Erstellt am: 18. 1. 2010 - 20:45 Uhr
"Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens"
"Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens", was wie ein krisengeschüttelter Lebensratgeber klingt, der zum sofortigen Umdenken animieren soll, ist das Lebensgefühl, von dem Ulli Lust mit 17 überzeugt war.
Damals, in den tiefen 80ern habe sie tatsächlich nicht in die Zukunft planen wollen, weil es eh keine gab, also eh alles wurscht, man habe auf die große Bombe gewartet und wollte vor dem baldigen Tod lieber nochmal auf den Putz hauen.
ulli lust
Ulli Lust, in Wien geboren, lebt mittlerweile in Berlin.
Früher war sie Kinderbuchillustratorin, seit ihrem Studienabschluss zeichnet sie ausschließlich für Volljährige, wie sie selbst auf ihrer Homepage behauptet. Das trifft sicher auf ihr vor kurzem erschienenes Buch "Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens" zu.
No Future
Mit dieser Einstellung wollen Ulli und ihre Freundin Edi nach Italien – das unkomplizierte lässige Leben am Meer ist das Ziel. Ohne Pass, ohne Geld und eigentlich auch ohne Plan. Immerhin, sie besuchen auf dem Weg ans Meer die Oper in Verona, sehen The Clash in Rom, und lernen im Laufe der Reise auch einige interessante Künstler kennen.
ulli lust
Aber die beiden Punkmädels treffen immer wieder auf scheinbar hilfsbereite italienische Männer – von denen bekommen sie mitunter auch was zu essen und möglicherweise auch einen Schlafplatz, allerdings wollen die im Gegenzug auch diverse Liebesdienste.
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Für die nymphomanische Edi ist das kein Problem. Im Gegenteil.
Für Ulli jedoch eine grausige Vorstellung. Sie kann sich diesen sexuellen Bedrängungen in vielen Auseinandersetzungen entziehen. Nicht jedoch immer. Bekanntschaften mit der Mafia, mit Junkies und Drogen. Es kommt zu sexuellen Misshandlungen. Ulli wird vergewaltigt.
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No
Sie sei nach ihrer Rückkehr erst mal ziemlich durcheinander gewesen, habe eine Zeit lang nicht genau gewusst, was sie mit ihrem Leben machen soll. Nachdem sie dann schwanger geworden sei, habe sie plötzlich viel Zeit gehabt, um nachzudenken und die Geburt des Sohnes habe viel geholfen. "Man kann keinen Männerhass kultivieren, wenn man selber einen Sohn hat."
Über die Erlebnisse in Italien hat Ulli Lust dennoch nur sehr selten Freunden etwas erzählt.
Weitere Comicreportagen von Ulli Lust findet man auf electrocomics
Aber vor einigen Jahren wollte sie einen Comic zeichnen, einen langen, 200- bis 250-seitigen. Da Ulli Lust auch sonst nur mit dokumentarischen Stoffen arbeitet, hat sie sich auf ihre eigene Geschichte besonnen. "Das Material ist gut, ist spannend und hat einen gewissen Thrill."
ulli lust
Ulli Lust: Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens, Avant Verlag Berlin 2009
Aus den geplanten 250 Seiten sind 450 geworden - was im deutschsprachigen Comic wohl eine Besonderheit darstellt. Die 450 Seiten lesen sich im Übrigen viel zu schnell.
Für eine Seite habe sie einen bis drei Tage gezeichnet, über vier Jahre hat sie letztendlich für das Buch gearbeitet.
Einfach war dieses Aufbereiten der eigenen Geschichte dann doch nicht: "Ja, das war ein bisschen ein Problem, ich musste meine eigene Peinlichkeitsschwelle überschreiten, bzw. die Scham drüber – aber als Autor darf man das nicht zu persönlich nehmen, man muss leiden für die Kunst."
Außerdem, erzählt Ulli Lust weiter, seien gerade die Schwächen einer Person viel interessanter als wenn sie sich die ganze Zeit loben würde und so tun würde, als hätte sie großartige Heldentaten vollbracht. "Das ist Hollywood, aber das ist nicht das richtige Leben. Ich wollte erzählen wie es wirklich war und ich wollte auch unbedingt aus der weiblichen Befindlichkeit erzählen. Es war mir ganz wichtig, wie es Frauen geht, wenn sie in südlichere Länder reisen. Das werden viele wiedererkennen, diese extreme Aufdringlichkeit, die man da erlebt.
ulli lust
Männer, die Frauen mit gierigen Blicken geradezu auffressen, mit völliger Distanzlosigkeit, ohne irgendeinen Genierer – Ulli Lust zeichnet das etwa so, dass aus den Männeraugen Arme wachsen, die ihren Körper abtasten. Der ganze Comic ist schwarz weiß gezeichnet und wurde mit grün nachcolloriert. Die Landschaften und Gebäude sind mitunter liebevoll und detailliert gezeichnet, die Menschen oft weniger.
Ulli Lust erzählt schonungslos und direkt. Erfinden musste sie nichts, als Grundlage dienten ihre Erinnerung und ihre Tagebucheinträge.
Jugendlicher Leichtsinn oder Naivität? Als häufigste Reaktion werde sie gefragt, warum sie nicht schon viel eher wieder nach Österreich zurückgekehrt sei. "Dann schau ich immer verwundert und erstaunt und denke mir, warum glauben die Leute immer, dass ich gleich nach Hause fahre, wenn es irgendwo brenzlig wird. Das ist doch nicht der Sinn der Übung." Außerdem sei ein junger Mensch, der lebenshungrig ist und Abenteuer und Extase sucht, einfach auch ein bisschen belastungsfähiger. Aber es sei schon sehr viel einfacher gewesen, in einer wohlig warmen Wohnung diese Geschehnisse Revue passieren zu lassen.
Ulli Lust wird am 4. März in der Thalia Buchhandlung W3 (Landstraßer Hauptstraße 2a/2b, 1030 Wien) einen Workshop zum Thema Comiczeichnen leiten und um 19 Uhr ihr Buch vorstellen.
Future
Autobiographische dokumentarische Geschichten werden dann heikel, wenn man sie der Familie vorlegt: Ulli Lusts mittlerweile 24-Jähriger Sohn habe das Buch erst nach längerem Zögern gelesen, sei dann aber begeistert gewesen. Und ihren Eltern in Niederösterreich musste sie den Comic auch zeigen, schließlich hätten sie es irgendwann auch irgendwo gesehen. Also habe sie das Buch ihrer kleinen Schwester zu Weihnachten geschenkt. "Mit den Worten an meine Eltern – das ist mein neues Buch, aber es wär mit lieber, wenn ihr das nicht lest. Weil das ist schon eine ziemlich anstrengende Geschichte und das will man doch nicht lesen als Eltern von seiner Tochter. Meine Mutter hat es so durchgeblättert und gemeint - sie hat das einmal durchgemacht und sie braucht das kein zweites Mal, deswegen würde sie das nicht lesen. Außderdem hat sie meinen Sohn umarmt und gemeint – schau, es ist ja doch alles gut ausgegangen."