in Westösterreich und Deutschland statt. "Nach Wien sind wir erst Ende 1985 gekommen, da waren wir schon ordentlich abgebrüht."

Prägend für seine ersten eigenen Performances waren Punk-Konzerte, die der Doktor der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften als jugendlicher Besucher erlebt hat. "Ich war eigentlich ein New Waver und habe extrem harte Punkbands gesehen wie Discharge. Von der Performance her war das unglaublich aufregend, es ist gnadenlos geprügelt worden. Der Sänger war die meiste Zeit im Publikum, vom Singen hat er nicht viel gehabt. Das waren spielerische Saalschlachten. Ich hab' gemerkt, es ist nicht ernst, aber es geht drunter und drüber", erinnert sich Bruckmayr. Ihm war schnell klar: Es geht um den Ausdruck. "Wenn du etwas zu erzählen hast, dann machst du es."

Wie sehr er für den Zuschauer seiner Performances mitdenkt wird Dietmar Bruckmayr vielleicht bei seinem Vortrag in Graz an der FH Joanneum erläutern. Multivisuell, versteht sich. Der Eintritt ist frei.