Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Im Indoor-Wärmeflaschen-Prozess!"

Susi Ondrušová

Preview / Review

24. 1. 2010 - 06:39

Im Indoor-Wärmeflaschen-Prozess!

Die GratulantInnen innerhalb der vier Arena-Hallenwände.

Das Gefühl ist am Ende, dabei hat es noch gar nicht angefangen. Nach den ersten Bands auf der großen Bühne, einem erfreulich belebenden Set der Blood Red Shoes, einem erfreulich beseelten von Get Well Soon und einem erfreulichst fröhlichen (und tanzbaren) Set der Sterne, fängt die Sause in der Halle erst an. Ob Zehen irgendwann aufhören zu frieren, ist die Frage. Das Stehfleisch ist unterkühlt. Die Gedanken spinnen sich ins Pessimistische. Stell dir vor, du wachst auf und wirst nie wieder warm. Nicht philosophisch ums Herz, nein so fleischlich biologisch.

christian stipkovits

Warm und wärmer?? IHR aka wow!

Stell dir doch vor, du kannst dich nie wieder aufwärmen, nie wieder ein Getränk zu dir nehmen, das nicht kochende Temperaturen hat. Stell dir vor, du kannst dich nie wieder dieser pieksenden Strümpfe und der langen Unterhose und den vier Schichten (Baum-)Wolle entledigen? Weil dir einfach nie wieder warm wird? Was wäre, wenn die ungeschnittene Rohfassung aka Zusammenfassung deines schlimmsten Albtraumes - also die Hölle - schon vor deinem Ableben anfängt? Da braucht es schon gute Musik, um wieder zum denkbaren Normalzustand zu finden. Erste Hilfe leistete unter anderem Hermes mit dem Elsbacherischen. Die beiden haben sich während der Eröffnungszeremonie in der Indoor-Halle der Wiener Arena Unterstützung von Turbodeli geholt. Aber von Gags alleine wird man noch nicht warm.

turbodeli

christian stipkovits

Chez Hermes Zeremonienunterhalter Turbodeli: eine partizipative Show

Thao&The Get Down Stay Down

christian stipkovits

Das auf Kill Rock Stars veröffentlichte Album "Know Better Learn Faster" ist Feelgood-Pop all over.

christian stipkovits

Die aus Vietnam stammende Musikerin Thao Nguyen badet mit ihrem ganzen Körper in der Melodie, versinkt in ihren Songs, vollführt quirlig eine Art Schlangentanz à la "tropic like it's hot" vor dem Mikrofonständer. Lässt aus dem Hintergrund ihre Bandkollegen mitklatschen oder einen Hüfttanz vollführen. Die bestimmende und brechende Stimme hat etwas Hastiges und doch Präzises. Thao singt, indem sie scheinbar Atempausen verschluckt. Die Reize sind geweckt, Durchblutung ist aktiviert, aber noch ist der optimale Wärmegrad nicht erreicht.

Garish

christian stipkovits

Kluge Lyrics können auch ein Fluch sein, meinte kürzlich Tocotronic-Texter Dirk von Lowtzow in einem Interview, denn für die Geschmacksdiskussion heißt es, dass schon mal der Sound einer Band in der öffentlichen Vokabelzerpflückung untergehen kann. Garish waren bis zu ihrem Auftritt eigentlich eher mein Paradebeispiel für diese Zwickmühle. Denn bei "Radiohead aus dem Burgenland" (Zitat: Hermes/Blumenau) hatten für mich persönlich die wundersam lyrischen und assoziativen Texte, mit ihrem traumhaft erzählerischen Vokabeleigenleben die größere Anziehungskraft als – eben – die Musik. Gesungen und unter die Plattennadel geritzt waren Garish in meiner Wahrnehmung immer zu sehr das Schweißtropfenkonzentrat eines sich zu stark bemühenden Musterschülers.

Garish Live:
12.3. @ Kukuk/Bildein, w/ Sweet Sweet Moon
13.3. @ Cselley Mühle/Oslip, w/ Das Trojanische Pferd
26.3. @ ppc/Graz
27.3. @ Bertholdsaal/Weyer
9.4. @ Gewölbekeller/Judenburg
14.4. @ Flex/Wien
16.4. @ ARGE Kultur/Slzbg, w/ The More And The Less
21.4. @ Bierstindl/Innsbruck

christian stipkovits

Aber man besitzt keine Platten, um seine Denkschablone nicht durch eine Liveperformance ins (ge)rechte Licht zu rücken. Vielleicht wird das neue Garish-Album "Wenn dir das meine Liebe nicht beweist" der Auslöser für eine neue, länger als zwei Platten anhaltende Beschäftigungstherapie sein. Oder einfach nur ein Neuanfang. Ich notiere mir schon die erste Gefühlsregung als das Set eröffnet wird, ein Blick auf die dazugehörige Liste spricht mich dann auch gleich an: "Den Idioten zum Beweis". Damit fühl ich mich eine Stunde lang in einen Bann gezogen, der mich zu Amelie werden lässt, denn "in diesem Augenblick ist alles perfekt: die Weichheit des Lichts, dieser feine Duft, die ruhige Atmosphäre der Stadt!"

