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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

13. 1. 2010 - 11:08

Filme, die die Welt dringend braucht (I)

Jason Bourne hat einen Zwilling. Sly Stallone ballert wieder. Joan Jett rockt im Zwielicht. Herr Fuchs und Herr Kairo plaudern über kommende Leinwand-Ereignisse.

Kennengelernt hab ich den mysteriösen Mann namens Joel Kairo vor etlichen Jahren über eben diesen Webbereich hier und eine gemeinsame Kino-Obsession. Wir haben schnell bemerkt, dass unser Zugang zum Film sehr ähnlich ist: Hochgradig emotional, bewusst unakademisch, romantisch bis zum Anschlag.

Wir können, bei unseren unregelmäßigen illuminierten Treffen in diversen Wiener Lokalen, ganz schnell zu Heulsusen werden, wenn es um bestimmte anrührende Kinomomente geht. Aber gleichzeitig lieben wir es auch, verbale Watschen gegen bestimmte Filmemacher und Akteure auszuteilen.

Iron Man 2

Marvel

CF: Eigentlich wollte ich unsere kleine Plauderei über kommende Filme mit einem Loblied auf Robert Downey Jr. beginnen, der im heurigen Jahr eine essentielle Rolle spielen wird. Aber der werte Kollege Keuschnigg hat das bereits in seinem umfassenden Überblick getan. Was uns beiden da noch bleibt, sind einige ganz persönliche Ergänzungen. Sag mir doch gleich, auf welchen Film du dich 2010 am meisten freust?

JK: Eigentlich auch ein Film, der im Überblick von Herrn Keuschnigg vorkommt. Und in unserer Vorschau vom letzten Jahr. Der mehrfach verschobene "Shutter Island" von Altmeister Martin Scorsese. Der Trailer verspricht eine halluzinatorische Annäherung an die beklemmende Buchvorlage von Dennis Lehane.

CF: Da hast du Glück, denn der hat zumindest einen heimischen Starttermin im Februar. Der Film, den ich nicht mehr erwarten kann, verheißt auch im wahrsten Sinn des Wortes halluzinatorische Erfahrungen, wird aber wohl nie hierzulande anlaufen. Dabei schreit "Enter The Void" vom schrecklich schönen Gaspar Noé nach einer großen Leinwand. Der Film ist gänzlich aus dem Blickwinkel eines jungen Drogendealers in Tokio gedreht, der allerdings schon nach kurzer Zeit erschossen wird. "Enter The Void" ist eine Kinovision vom Sterben, vom Tod, manche Kritiker erzählen von einer Grenzerfahrung, wie sie wohl nur von Noé stammen kann.

JK: Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, ob ich mich da freuen oder fürchten soll. Monsieur Noé hat das zweieinhalbstündige Monster von Filmexperiment ja als psychedelisches Melodrama bezeichnet, und ich habe Angst, dass mich die Intensität des audiovisuellen Overkills vollkommen überwältigen, vereinnahmen und mir die Luft nehmen wird.

Into The Void

Lionsgate

CF: Das könnte, wenn ich an "Irréversible" zurückdenke, durchaus passieren. Keinen Horror, aber dafür geballte Euphorie verspricht ein Film, auf den wir uns wohl beide einigen können. Das Leben der legendären Girlgroup "The Runaways" wird verfilmt, von niemand geringerem als der fantastischen Floria Sigismondi, die mit ihren Clips für Tricky oder Marilyn Manson das Musikvideogenre revolutionierte. Und wer spielt die göttliche Joan Jett? Kristen Stewart, die unterschätzteste Schauspielerin ihrer Generation.

JK: Yeah! Cherry Bomb! Nachdem die bezaubernde Miss Stewart gerade noch 131 Minuten auf den Boden oder ins bleiche Gesicht Edward Cullens starren durfte, gibt's zwar bei den Runaways immer noch keinen Biss in den Hals, aber Rock'n'Roll, Wutausbrüche und Girlpower galore.

CF: Joan Jett, Floria Sigismondi, Kristen Stewart, ich denke, das wird mein Fanfilm des Jahres, wo ich mich in der Pressevorführung headbangend zum Narren mache.

The Runaways

twilight-movie.org

JK: Weil wir gerade von Fantum reden, ich habe ja eine Schwäche für die Geschichten von gestrauchelten amerikanischen Helden, seien es Rodeoreiter, Boxer, Wrestler, Cowboys oder Countrysänger. Robert Duvall hat einen solchen 1983 im leider nicht sehr populären Film "Tender Mercies" gespielt und gibt das Staffelholz in "Crazyheart" an den unglaublichen Jeff Bridges weiter. Der nicht nur so aussieht, als bereite er sich auf einen Kris-Kristofferson-Lookalike-Wettbewerb vor, sondern auch alle Songs im Film selbst singt. Ob es das Drug 'n' Country-Drama allerdings wirklich auf unsere Leinwände schafft, wag ich zu bezweifeln.

CF: Gute Chancen hat dagegen ein anderes, nun ja, Drama, über gestrauchelte Helden. Du ahnst schon, wovon ich rede. Es geht um einen Trupp alter Söldner, die ihren letzten Auftrag annehmen, der in einem angeblich beispiellosen Gemetzel endet.

