Erstellt am: 2. 6. 2010 - 14:17 Uhr
Alles nur Berechnung
Meine Freundin Irene hat es getan. Hat sich bei einem der vielen Beziehungsanbahnungsportale angemeldet. Für so zwei Tage. Von den rund achzig Nachrichten, die sie in der Zeit bekommen hat, haben rund die Hälfte den ersten Satz inhaltlich geteilt: "Bitte lass dich von meinem Alter nicht abschrecken." Ja. Klar.
- Liebe nach Punkten: Die Partnersuche via Internet ist geprägt von ausgefüllten Fragebögen und pragmatischer Anbahnung. (Robert Glashüttner)
Das Singlebörse-Portal OkCupid.com, eigenen Angaben nach eines der größten der Welt, macht es, wie andere Plattformen auch: Die registrierten Benutzerinnen und Benutzer beantworten Fragen zu Vorlieben und Interessensgebieten und auf Basis derer finden sich dann möglicherweise gut zusammenpassende Paare. Aber hier werden diese Fragen nicht von Sozialwissenschaftlern und Psychologen ausgearbeitet, sondern von der Community gestellt und sind dementsprechend oft originell.
OkCupid veröffentlicht statistische Daten über die Antworten darauf und das Verhalten seiner Userinnen und User in einem Blog, der überaus aufschlußreich ist. Dort erfährt man zum Beispiel, wie es um Vergewaltigungsfantasien und Hygiene der US-Amerikaner steht. Und siehe da: Je weiter nördlich man lebt, desto seltener duscht man.
Viel interessanter sind aber die Statistiken, in denen es um mehr als sexuelle Fantasien oder Körperhygiene geht. Irene hat am eigenen Posteingang erfahren, was es heißt, eine junge Frau auf der Suche nach Liebe zu sein. Der OkCupid-Blog rechnet ihren Einzelfall auf die Vorlieben von Männern hoch. Und da haben wir es schön aufbereitet: Je älter Männer werden, desto (verhältnismäßig) jünger sollen ihre Partnerinnen sein. Ein 26jähriger Mann sucht noch nach Frauen zwischen 20 und 31, ein 40jähriger nach Frauen zwischen 26 und 45. Das sind die durchschnittlichen, im Profil angegebenen Mindest- und Höchstalter der gewünschten zukünftigen Partnerinnen. Wenn es um die tatsächliche Kontaktaufnahme geht, gibt es für die Männer nur das Mindestalter zur Registrierung bei OkCupid: 18. Nach oben wird die Luft hingegen sehr schnell sehr dünn. (Frauen sind übrigens nach oben wie unten offen.)
okcupid.com
Im weitesten Bekanntenkreis oder auf der Straße bestätigt sich auch, dasss diese Taktik immer noch super funktioniert. Alter Sack sucht sich junge Hüpferin. Und findet sie auch. Nachdem die gängigen Erklärungen dafür (am besten finde ich das Fruchtbarkeitsargument) aussortiert sind, bleibt meist eine übrig: Die Hüpferinnen sind Statussymbole und dabei besser als ein neuer Mercedes. Soviel zur Emanzipation. Denn eine Beziehung auf Augenhöhe ist bei einem Altersunterschied von 20 Jahren schlicht nicht möglich. Irene hat sich dann mit genau einem Typen getroffen, der nicht wesentlich älter als sie ist. Nachdem sie sich ein Monat Mails geschrieben haben. Sie wohnen jetzt sicher schon ein Jahr zusammen. Es funktioniert also doch. Andererseits offenbaren sich am Online-Datingmarkt nicht nur Altherrenfantasien.
Farbenlehre
Denn ein anderer, vielsagender Blogeintrag beschäftigt sich mit der ethnischen Herkunft. Dort wird zunächst über den hauseigenen Persönlichkeitstest nachgewiesen, dass Leute aus egal welchen ethnischen Gruppen ziemlich gleich gut zusammenpassen würden. Und dann kommen einige aufschlussreiche Grafiken darüber, wer wem auf einen schriftlichen Erstkontakt am ehesten zurückschreibt. Kurz und knapp: Männer weißer Hautfarbe bekommen die meisten Antworten auf Annäherungsversuche, Frauen schwarzer Hautfarbe die wenigsten. Die wiederum schreiben Männern schwarzer Hautfarbe am seltensten zurück. Und weiße Männer antworten am seltensten auf weibliche Annäherungsversuche.
okcupid.com
Bei Homosexuellen stellt sich das übrigens nur leicht anders dar. Ihre Vorurteile sind ein bißchen weniger ausgeprägt, aber es gilt: Sowohl Männer als auch Frauen weißer Hautfarbe schreiben am seltensten zurück, und Männer wie Frauen schwarzer Hautfarbe bekommen die wenigsten Antworten.
Das Fazit des Blog-Autors, offenbar Christian Rudder, OkCupid-Mitbegründer:
"It’s probably not just OkCupid users that are like this. I don’t want anyone walking away from all this thinking that OkCupid users exceptionally horrible people. It’s likely that any dating site (and indeed any collection of people) would exhibit messaging biases similar to what I’ve written up. According to our internal metrics, at least, OkCupid’s users are better-educated, younger, and far more progressive than the norm, so I can imagine that many sites would actually have worse race stats."
Der User oder die Userin Kalynada hat in einem Posting auch schon die perfekte Lösung anzubieten: "Why not implement a very simple “ethnicity preference” section, just like match.com does?". Als ob das etwas ändern würde.
okcupid.com
Bigotterie? Schizophrenie?
Nach außen hin hätten die User und Userinnen natürlich fast alle überhaupt keine Probleme mit Beziehungen zu jemandem mit anderer ethnischer Herkunft: 94% halten "interracial marriage" für "no bad idea". Blöd, wenn im Hintergrund kleine Vorratsdatenspeicher alles mitschneiden, was du so machst. Selbst wenn die Daten anonymisiert werden und die Firma OkCupid selbst nicht weiß, wer jetzt genau wem schreibt. Wenigstens eine im Blog veröffentlichte Statistik lässt darauf schließen, dass auch alle verschickten Nachrichten mitgeschnitten and analysiert werden. In dem Fall hat auch jemand die Möglichkeit, sich in aller Ruhe durch einzelne Accounts zu blättern. Und machen wir uns nichts vor: Alle Social Networks analysieren uns bis in die (gar nicht mehr so) privaten Nachrichten.
Vertraue nur Statistiken, die du selbst gefälscht hast
Jetzt lassen sich diese Statistiken - wie ja eh alle - leicht zerpflücken. Alleine die Tatsache, dass Frauen auch im Netz viel seltener den ersten Schritt machen oder die Verteilung der verschiedenen Ethnien in der Gesamtbevölkerung und auf OkCupid.com bieten dafür gute Ansätze. Aber bei nach Eigenaussage 500.000 aktiven Mitgliedern, deren Verhalten hier ausgewertet worden ist, haben die Zahlen schon eine gewisse Aussagekraft und bestätigen alte Klischees. Gehören versteckter Rassismus, überholte Geschlechterrollen oder die strategische Planung eines erhofften sozialen Aufstieges vielleicht einfach zur Liebe dazu?