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Simon Welebil

Abenteuer im Kopf, drinnen, draußen und im Netz

26. 1. 2010 - 20:00

Schuldig!

Flatz und Ana Hoffner zeigen in Innsbruck die unterschiedlichen Möglichkeiten von Performance Art auf

Die Lage von zeitgenössischer Kunst in Innsbruck und Tirol insgesamt ist nicht gerade rosig. Stadt und Land kürzten ihre Ausgaben für Kultur und dem Kunstraum Innsbruck, einem der renommiertesten Kulturorte, werden wegen einer Personalentscheidung die Subventionen vorenthalten. Trotz der widrigen Umstände - einige KünstlerInnen haben sogar gedroht, Tirol zu verlassen - finden noch Kulturveranstaltungen statt, die sich sehen lassen können.

Mehr zu Flatz bei Zita Bereuter

Innerhalb einer Woche zeigten der Vorarlberger Aktionskünstler Flatz und Ana Hoffner Performances, die unterschiedlicher nicht sein könnten. In beiden geht es um die Frage von Schuldzuschreibungen.

"Schuldig! Nicht schuldig!"

Die Performance war ursprünglich als Teil der von Christoph Bertsch kuratierter Ausstellung "CELLA - Strukturen der Ausgrenzung und Disziplinierung" geplant.

Flatz bringt mit seiner Performance Schuldig! Nicht schuldig! im Kunstraum Innsbruck mediale Aufmerksamkeit und Publikumsinteresse mit sich, wie sie zeitgenössischer Kunst in Tirol meist fehlt. Nicht weniger als fünf Kamerateams und zig FotografInnen begleiten seine Performance, die durch den Skandal, den Flatz im November in Rom ausgelöst hatte, noch mehr gepusht wurde.

Die Menschen drängen sich im Kunstraum zusammen, eingegrenzt von einer schwarzen Linie aus Klebeband, die etwa einen Meter von den Wänden entfernt angebracht ist und einen Laufweg darstellt. An den Ecken des Raumes hängen Metallplatten von den Decken. Alle bemühen sich um gute Plätze, als der vermummte Künstler von einem Helfer in den Raum geführt wird.

der Vorarlberger Künstler Flatz wird in Sträflingsklamotten rasiert

Simon Welebil

Sein roter Anzug ist dem der Häftlinge in Guantanamo nachgeahmt, seine Hände und Füße sind angekettet. Auf einem improvisierten Tisch in der Mitte des Raumes sitzend werden ihm Haare und Bart geschoren, danach wird er ausgezogen und mit einem Klapps auf den Hintern losgeschickt.

Flatz Hände sind hinter dem Rücken in Handschellen gefangen, auch um Penis und Hoden ist ein Kettenglied. In Runden geht er um die ZuschauerInnen herum und summt dabei.Vor jeder Metallplatte bleibt er stehen, schreit abwechselnd "Schuldig!" oder "Nicht-schuldig!", holt mit seinem Kopf aus und schlägt gegen die Platte. Das Publikum erzittert bei dem durch Lautsprecher verstärkten, blechernen Gong. Unruhe breitet sich im Kunstraum aus und diese wird schlagartig größer, als nach ein paar Runden die Beule auf Flatz Stirn blutig aufplatzt.

Flatz, nackt, geht seine Runden im Kunstraum

Simon Welebil

Die Reaktionen des Publikums werden zentral für die Performance: Nach ersten "Aufhalten"-Zwischenrufen beginnen manche ZuschauerInnen wirklich einzuschreiten. Zunächst versuchen sie, Flatz zu fassen zu bekommen, aber er reißt sich aus jeder Umklammerung los. Dann will man ihm den Weg verstellen, doch er kann jede Blockade überwinden. Die Ersten beginnen zu diskutieren, ob man den Künstler überhaupt aufhalten darf. Und dann bilden sich beinahe autoritäre Strukturen im Publikum: ein paar Menschen sehen sich als "AnführerInnen", die den anderen vorschreiben wollen, was sie zu tun haben.

Zuschauer verstellen Flatz den Weg

Simon Welebil

Einige Leute stellen sich vor den Metallplatten auf, um Flatz davor zu hindern, sich selbst zu verletzen. Dadurch ist er gezwungen manche Platten auszulassen. Flatz faucht die ZuschauerInnen an, sie sollen ihm aus dem Weg gehen und kann sich schließlich gegen die BlockiererInnen durchsetzen.

Wie lange ist man bereit, der Selbstverstümmelung zuzusehen?

Um Flatz zum Aufhören zu bewegen, alarmiert schließlich jemand Polizei, Rettung und Stadtmagistrat. Die wissen aber auch nicht, was sie tun sollten. Darf man ihn stoppen? Kann man ihn einweisen lassen? Ist er schuldig / unschuldig? Da es sich um eine angemeldete Kunstaktion handelt, können sie nicht eingreifen und ein Teil des Publikums verlässt die Performance. Danach versuchen kreative ZuseherInnen einfach die Wegstreifen umzukleben, und Flatz somit aus dem Kunstraum zu lenken, aber auch diese Aktion ist erfolglos.

