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Claus Pirschner

Politik im weitesten Sinne, Queer/Gender/Diversity, Sport und Sonstiges.

26. 1. 2010 - 18:23

Ostslowakei revisited

Wie hat sich die Lage der Roma in der Ostslowakei seit 2004 verändert? Ein Erfahrungsbericht.

Kurz vor dem EU-Beitritt der Slowakei bin ich im Frühling 2004 in das Romaghetto Lunik IX in die Ostslowakei gefahren. Das Viertel ist von Wiesen und Schnellstraßen umgeben und liegt auf einem Hügel abseits der Stadt Kosice. Es besteht aus grauen Plattenbauten, teilweise mit kaputten Fensterscheiben. Auch Kindergarten, Schule und das Bürgermeisteramt der Siedlung sind Teil des Ghettos, an dessen Rand sich volle Müllsäcke stapeln.

Lester Kovac

So trist es auch aussehen mag: Lunik IX gehört nicht zu den ärmsten Siedlungen der Slowakei mit Holz- und Blechhütten und ohne Wasseranschluss.

Schon im Kommunimus wurden Roma als rückständig deklariert, segregiert und der Assimilierung ausgesetzt. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus galten sie in der Slowakei im Zuge der samtenen Revolution kurz als gleichwertige Bürger. Aber schnell schlug die Stigmatisierung wieder zu und sie waren die ersten, die aus den heruntergewirtschafteten Staatsbetrieben entlassen wurden. Seitdem wachsen die Romaghettos. Roma-Kinder werden trotz offizieller anderslautender Politik nach wie vor häufig in Sonderschulen abgeschoben. Viele gehen nicht zur Schule, auch aus Angst ihrer Eltern vor Assimilation.

Insgesamt lebt ein Drittel der 350.000 Roma in der Slowakei in Armut und braucht staatliche Unterstützung. Die Mehrheit der Volksgruppe jedoch ist auf Grund von Ausbildung und Jobs besser integriert, aber abseits der medialen Wahrnehmung.

Hoffnung durch EU-Beitritt

Josko, ein junger Schaupieler des Theaters Romathan aus Kosice, liebt das Viertel trotz 98% Arbeitslosigkeit, Alkoholismus und nächtlichen Schlägereien: "Ich hatte hier eine perfekte Kindheit mit vielen guten Freunden erlebt. Wir haben Fußball und Basketball gespielt und in der Schule manchmal Schach und Videogames." Sobald Josko die Siedlung verlässt, ist er doppelt stigmatisiert, nämlich als Rom und als Rom aus Lunik IX: "Im Bus oder in der Disco schauen mich die Leute an, als ob ich nicht gut genug bin, als ob ich aus dem Wald käme. Vor einigen Tagen war ich in einer Bäckerei und eine Frau hat zu mir gesagt 'Geh weg, weil ich will nicht schmutzig werden!'".

Josko und seine SchauspielkollegInnen freuten sich damals auf den EU-Beitritt, weil sie sich dadurch mehr Auftritte in Europa erhofften - Gelegenheiten, um über ihre Lebenskulturen und von gesellschaftlichen Missständen zu berichten. Überhaupt erzählen mir in Lunik IX viele von gesellschaftlichen Ächtungen, denen sie ausgesetzt sind. Als Journalist bin ich 2004 auf eine Offenheit bei Roma gestoßen, denn sie wollten, dass man in Europa von ihrer Ausgrenzung erfährt und was dagegen unternimmt. Auch die slowakische Regierung hatte damals bereits eine eigene Romabeauftragte, die ein umfangreiches Integrationsprogramm in den Bereichen Wohnen, Arbeit, Bildung und Gesundheit ausgearbeitet hatte. Damals fehlte aber abseits von (Pilot-)Projekten noch das Geld für eine breite Umsetzung.

In den Jahren nach dem EU-Beitritt erfuhr man über Medien von Aufständen und Supermarktplünderungen der Roma, weil ihnen die Sozialhilfe gekürzt wurde. Die Roma-Dekade wurde ausgerufen, um die Situation der größten ethnischen Minderheit der EU zu verbessern und immer mehr Roma sieht man in Westeuropa als Bettler auf der Straße. Gewalttätige Übergriffe nehmen gerade in letzter Zeit wieder zu , allerdings nicht nur in der Slowakei, auch in Tschechien, Ungarn oder Italien.

