Erstellt am: 28. 1. 2010 - 16:35 Uhr
Fabulous flipsides
Trifft Simplizität auf schlaues Design, entstehen magische Momente. "Avoid missing ball for High Score" war alles, was an Instruktionen für den ersten Videospiel-Blockbuster "Pong" (1972) notwendig war. Bis heute können wir nicht die Finger von den zwei weißen Schlägern und dem viereckigen Ball lassen. Knapp 40 Jahre später ist die Euphorie über die Technik überwunden und wir können endlich nahtlos an damals anschließen. Wir brauchen bloß unser iPhone ein bisschen zu neigen und schon springt das ulkige Rüsseltier auf die nächste Plattform, wir drücken bloß eine Taste und sind bereits mitten im Geschehen. Täglich bekommt unser Browser frisches Spielefutter für das Wartezimmer, die Mittagspause, das Werbefenster.
Es ist die Blütezeit der Independent Game-Szene, die weder Geld noch Zeit für schickes Ausschmücken ihrer Spiele hat, dafür umso mehr Ideen in minimalistische Präsentationen packt. Schafft es ein Designer, dabei auch noch eine gute Geschichte zu erzählen, beim Spielenden ambivalente Emotionen zu evozieren oder sich auf philosophische Grundfragen zu berufen, glänzt der Indie-Stern mitunter heller als so manches millionenschwere Gaming-Schwergewicht.
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distractionware.com
Acht Farben, drei Tasten, ein Strichmännchen
Kein Wunder also, dass Terry Cavanaghs erstes kostenpflichtiges Spiel "VVVVVV" zum Lieblingsgeheimtipp der Presse mutiert ist. Von der renommierten Industriepublikation bis hin zum kulturbeflissenen Technikmagazin ist man allerorts begeistert von Cavanaghs interaktivem Space-Epos mit der kindlich-naiven Optik. Das Spiel trifft den Videospiel-Zeitgeist punktgenau, auf eine beinahe penetrant-perfekte Weise: "V" wirkt dank Pixelgrafik und 8 Bit-Musik vertraut und einladend, ist in Sekundenschnelle erlernt und stellt hohe Ansprüche an den Spielenden ohne je wirkliche Frustmomente in den Weg zu legen. Der nötige "Ah!"-Effekt wird per Knopfdruck ausgelöst, der die Gravitation buchstäblich auf den Kopf stellt - es ist das zentrale Spielelement von "V".
Rückkehr der Räume
Das wesentliche Design-Element von "V" ist jedoch die Unterteilung der geschaffenen Welt in einzelne Räume. Auch das entspringt ursprünglich technischen Limitationen und hat erst Mitte der 2000er Jahre als ästhetisches Merkmal in Videospiele zurückgefunden. Zunächst durch den zweiten Frühling der Grafik-Adventures: Man geht von Raum zu Raum und durchsucht das jeweilige Setting - ähnlich dem ausgiebigen Betrachten eines Gemäldes - nach versteckten Hinweisen und Informationen. Der einzelne Raum im Computerspiel ist in vielen Fällen eine unabhängige Aufgabe für sich, die jeweilige Komposition entsprechend detailreich.

Cactus / Arthur Lee
"V" ist kein Adventure, Terry Cavanagh beruft sich deshalb auf andere Vorbilder: Jump'n'Runs zur Zeit als flüssiges Bildschirmscrolling noch nicht erfunden und das Autorenspiel nicht Indie sondern Mainstream war. Schon bei "Manic Miner" (1983) äußerte sich der persönliche Bezug des Autors Matthew Smith zu seinen gestalteten Räumen durch eigene Namen, die unter die Darstellung geschrieben wurden. Jüngst haben sich Artgame-Designer Cactus und Arthur Lee mit ihrem spontan kreierten "Dungeon" auf diese Methode bezogen, Cavanagh legt mit "VVVVVV" nun die elaboriertere Neuauflage davon vor. Verquer, aber zugänglich, mit improvisiertem Antlitz und doch behutsam in Szene gesetzt.
Liebe zum Loop
Der spezielle Dreh bei Cavanaghs Raum-für-Raum Interpretation liegt in der Anordnung. Richtig wild wird es nämlich später im Spiel, wenn nach Raum Eins nicht Raum Zwei kommt, sondern mehr und mehr Loopholes auftauchen. Irgendwann ist es nur noch das endlose Fallen im Raum, auf der zuerst verzweifelten und bald aber harmonisch-entspannten Suche nach dem einzigen und wirklichen Ausgang.
"VVVVVV" ist bereits erschienen, für PC Windows und Mac OS erhältlich und kostet knapp 11 Euro. Vorab gibt's die Demo als Kostprobe. Und das tolle Demake.
Das besonders weitreichende und schlaue Ausreizen des Prinzips des Gravitationswechsels sowie der Raum-Paradoxa erhebt "VVVVVV" dann auch über den Hype und rechtfertigt das große Podest, das dem Game innerhalb und außerhalb der Indie-Szene zuteil geworden ist. Es ist ein Spiel, das die schwierige Balance zwischen Retro-Kitsch und Hommage, zwischen übersimplifiziertem Pausenspaß und ausladendem Epos geschickt meistert und sich seine weitreichenden Sympathien verdient hat.