Erstellt am: 15. 1. 2010 - 23:09 Uhr
Afrika-Cup-Log, 8. Final-Charakter.
Die Info zum Spiel.
Es gibt Spiele, die plätschern so an einem vorbei.
Das kann selbst im Stadion passieren. Wenn man sich mit sich selber ablenken kann, ist sowas schnell geschehen.
Africa Cup Log
- Alle Einträge gibt's unter fm4.orf.at/africacup
Dann gibt es Spiele, die regen einen auf, aus welchem Grund auch immer, obwohl sie eigentlich nichts bedeuten. Das hat aber auch mehr mit einem selber und der zum Einsatz gebrachten Emotionalität zu tun.
Dann gibt es wiederum Spiele, die einen aus rein inhaltlichen Gründen fesseln, sich einem durch die Neugier, die sie erregen, quasi aufdrängen.
Das eben gesehene zwischen den Favoriten aus der Cote d'Ivoire (die man auch schon einmal als Elfenbeinküste oder Ivory Coast benamst - korrekt ist das nicht, und da es selbst der sehr amerikanische Time Almanach schafft dieses Land richtig, also französischsprachig anzuführen, ist dieser Wunsch mir auch Befehl) und den Co-Favoriten aus Ghana war so ein Spiel.
Eine Art inhaltliches Finale.
Das hatte vor allem mit dem Aufeinandertreffen von zwei recht differenzierten Spielkulturen zu tun, die sich im einen Fall über die letzten Jahre, fast schon Jahrzehnte, im anderen Fall vor allem anlässlich eines WM-Titels im Vorjahr entwickelt haben.
Die selbsternannten Löwen der Cote d'Ivoire (den entsprechenden Kopf haben sie sogar als Logo auf ihren hautengen, von cleveren Marketingstrategen entworfenen Trikots, die so die Muskeln deutlich zutragetreten lassen - um damit auch das nicht nur fußballaffine Publikum anzusprechen) sind seit ein paar Jahren gefühlte Kontinental-Herrscher. Und zwar aufgrund einer Kombination aus technischer Qualität und unerbittlichem Drang nach vorne.
Das Spiel der Ivoirer ist dynamisch und basiert auf weiträumigen und vor allem schnellen Angriffen, und zwar sowohl über die Seiten als auch über die Mitte. Man hat eine Art andauerndes Konterspiel entwickelt, in dem das Mittelfeld keine andere Aufgabe als die blitzschnelle Weiterleitung in die Spitze hat. Und die, die Spitzen, gehören seit Jahren zum Besten, sogar durchaus global gesehen.
Hochentwickelte Grundstrategien
Mit dieser Mixtur stehen die Ivoirer durchaus einzigartig da, diesen Druck entwickeln nur sie derart wirkungsvoll.
Ihr Spiel ist dadurch auch sehr körperlich, also kraftraubend. Und wenn ein Teilbereich (wie im 1. Spiel eben die Angreifer) nicht funktioniert, klappt das gesamte Ding zusammen, einen Plan B zu dieser hochentwickelten Grund-Strategie gibt es nicht; kann es gar nicht geben.
Im ersten Spiel des Afrika-Cups hatte das Team rund um Starstürmer Drogba einen seiner berühmten Aussetzer, sah beim torlosen Remis gegen Undeerdog Burkina Faso wirklich alt aus. Deshalb war man im zweiten und gleichzeitig bereits letzten Vorrunden-Spiel gegen Ghana (denn: diese CAN-Gruppe B besteht nach dem Rückzug von Togo nur aus drei Teams) massiv unter Druck.
Ghana hat eine gänzlich andere Geschichte.
Während sich die Ivoirer erst in den 90ern auf die fußballerische Landkarte setzten und ihre Export-Quote qualitativ und systematisch ausbauten, hat Ghana das Gefühl des alten Herrschers. Man hat den Bewerb bereits in den 60ern gewonnen, und - gefühlt - bis in die 80er dominiert. Man stellte mit Abedi Pele einen der ersten echten Superstars des Kontinents, fühlt sich als alter Adel.
Die Lehre der Geschichte
In den 90ern (nach einem verlorenen Afrika-Cup-Finalspiel gegen, genau, die Cote d'Ivoire, im Elferschießen noch dazu) kam es dann zu einem massiven Durchhänger, der allerdings nicht bekämpft, sondern eher weggeleugnte wurde. Die alte Glorie reichte aus.