Aktueller Lokalaugenschein

Nun, sechs Jahre später, hab ich mich für einen zweiten Lokalaugenschein wieder auf den Weg nach Kosice gemacht. Ein seit Wochen ausgemachter Interviewtermin mit einer Gruppe jugendlicher Roma in Kosice platzt. Keine Reaktion mehr auf Telefonanrufe und Emails. Auch ein anderer eilends hergestellter Kontakt zu jungen RomaakademikerInnen geht nicht auf. Nach einer erfolgten Zusage lehnen die Jugendlichen tagsdarauf die Gespräche wieder ab. Warum?

Ich treffe auf Erika Godlova, Romni und Beamte in der Provinzverwaltung, und sie versteht die Medienmüdigkeit : "Junge Roma sind enttäuscht von der gegenwärtigen Situation.Viele von uns gaben zahlreiche Interviews an Journalisten und Filmemacher. Aber nichts hat sich geändert. Nichts wurde besser in unserem Leben. Roma wollen einfach nicht mehr mit Journalisten über ihre Situation sprechen.". Was wurde aus den Hoffnungen an den EU-Arbeitsmarkt und an Antidiskriminierungsprogramme und Sozialfonds der Europäischen Union?

erika godlova

Claus Pirschner

Erika Godlova

Jene Roma, die die Slowakei durch den neuen offenen Arbeitsmarkt verlassen konnten, gehe es nun besser mit Jobs in England oder Belgien und ihre Kinder können dort die Schule besuchen. Und die Mehrheit, die im Lande blieb? "Es ist hier wirklich schwierig zu überleben, wenn du von der Sozialhilfe abhängig bist, wenn du keine Arbeit hast, wenn du in letzter Zeit noch dazu auf der Straße in Gefahr bist wegen den rassistischen Übergriffen." Jene jungen Roma, die mir kein Interview geben wollen, haben zwei Jahre nach Beendigung ihres Studiums noch immer keine Arbeit gefunden, wie ich von Erika Godlova erfahre.

Slowakische Romapolitik 1998-2009
Die neoliberale Wirtschafts- und Sozialpolitik unter Premier Dzurinda verschärft das soziale Elend, insbesondere auch von Roma. Gleichzeitig entwickelt die Regierung im Zuge des EU-Beitritts 2004 ein umfangreiches Assistenzprogramm für 150.000 hilfsbedürftige Roma im Bereich Wohnen, Bildung, Arbeit und Gesundheit. 600 SozialarbeiterInnen werden in Romasiedlungen geschickt und 1000 Lehrerassistenten kommen zum Einsatz um Romakinder in normale Schulen zu integrieren. Erste neue bessere aber aufgrund des Widerstandes der lokalen Bevölkerung wieder segregierte Unterkünfte für Roma werden gebaut. Bislang wurden aber nicht viel mehr als (Pilot-)Projekte des Assistenzprogrammes umgesetzt, weil kein Budget dafür vorhanden war. 2006 kommt es zu einem Regierungswechsel hin zur populistischen SMER Partei, in Koalition auch mit der SNS Partei, die für ihre romafeindlichen Aussagen bekannt ist. Seit 2007 stehen 200 Millionen Euro aus dem EU-Strukturfonds für eine intensive Umsetzung der Integrationspläne zur Verfügung. Bislang hat die slowakische Regierung noch keinen Gebrauch davon gemacht. Aufgrund selbst verfasster unklarer Einreichkriterien hat die Regierung einen Bewerbungsaufruf an die slowakischen Kommunen im letzten Jahr wieder zurückgezogen und im vergangenen Herbst mit einer Einreichfrist bis Ende Jänner 2010 wieder neu ausgeschrieben.

