Erstellt am: 17. 1. 2010 - 16:35 Uhr
Song zum Sonntag: Die Sterne
Was kann man tun? Die Trauer und Unwissenheit, die Depression ist schon so weit fortgeschritten, dass es zu ihr keine Alternative zu geben scheint. Untergehen und von den Klippen springen möchte man am liebsten. Selbst die Träume haben Endzeitcharakter.
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Die Depressionen gehen nicht weg Die normalen Rezepte aus dem schlauen Therapeutenbuch fallen einem ein: Gesundes Essen, Veränderungen, Abreaktion... aber was ist das Therapeutengerede gegen einen schönen, befreienden Beat, noch dazu einen so bezaubernden Retro Beat, der an die mittleren Achtziger ebenso erinnert, wie an die Hamburger Experimental Elektroniker von Ladomat, an Egoexpress, Turner und Sand11. Also gibt es eigentlich nur eine Konsequenz gegen das traurig und verzweifelt sein: Man zieht gleich in die Disco und verbringt sein ganzes Leben dort.
Die Sterne im Netz, gehuldigt von Alex Augustin und live beim FM4 Geburtstagsfest am 23.1. 2010
Von John Travolta bis zu den Techno Weekendern der Neunziger: Disco und Dancefloor hatten neben den Sex- und Befreiungsversprechungen immer schon den Eskapismus eingeschrieben. Mir geht es schlecht, aber auf der Tanzfläche/ Party/ Rave/ Festival kann ich "zu mir finden" und "ich selber" sein. Zum dauernden Diskutieren und Probleme wälzen ist es zu laut und dafür ist auch die Zeit zu knapp, niemand will das hier. Die ganze Woche nur Stress und am Wochenende Freiheit. Es geht um Entäußerung und Exzess, um Fühlen und Vergessen.
Der Song zum Sonntag ist eine Kooperation zwischen FM4 und der Presse am Sonntag und erscheint hier wie dort, wo sich der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar der Kolumne annimmt.
Die Weltflucht des "Tanzen statt Sprechen" wurde aber auch von einer zweiten Seite betrachtet. Nachdem Ironie und Widerstand nicht ausreichten, wurde sie zu einer Art strategischem Rolemodel für eine andere Sicht des "Realen" und "Ernsten" (man denke an den "Mussolini"), der Umkehrung und des Herausreißens der so genannten "Realität" aus den isolierten persönlichen und anders vorgegebenen Zusammenhängen. Sie ist die postmoderne Anlehnung und Aneignung des (oft zitierten, wiewohl anders gemeinten) Marx'schen "Die Verhältnisse zum Tanzen bringen".