Also: Am 23.Jänner 2010 um 23:36 und 14 Sekunden, auf der Openairbühne der Arena Wien hat sich eine Fliege im Scheinwerferlicht selbst erloschen und erliegt dem jüngsten Bauchklangmitglied vor den Füßen, genau in diesem Moment strömt auch schon ein Schweißtropfen auf den erzitternd am Bühnenboden liegenden Fliegenrest und vereist unbeobachtet. In diesem Moment fragt sich der Lichttechniker, warum er sich nicht für den späteren Dienst in der Halle entschieden hat, denkt an die Wärme, als sich vor dem Seiteneingang schon "friends&lovers" der Band Garish zum Chor formieren, um welchen Song stimmlich zu unterstützen? "Eisenherz". Es kann kein Zufall sein.

christian stipkovits

Die Abschlussnummer eines bewegenden Konzertes ist der zum Mitsingen bestens geeignete Track "Dann fass ich mir ein Herz", im Chor (u.a. Trouble Over Tokyo und Velojet) wird das "dadadada" aus voller Inbrunst geträllert, während Thomas Jarmer von dieser Fahrt übers Meer singt, "die in 16 Stunden geht, das ist 4 Stunden her!" Aber wem das zu kompliziert ist, der kann das auch mit "Wow" zusammenfassen.

Ezra Furman&The Harpoons

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Mal Ween, mal Violent Femmes, mal Dylan und dann wieder countryeskes Volksgut ohne Haltegriff. Was wäre ein Fest(ival) ohne ein gehöriges Wechselbad der Gefühle. Dankbar und höflichst präsentiert Ezra Furman und seine Harpoons ein energetisches Set, das seinen Höhepunkt in der Darbietung von "Take Off Your Sunglasses" finden sollte. Nicht nur, weil in der ersten Reihe zwei Sonnenbrillenträger auf und abhüpfen, sondern, weil es der schamlos am besten schmeckende Song im Bob-Dylan-Speckmantel ist – seit langem. Das Pixies-Bellen beim letzten Song "We Should Fight" war jedenfalls auch entzückend. Mit dergleichen Euphorie wurde die erste aufgetaute Zehe im Schuh begrüßt.

Ezra Furman&The Harpoons Live
26.1. @ ppc/Graz
27.1. @ Spinnerei/Traun
28.1. @ Spielboden/Dornbirn
29.1. @ Kik/Ried im Innkreis (w/ Ja, Panik)
30.1. @ Kino Ebensee (w/ Esteban´s)
3.2. @ Weekender Club/Innsbruck
4.2. @ The Great Räng Teng Teng/Freiburg

christian stipkovits

Two Door Cinema Club

christian stipkovits

In der klirrenden Openair-Kälte wird schon längst abgebaut und Sachgüter auf der Bühne eingesammelt, als die leicht(sinnig) bekleideten 2010-Newcomer-Darlings Two Door Cinema Club eine letzte Pinkelpause absolvieren. Die Gitarre wird gleich auf beinahe Mundharmonikahöhe gehängt (jene herrlich Vertracktsein fördernde Höhe!), das Keyboard schön mittig platziert. Die Füsschen in engen Jeanschen, um die Stimmchen – ach, okay, die Verniedlichungen nützen niemandem. Aber was wäre, wenn die vier Bandmitglieder aus dem Hinterhalt der Kinotür nach vorne preschen würden und ihre geernteten Vorschusslorbeeren in etwas Freches statt Braves verwandeln würden?

christian stipkovits

Two Door Cinema Club beherrschen ihren Sound, sie machen nichts falsch und wegen dieser Perfektions-Diagnose machen sich die ersten Müdigkeitserscheinungen der Marke "austauschbar, ich muss mich erstmal setzen" bemerkbar. Aber inwieweit kann man die Fehlerfreiheit der Band schuldig sprechen? Gar nicht, frische Luft ein- und ausatmen und ab der Mitte bei "I Can Talk" wieder reinfinden. Schließlich dann auch: achtungsvolle Verbeugung.

christian stipkovits

Something à la Mode

Aus dieser Verbeugung kommt man dann auch so schnell gar nicht raus. Die Zeichen sind gezählt, die Highlights haben sich erschlossen und dann kommen also diese zwei Franzosen auf die leergefegte Bühne, um ihre technologisch weit entwickelten Hilfsmittel mit Cello und Geige zu fusionieren. Ein organisches Unterfangen, das nach kurzer Zeit den Blick von der Bühne lockert. Die Musik kommt aus den Boxen und erfüllt den Raum, braucht kein personifiziertes Zentralorgan mehr. Blick schweifen lassen, wir sind beim letzten Übungsabschnitt der Aufwärmübungen angelangt. Es ist heiß geworden. Will meinen: HOT.

christian stipkovits