Und erst die WM-Teilnahme 2006 (die für 2010 folgte) und der dritte Platz in Afrika 2008 (Gegner im kleinen Final war da, erraten, die Cote d'Ivoire) brachten einen Aufbruch. Und dann, 2009: die U20-WM, der grandiose Durchmarsch der jungen Ghanaer, der Finalsieg gegen Brasilien.
Das, was der kompakten, auf seine alten und bekannten Qualitäten (die im technisch unglaublich exakten Kurzpass-Spiel und der überdurchschnittlichen Aufbau-Intelligenz der Spitzenspieler begründet ist; wohl durch einen eigenen Zugang in der fußballerischen Ausbildung) bauenden älteren Garde (Essien, Mensah, Appiah und Co) jahrelang nicht gelungen war (der große Erfolg) fiel der jungen Garde (darunter einige Neffen von Abedi Ayew, den sie Pele nannten) einfach zu, wie in einem Rausch.
Und weil sich die Alten dann auch noch reihenweise verletzten, steht beim Afrika-Cup eh schon fast die ganze U20 auf dem Platz: gleich 5 Weltmeisterchens begannen das heutige Spiel.
Der Crash der Systeme
Cote d'Ivoire (4-3-3):
Barry (Lokeren/Bel); Eboue (Arsenal/Eng), Kolo Toure (Man City/Eng), Bamba (Hibs/Sco), Tiene (Valenciennes/Fra); Tiote (Twente/Ned), Zokora (Sevilla/Spa), Yaya Toure (Barcelona/Spa); Kalou (Chelsea/Eng), Drogba (Chelsea/Eng), Gervinho (Lille/Fra).
55.: Rote Karte für Eboue.
60.: Demel (HSV/Deu) für Gervinho. -> 4-3-2.
71.: Fae (Nice/Fra) für Yaya Toure. -> 4-2-3.
84.: Keita (Galata/Tur) für Kalou
Klar, dass so ein Aufeinandertreffen dann einen durchaus dramatischen Abgleich nach sich zieht. Dass hier die Schulen, die Ideologien, die Systeme aufeinanderkrachen.
Und irgendwie war auch von Beginn an spürbar, dass es die Ivoirer (vor allem mit dem Druck, der auf ihnen lastete) einen Zacken ernster meinten, und dass es für das neu zusammengestellte ghanesische Team mehr eine Versuchs-Anordnung war.
Allerdings war das Resultat dieser beiden Herangehensweisen dann verantwortlich für ein Spiel, bei dem ich mich nicht länger als ein paar Sekunden wegzuschauen getraut habe.
Und das kommt nicht oft vor.
Auf diesem Level ist es dann auch recht egal, wer mit welchem System spielt - denn man kann davon ausgehen, dass alle Beteiligten ihre Rollen gut ausfüllen.
Vahid Halihodzic hatte wieder das 4-3-3 rausgeschickt, mit einem kompakten Dreier-Mittelfeld der schnellen Weiterleiter (diesmal war Yaya Toure der vorderste davon) und drei Angreifern, die sich deutlich als echte Spitzen verstanden.
Landsmann Rajevic, der nach LeRoy jetzt eine neue, weniger französische Schule spielen lässt, stellte (wie einige andere Coaches hier in Angola) ein 4-2-3-1 aufs Feld. Und weil seine Außenverteidiger sich besser ins Offensivspiel einfanden als die der Cote d'Ivoire, kam sowas wie eine spielerische Überlegenheit Ghanas zustande - auf diesem Niveau entscheiden dann eben Kleinigkeiten.
Forsche Dynamik gegen Kombinationskunst
Ghana (4-2-3-1):
Kingson (Wigan/Eng); Inkoom (Basel/Sui), Vorsah (Hoffenheim/Deu), Eric Addo (Roda/Ned), Ibrahim Ayew (Zamalek/Egy); Narry (Auxerre/Fra), Badu (Udinese/Ita); Andre Ayew (Arles, gehört OM/Fra), Kwadwo Asamoah (Udinese/Ita), Opoku (Al Saad/Kat); Amoah (Breda/Ned).
