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Elisabeth Gollackner

Subjektivitäten, Identitäten und andere feine Unterschiede.

21. 1. 2010 - 14:04

Oh! Eier und Stockerl

Wer zu schnell läuft, sollte zumindest einen großen Busen haben.

Oh! - Irritationen im Alltag

Noch knappe drei Wochen bis zu den Olympischen Spielen in Vancouver, und das Olympische Komitee gebietet wieder mal, die Hosen runterzulassen. "Zuordnungsproblem" heißt die Hürde, die es noch zu nehmen gilt, "Geschlechtszertifikat" heißt das Ziel. Und deshalb fallen Frauen, die an den Schultern zuviel und um die Brustpartie zu wenig aufweisen können, ein weiteres Mal der Paranoia der Herrn Doktoren zum Opfer.

Comicstil; jemand denkt an die Olympischen Ringe.

elisabeth gollackner, fm4

Wenn das nicht paradox ist: Das Internationale Olympische Komitee und die International Association of Atlethic Federations möchten klare Regeln und faire Spiele für Männer und Frauen. Sport als letzte Bastion des Geschlechterdualismus also. Und genau diese beiden Organisationen sind es aber, die seit 50 Jahren wunderbare Beweise dafür liefern, dass ihre starre Konstruktion von Welt gerade dabei ist, sich aufzulösen.

In den 1960ern der entwürdigende Griff zwischen die Beine der kantigen sowjetischen Mehrkämpferinnen. Nur, um festzustellen, dass ein Penis noch keinen Mann ausmacht. Ein paar Jahre später die Schleimhautabstriche zur Feststellung des Chromosomensatzes. Nur, um festzustellen, dass neben XY und XX auch noch so Spielereien wie XXY oder XXXY existieren. Jedes X ein Meilenstein auf dem Weg weg von der zwingend zweigeschlechtlichen Gesellschaftsordnung.

Nicht zu vergessen natürlich die demütigenden Diskussionen im Herbst 2009 rund um Goldmedaillengewinnerin Caster Semenya. Das Titelblatt, wo mit Nagellack und Abendkleid versucht wurde, die öffentliche Ehre eines Landes mit Weiblichkeit zu retten, ist der beste Beweis dafür, dass Geschlecht nichts anderes ist als Verkleidung, eine soziale Rolle. "Performing Gender", wie Judith Butler es nennt.

Ob sich Semenya bei den nächsten Spielen wieder als Läuferin verkleiden darf, ist noch nicht klar. Falls ja, muss sie vermutlich erst das schöne neue "medical center" passieren. In einem zweitägigen medizinischen Symposium hat das IOC nämlich diese Woche beschlossen, "to set up health centers where experts would diagnose and treat athletes with what are known as 'disorders of sex development.'"

Judith Butlers Weblog
über Caster Semenya

Sport, Sex und Gender
Themenschwerpunkt in der Jungle World

Wie diese "disorders" wieder in "order" gebracht werden, wurde leider nicht verraten. Vielleicht mit Lippenaufspritzen, Busenvergrößerung oder falschen Fingernägeln Marke "Florence Griffith-Joyner". Wenn gar nichts mehr hilft: Nudel annähen und ab in die andere Umkleidekabine.
"Behandelt" werden im medical center eh hauptsächlich Frauen. Männer, die verdächtigt werden, eine Frau zu sein, sind für das IOC das kleinere Übel. Je weiter weg vom Stockerl, desto uninteressanter der Intimbereich.

Ja, dabeisein ist alles, aber alle will man nun auch wieder nicht dabeihaben. Und weil Zumpferlbetrug inzwischen auf der selben Stufe steht wie Dopingsünden, versichert IOC medical commission chairman Arne Ljungqvist auch: "If the sport comes across such a case, you have to deal with it in an expeditious manner."

Hier wird also gehandelt. Mit Hackstock und Nudelwalker wird "weitergeforscht" an der Tatsache, dass die Welt mehr zu bieten hat als zwei eindeutig getrennte Geschlechter. Irgendwann einmal werden diese Testergebnisse hoffentlich den Grundstein legen für ein sportliches Reglement, das dem Menschen mehr Aspekte zuspricht als nur "Mann" oder "Frau".