Flatz macht seine Runden, im Hintergrund sieht man das volle Foyer

Simon Welebil

Blutfleck auf Metallplatte

Simon Welebil

Immer mehr Anwesende sind nun der Meinung, man müsse den Raum verlassen, damit Flatz endlich aufhört sich selbst zu schaden. Die wenigen ZuseherInnen, die im Kunstraum bleiben, werden schließlich von Kurator Stefan Bidner gebeten zu gehen. Den letzten Zuschauer bedroht Flatz gar selbst mit einem Kopfstoß, wenn er nicht endlich verschwinde. Sein Konzept ist ihm also nicht ganz aufgegangen. Nach exakt zwei Stunden und etwa 480 Kopfstößen verlässt er den Kunstraum, klatscht mit seinen Mitarbeitern ab, wäscht sich den Kopf und lässt sein Publikum verwirrt im Foyer zurück.

Der Serbe ist schuld!

Ganz anders bei Ana Hoffner: sie präsentiert mit ihrer Lectureperformance Transitional Europa im Künstlerhaus Büchsenhausen das schiere Gegenteil von Flatz. Hier sind keine Kamerateams anwesend, das Publikum ist überschaubar, hier erwartet niemand einen Skandal. Im Mittelpunkt steht weniger die Form der Performance, als der Inhalt dessen, was Hoffner vorträgt.

Die Künstlerin sitzt an einem Tisch vor einer weißen Wand an einem Tisch gegenüber dem Publikum und inszeniert ein postdramatisches Theaterstück mit vier Sprechern. Drei dieser Sprecher sind lediglich Aussagen und nur symbolisch vorhanden. Diese Aussagen werden von Hoffner während der Performance an die Wand geschrieben.

Die Sprecher

"Serbien muss sterbien" ist der erste Sprecher, der auftritt. Der Spruch stammt aus dem Ersten Weltkrieg, war aber auch während der Jugoslawienkriege in den 1990er Jahren auf Wiener Hauswänden zu lesen. Als weitere Sprecher kommen die Aussagen "Smrt pederima" - Tod den Schwulen, als Parole der Homophobie, und "Fuck Gender" dazu.

Diese drei Sprecher konstruieren einerseits den Serben als grausam, gewalttätig und unzivilisert, als Vergewaltiger und Alleinverantwortlichen für Kriegsverbrechen (seit den Nuller Jahren, in denen es homophobe Übergriffe auf queere Veranstaltungen gab, auch als Verantwortlichen für homophobe Gewalt), andererseits einen liberalen und toleranten Westen, der kulturelle Überlegenheit ausstrahlt.

Ausgewählte österreichische Homosexuelle tragen zu dieser Konstruktion bei, wenn sie versuchen die serbische sexuelle Emanzipation zu retten. Sie rechtfertigen damit politische, soziale und wirtschaftliche Eingriffe EUropas im "undemokratischen" und "unterentwickelten" Serbien. Homesexualität wird somit zum Komplizen eines österreichischen Nationalismus. Hoffner versucht zu widerlegen, dass Homosexuelle außerhalb von Machtbeziehungen stehen.

Als vierter Sprecher fungiert die Künstlerin selbst. Sie sagt, sie befinde sich gerade in einem Zustand der Transition, an deren Ende die Aufnahme in Österreich stehen soll.

Für dieses Ziel muss sich vieles ändern: ihre Stimme, ihr Bartwuchs; sie spritzt sich Testosteron, um aufgenommen zu werden, um Teil eines schimpfenden Bürgertums zu werden, allerdings ohne Erfolg.
Während sie die ersten drei Sprecher als Symbole für Nationalismus, Rassismus und Homophobie konzipiert und diese als Symbole für ein neues EUropa sieht, muss sie selbst als vierter Sprecher abgehen, da EUropa nur noch aus Symbolen besteht.

Ana Hoffner zeigt mit ihrer Performance, wie anhand von Homonormativität und Queersein ein europäischer Einheitsraum konstruiert wird. Die Konstruktion des Einheitlichen funktioniert dabei nur über die Ausgrenzung des Anderen, des homophoben, gewalttätigen Serben, der nicht zu EUropa passt. Damit wird auch die Dominanz des einen über den anderen festgeschrieben und die grenzenlose Ausbeutung osteuropäischer Regionen für die Zukunft sichergestellt.

Während Flatz auf die Körperlichkeit seiner Performances setzt und die Wirklichkeit mit einem Hammer gestalten will, setzt Ana Hoffner mehr auf ihre Analysen und Worte. Um Flatz Performances wird es in Zukunft wohl etwas stiller werden, weil sie ihn nach eigener Aussage körperlich zu sehr mitnehmen, Ana Hoffner kann man hingegen schon bald wieder sehen. Am 16.04.2010 wird sie gemeinsam mit Ljubomir Bratic und Ivana Marjanovic in Büchsenhausen Vorträge zu kolonialer Kontinuität - Kunst und Migration im neuen EUropa - abhalten. Beginn um 20 Uhr. Und eine weitere Lectureperformance ist für den 18.05.2010 - ebenfalls in Büchsenhausen - geplant.