2.Hälfte: Essien (Chelsea/Eng) für Narry, Gyan (Rennes/Fra) für Andre Ayew. Gyan spielt Spitze, Amoah geht ins rechte Mittelfeld.
77.: Afful (Esperance/Tun) für Opoku.
Kein Systemwechsel.
Dem entgegneten die Orangen mit einer gesteigerten Körperlichkeit, die das engmaschigere Kombinationsspiel der jungen Ghanaer wegzudrücken versuchte.
Das gelang, trotz des Führungstores (das aus einem dieser vorhin erwöhnten Angriffe, die wie ein Konter daherkommen), nicht vollständig: Ghana ließ sich weder Schneid abkaufen noch Raum abdrängen; und hätte durch einen Drehschuss von Asamoah den Ausgleich verdient.
Nach der Halbzeit-Pause kam Ghanas Ringleader, Michael Essien von Chelsea ins Spiel. Essien ist der letzte verbliebene Star und sollte die nötige Stabilität geben, war aber verletzt und hatte deswegen nur Kraft für eine Halbzeit.
Und ein paar Minuten später schwächte sich die Cote d'Ivoire selber massiv: rechtsverteidiger Emmanuel Eboue, kein Rauhbein, nahm den Auftrag der Körperlichkeit zu ernst, foulte ungestürm und flog vom Platz.
Es folgte die beste Phase eines eh schon guten Spiels: Ghana powerte sich in den gegnerischen Strafraum, Stangenschuss Amoah, dann überhob Asamoah bei einem Freistoß fast den Tormann - die Ivoirer setzten ihre Konterkraft dagegen.
Konterkraft und Unbedingtheit
Und just dem wenig auffälligen Linksverteidiger Tiene gelang mit einem sensationellen Direktfreistoß das 2:0. Da, 25 Minuten vor Ende, war klar, dass es sich heute nicht ausgehen würde für die ghanaische U20. Flügel-Wusler Opoku wurde, zu seinem eigenen Schutz, runtergenommen, der zur Halbzeit eingewechselte Gyan blieb glücklos - Ghana vertraute weiter auf sein ausgezeichnetes Spiel nach vorne, blieb aber in der Unbedingtheit der ivoirischen Defense hängen.
Die beiden Tore zum finalen 3:1 in der Nachspielzeit waren nur noch Draufgabe.
Die Ivoirer konnten dem Druck standhalten und sind deswegen wieder im Rennen um die Favoriten-Rolle.
Und die jungen Ghanaer brauchen jetzt einen Sieg im Abschlussspiel gegen Burkina Faso, dann sind sie auch dabei im Viertelfinale. Wo sie genauso hingehören. Denn da wächst was Tolles nach.
Wer nämlich ein solches Match bestreitet, noch dazu gegen einen solchen Gegner und wer die Aufmerksamkeit durch nichts als das schierfe Können so an sich zieht, der kann gar nicht scheitern. Mittel- und langfristig sowieso nicht.
... und dann noch die Sache mit Barry...
Was Ghana aufhalten kann ist klar: ihre jugendliche Forschheit. Bei der Cote d'Ivoire sind es, außer dem bereits angesprochenen Ausfall eines Mannschaftsteils, Verteidiger Bamba von den Hibs in Schottland und Tormann Boubacar Barry von Lokeren in Belgien. Beide sind für Aussetzer gut.
Barry hatte wieder ein paar davon, im Spiel.
Nach jedem Tor, im Bewusstsein, dass da die Hintertorkamera sich immer auf den mitjubelnden Tormann richtet, entrollte er aber ein handgeschriebenes Spruchband, das er wohl im Handtuch oder Handschuh aufs Spielfeld geschmuggelt hatte (sowas ist nämlich eigentlich verboten).
Drauf stand, wenn ichs richtig gelesen habe: "Haitiens et Togoliens - en pense a vous!", also Mensche in Haita und Togo, wir denken an euch.
Dass einer dran denkt an die und an das zu denken, und so eine kleine, aber dadurch um so authetischere und deutlich selbergemachte Aktion durchführt, die andere Gedanken als die ans nächste Tor oder sonstwas in Millionen Zuschauer-Herzen und -Köpfe streut, ist - zumindest mir - mehr wert als der Preis für den besten Keeper. Den wird Barry auch heuer sicher nicht bekommen. Den für den effektivsten und nötigsten Aktionismus hat er schon.