JK: Oh ja, "The Expendables"! B-Movie-Actors of the world unite! Hier dürfte der Grat zwischen "guilty pleasure of the year" und "Abräumer bei den diesjährigen Razzies" aber sehr dünn und rutschig sein. Die Herren Sly Stallone, Dolph Lundgren, Jet Li und Eric Roberts haben mir in grauer Vergangenheit einige amüsante Schund-Videoabende beschert, aber bei den "Expendables" besteht definitiv die Gefahr, dass die Idee auf dem Papier besser klingt, als sie auf Zelluloid aussieht. Persönlicher Wermutstropfen ist auf jeden Fall die Teilnahme des talentresistenten Charisma-Allergikers Jason Statham.

CF: Aber du vergisst den Wrestler Steve Austin, unseren Freund Mickey Rourke und Bruce Willis in Gastrollen. Und angeblich erlaubt sich auch unser gestrauchelter Gouvernator einen Cameo. Der Dunst aus Altmännerschweiß, Testosteron und Blut vernebelt mir schon jetzt den Blick. Ich freu mich.

The Expendables

Millenium Films

JK: Dann bleiben wir bei der Action. Nach dem Weinverkoster-Debakel "A Good Year" hätte ich ja keinen Cent mehr auf das Teamwork von Ridley Scott und Russel Crowe verwettet, aber "American Gangster" hat mich wieder ein wenig milder gestimmt. Und der Trailer zu "Robin Hood" lässt in mir durchaus Vorfreude aufkommen, wenn auch mit einer großen Prise Skepsis im Gepäck. Als hätte sich Maximus in den Sherwood Forest verlaufen.

CF: Hmm. Der Trailer hat bei mir nicht so funktioniert. Da reizt mich actiontechnisch eher "Greenzone", der neue Handkamera-Gewackel-Streich von Paul Greengrass und Matt Damon.

JK: Jason Bournes Zwillingsbruder ist also US-Army Offizier. Da "The Bourne Ultimatum" bei mir überhaupt nicht funktioniert hat und das, was ich von "Green Zone" bisher gesehen habe, wie Bourne Teil 4 wirkt, sehe ich dieser Teamarbeit sehr skeptisch entgegen.

CF: Tatsächlich? Interessant, für mich war der dritte Bourne-Streich ja atemberaubend und sehr gescheit gleichzeitig inszeniert, die Antithese zu all dem amoklaufenden "Crank"-Unfug, aber mit verwandten Mitteln. Beschleunigung, die inhaltlich Sinn macht und nicht bloß lobotomiert aufs Gaspedal drückt.

Greenzone

Universal

JK: Da hast du natürlich zu hundert Prozent recht. Auch wenn ich nicht wirklich in Bourne 3 reingekippt bin, bin ich mir seiner Qualitäten innerhalb des Genres bewusst. Gibt es eigentlich eine Comicverfilmung abseits von "Iron-Man 2", die du herbeisehnst?

CF: Auf jeden Fall "Kick-Ass" vom Guy Ritchie-Kumpel Matthew Vaughn. Wobei das keine Comicverfilmung ist, sondern eine Hommage an Comicverfilmungen. Ein patscherter Highschool-Geek bastelt sich ein notdürftiges Kostüm und probiert einmal aus, wie die Leute wirklich auf einen Superhelden reagieren. Bald gibt es ein ganzes Team von solchen Möchtegern-Heroen, darunter auch Nicolas "Bad Ltd" Cage und der supere Christopher Mintz-Plasse, den man aus "Role Models" liebt. "Kick-Ass" entwickelt sich aber von der charmanten Parodie zum knochenharten Actionmovie. "Watchmen" meets Judd-Apatow-Humor? Hoffentlich.

JK: Ja, hoffentlich. Der Trailer sieht ja zumindest schon vielversprechend aus. Aber wir reden hier nur über kulturell wertlose Tschinn-Bumm-Filme, ich bekomme ein schlechtes Gewissen. Deshalb bringe ich "A Single Man" ins Spiel, den habe ich auch schon gesehen. Designer Tom Ford schneidert in seinem Regiedebut einen Mix aus verfilmtem Modebildband und Studie eines trauernden Mannes auf die Leinwand, bei der er den Zuseher durch drei Phasen schickt.

CF: Und die wären?

JK: In Phase 1 staunt man über die Schönheit jedes einzelnen Bildes, durchkomponiert und stilisiert wie die Fotografien eines Helmut Newton, Herb Ritts oder Richard Avedon. In Phase 2 beginnt man sich an der Überästhetisierung satt zu sehen und gelangt im Idealfall in der dritten Phase zum Kern des Films, der Analyse eines Mannes, der mit seiner aus den Fugen geratenen, ehemals perfekten Welt nicht zurechtkommt, vor allem nicht mehr zurechtkommen mag. Diesen porträtiert Colin Firth ebenso eindringlich wie zurückhaltend und dürfte bei den Oscars sicher als heißer Kandidat gehandelt werden.

CF: Das klingt letztlich sehr anziehend, meine Welt ist auch ständig aus den Fugen. Deshalb liebe ich Filme mit Charakteren, denen es noch erheblich schlechter geht.

JK: Willkommen beim neuen Todd-Solondz-Neurosenschocker "Life During Wartime". Ein dialoglastiges, dysfunktionales Familydrama, quasi die mit bizarren, komödiantischen Momenten durchsetzte Fortsetzung von "Happiness", allerdings gespielt von vollkommen anderen Darstellern als damals. Noch gibt es keine Nachricht über einen heimischen Verleiher, aber freuen wird man sich ja wohl dürfen.

CF: Oh ja, ich freu mich. Auch auf den zweiten Teil unseres Gesprächs.

A Single Man

Weinstein Company