Reality Show statt Gleichberechtigung

Kristina Magdolenova ist Geschäftsführerin der Roma Press Agency, einer Agentur von Roma-Journalisten, die mit mickrigen 13.000 Euro staatlicher Förderung pro Jahr auskommen muss, obwohl man dort unter anderem ein zweiwöchentliches TV Magazin für das staatliche Fernsehen produziert. Sie kritisiert die andauernden Medienbilder der letzten zehn Jahre über Romaghettos in Europa als größte und teuerste Reality Show der Geschichte. Die Roma seien ungefragt die Protagonisten dieses Unterhaltungsprogrammes. Die Abbildung von Roma in den Medien fokussiert einseitig auf das verarmte, ghettoisierte Drittel und blendet die integrierte Mehreit der Volksgruppe aus. Das Klischeebild über Roma wird dadurch verstärkt. Ungefragt blieben Roma bisher zumeist auch bei politischen Maßnahmen , bei denen es eigentlich um ihre Integration gehen sollte. Und deshalb scheitern wohl viele als getarnte Assimilationsversuche oder als Projekte, ohne langfristig strukturell etwas zu verbessern. Es fehlt am Grundsätzlichen zwischen Roma und Mehrheitsgesellschaft: Die Mehrheit der slowakischen Bevölkerung ist nicht bereit, sich als multikulturelle Gesellschaft zu begreifen, zu der Roma als gleichberechtigte BürgerInnen selbstverständlich dazugehören.

Und wie sieht es mit der Eigenverantwortung von dem in Armut lebenden Drittel der Roma Communities aus? Was kann oder muss man von einer über Generationen isolierten Gruppe erwarten? Kristina Magdolenova beantwortet die Frage folgendermaßen: "Sie haben ein halbes Jahrhundert ohne Verantwortung gelebt - als eine Gruppe, die nur etwas empfangen hat. Sie werden nicht als normale Bürger betrachtet. Sie sind so etwas wie 'die anderen'. Dann können wir nicht Verantwortung von dieser Community erwarten. Wenn wir sie akzeptieren, dann werden sie Verantwortung übernehmen. Es ist unmöglich einen Schritt ohne den anderen zu tun. Wenn du Menschen vertraust, dann vertrauen sie dir, dann fühlen sie sich verantwortlich. Wenn du ihnen nicht vertraust, kannst du keine Verantwortung erwarten. Das ist normal, das ist psychologisch. Das ist nicht kulturell."

Kein gesellschaftlicher Rassismus in der Slowakei?

Am Ende meines zweiten Lokalaugenscheines in der Slowakei mache ich einen Abstecher nach Bratislava, um den neuen Romabeauftragten der Regierung zu interviewen.Vizekanzler Dusan Caplovic hat erst vor einem halben Jahr eine andere Romabauftragte entlassen und öffentlich bekundet, dass es für die Funktion eben einen Mann brauche. Geworden ist es dann Ludovit Galbavy, der ehemalige Polizeichef der Stadt Nitra. Beim Interview sitze ich ihm und seinem Sekretär gegenüber, der das Interview Wort für Wort mitnotiert. "Meine Strategie ist, die Roma nicht mehr als eine kleine Minderheit zu betrachten sondern Roma Communities als wichtigen Teil der Gesellschaft zu sehen. Es geht um den Versuch, die gesamte Gesellschaft für das Thema zu interessieren, um sich als ganze neu zu definieren", erklärt Galbavy seinen Zugang.

Wie reagiert er auf die jüngsten Antiromademonstrationen, auf die neue romafeindliche rechtsextreme Gruppierung Slovenska pospolitost und dem vermehrten Polizeieinsatz in der Ostslowakei? Und wie reagiert er auf NGOs, die vor einem drohenden Bürgerkrieg warnen? Laut Galbavy sei alles nicht so dramatisch, wie es medial oft dargestellt wird: "Extremistische Gruppen gibt es. Aber die Slowakei hat genug Kräfte, vor allem die Gerichte und die Polizei direkt vor Ort, die das alles unter Kontrolle halten."

Und wie plant die Regierung den Rassismus gegen Roma in der Mehrheitsgesellschaft zu bekämpfen? Galbavy wehrt ab, leugnet den Rassismus gegen Roma und kritisiert ihn als Vorurteil gegenüber der slowakischen Mehrheit. Es handle sich um Einzelfälle, die bestraft würden.

Sechs Jahre nach dem EU-Beitritt ist das Resümee über die Lage der diskriminierten Roma in der Slowakei haarsträubend: Bislang haben die meisten der 150.000 Ärmsten kaum eine Verbesserung ihrer Lebenssituation in den Elendsvierteln erfahren, obwohl seit zwei Jahren Gelder für strukturelle Hilfe zur Verfügung stünden, die aber nicht genutzt werden. Und nun wird sie eine Regierung verteilen, deren Vertreter den gesellschaftlichen Rassismus gegen Roma leugnet.