Erstellt am: 9. 5. 2010 - 16:21 Uhr
Das große Finale
Alle Berichte vom Donaufestival in Krems
Wir glauben uns noch immer alles. Philipp L´Heritier, David Pfister und Nina Hofer über den letzten Abend am Donaufestival. Fest in weiblicher Hand.
Ssion (sprich: Shawn)
von Philipp L´heritier
Electroclash 2.0 reloaded und Iggy Pop, die Pet Shop Boys und die B 52’s wohnen eh alle im selben Haus: Die Gruppe / das Projekt / die Idee Ssion aus of all places - Kansas City ist natürlich ein passender Warm-Up-Act für den von Peaches kuratierten Abschluss-Abend beim Donaufestival.
ondrusova
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Bei Ssion, der Unternehmung von Kopf Cody Critcheloe, fallen billige Beats, abgefuckte Disco, Gender-Theorie in ansatzweise Spurenelementen und Punk-Rotz zusammen in einen Party-Kessel, der in keinster Weise überhaupt irgendwie "besonders" ist, aber immerhin, naja, sehr gut rockt.
Die Beats aus der betont billigen Dose versetzt der langhaarige Langhaargitarrist J.A.M. (lange Haare) "If You Want To Make Your Hair Grow Fast, You Have To Eat Bones. Any Kind Of Bone Will Do" teils mit psychedelischem Hippie-Genudel, Digital-Punk und Woodstock werden endlich Freunde, und mit ihrer mit aller Absicht affig hingestellten Perfomance zeigen Ssion, dass sie wissen, dass sie mit ihrer Musik nicht gerade das Studio 54 und auch nicht Williamsburg neu wiedererfinden. Ziemlich komplett beknackter Performance-, Scheinkaraoke- und Vortäuschungsschwachsinn, großartig also, der ganz stark von Funk, Prince, Rick James und vermutlich kribbelig machenden Erweckungspulvern lebt, zusammengebaut mit einem Rock-Gestus, der mittlerweile glücklicherweise schon weiß, dass die Verbindung von Koks- und Champagner-Chic mit runtergerocktem Dosenbier allein auch keinen Gigolo Hell mehr aus der gestrengen S/M-Kammer hervorlocken wird. Fischerspooner, mit mehr als eineinhalb Ideen. Marilyn Manson, wehe! Billiger Glam und schäbiger Rock-Bombast, das willst du doch sein: Ssion.
ondrusova
Sandy Kane
von David Pfister
Sandy Kane ist ungefähr so alt wie mein Papa, also siebzig Jahre. Gleich zu Beginn des Interviews fragt sie mich, wie es um meine Potenz bestellt ist und ob ich einen Aidstest mithabe. Nein, habe ich nicht. Werde ich um 21.40 Uhr in Krems auch eher nicht so schnell aufstellen können, Gott sei Dank. Warum das Sandy Kane fragt? Nun lassen wir den Kurator des Donaufestivals Thomas Zierhofer-Kin darauf antworten. Ob unschuldige Teenhits aus den Sixties oder flotte Italo-Gassenhauer der Disco-Ära: die Hardcore-Interpretationen der jüdisch-amerikanischen DIY-Künstlerin gehören wohl zu den unerhörtesten Sex & Crime-Fantasien, die im Web 2.0 kursieren.
ondrusova
Viele Informationen habe ich noch von Sandy Kane erfahren. Zum Beispiel wie es um den legendären US-Talkradio-Star Howard Stern so körperlich bestellt ist und dass Lady Gaga bei ihr ästhetisch stiehlt. Und dann schießen wir Fotos für ihren Kühlschrank.
ondrusova
Musikalisch stellt sich das so dar, dass Sandy Kane Klassiker der amerikanischen Rock- und Popgeschichte radikal umtextet. Aus "At The Hop" wird zum Beispiel "I Like To Suck Cock". Auf der Bühne werden die Neudeutungen dementsprechend kompromisslos umgesetzt. Die gelernte Stripperin lässt einfach ihre CD mit extrem schrottigen Sound laufen und singt drüber. Manchmal wird Dildo mit Mikrophon verwechselt. Sandy Kane lässt sich Euroscheine in das Strumpfband stopfen und zieht dafür das Höschen runter. Das ist keine Travestieshow, das ist schon gar kein Konzert, das ist die unheilige Urmutter der traurigen Suicide Girls. Nur hören die ja 30 Seconds To Mars und nicht "I Like To Suck Cock" von Sandy Kane. Kollegin Eva Brunner rät mir nach dem Konzert meine Kappe abzunehmen. Das sollte genügen um nicht mehr erkannt zu werden. Hat nicht funktioniert.
ondrusova
Jesus walked on water, Peaches walks on you
von Nina Hofer
Verkleidet in einem roten Irrsinnsfummel á la Mr.Crabs besteigt Peaches das Publikum. Danach folgt ein barockes Elektrofeuerwerk der Sonderklasse. Die Bühne betretend mit Haargerüsten, für die das Wort Perücke neu erfunden werden müsste - Marie Antoinette wäre vor Neid der Kuchen aus dem Mund geflogen - wechselte ein Bühnenkostüm mit Showelement das andere. Low Fi war gestern, DIY hat Peaches spätestens 2010 komplett hinter sich gelassen. Jetzt wird Disco mit pussy lights effektvoll blinkend eingesetzt. Impeach my bush.
ondrusova
Besonders furchterregend waren allerdings die hautfarbenen Ersatzbrüste, die zwar anfänglich noch an theoretisch anatomisch korrekten Platz getragen wurden, dann jedoch auf Peaches Kopf als Mickey Mouse Ohren mit Nippel ihr Zuhause gefunden haben. Apropos Nippel: Sandy Kane hat vor ihrem Wahnsinnsauftritt angekündigt: god blessed me without nippels; was das naked cowgirl dann pyrotechnisch mit dem nippellosen Zweiteiler angestellt hat, hinterließ die Frage, ob Gott da wirklich seine Finger mit im Spiel hatte. Relight my fire. Für Peaches ist sie ein role model und man kann über sie denken wie man will: das macht ihr so schnell niemand nach. You go for it!
What else is in the teaches of peaches?
ondrusova
Im Interview hat Peaches zwar noch versprochen, dass es weder diesen Riesenplastikpenis ("it got all the attention"), noch andere dicks on stage außer den Musikern geben wird. Aber Peaches wäre wohl nicht eine Mutter der sexuellen Referenzen, würden sich nicht ein paar phallische Gegenstände zielgerecht eingesetzt auf der Bühne tummeln. Diesmal gab´s Glasharfen unter anderem. Weniger originalgetreu aber sehr effektvoll eingesetzt. Liebevoll gestreichelt leuchtend, wobei generell auf die Lightshow großen Wert gelegt wurde: wunderschöne Querverweise auf Frankie goes to Hollywood bei grünen Lasern. "Relax, don`t do it" als bleibendes Motto auch gestern: mit einer unerschöpflichen Energie nicht nur in unzählige Kostüme geschlüpft, sondern auch grandiosest ein Set vollgestopft mit alten und neuen Klassikern gebracht: von "The Teaches of Peaches" zu "Cream", von "Slippery Dick" zu "Mummy Complex".
ondrusova
Danke für einen würdigen und wunderbaren Abschluss eines großartigen Festivals. I´ll be back!