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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

12. 1. 2010 - 15:41

Die Farbe Lila

Cadbury darf nicht amerikanisch werden. Der Kulturkampf um die britische Schokolade.

Schokolade ist eine ernste Sache, da geht es um tiefe nationale Gefühle. Offenbar.

Das Vereinte Königreich und Mutterland des Kapitalismus kennt an sich ja kaum Skrupel, wenn's ums Veräußern des Familiensilbers geht. Minis sind BMWs, Fred Perry gehört dem japanischen Konzern Hit Union, und der KönigInnenthron gehört schon seit 1714 den Deutschen.

Aber jetzt, wo der amerikanische Kraft Foods-Konzern sich zu einer feindlichen Übernahme der Schokoladenmarke Cadbury anschickt, kennt der patriotische Eifer kein Halten.

All the great chocolate bars are British

Schokoladenwerbung für Cadbury's Milk Tray aus dem Jahre 1960

Flickr

Lord Mandelson, einst der führende Apostel bei der Bekehrung der Labour Party zum Glauben an den Freien Markt, hat sich persönlich gegen diesen möglichen Verlust einer britischen Institution stark gemacht. Und neulich les ich einen Artikel im linken bis linksliberalen London Review of Books, der schlüssig darauf hinweist, dass wir uns bereits im Wahlkampf befinden und Labour im Cadburys-Herkunftsgebiet der Midlands viel zu verlieren hat.

Gleich im Anschluss daran liefert Autor John Lanchester aber selbst ein emotionales Bekenntnis zur nationalen Schokoladenmarke, welches unter anderem die dubiose Feststellung enthält, dass abgesehen von Milky Way und Mars „all the great chocolate bars“ britisch seien.

Es folgt eine Eloge auf das zur Herstellung des für Cadbury typischen Krümeleffekts erforderliche technische Know-How. Lanchester zeigt sich mehr als skeptisch ob der Fähigkeit der Yanks, dieselbe Qualität zu erreichen.

Are they?

Er liegt damit natürlich fast in allen Punkten falsch: Zunächst einmal kommen die besten Schokoladetafeln, wie ihm jedes in Österreich aufgewachsene Kind versichern wird, ganz sicher nicht aus England, sondern aus der Schweiz, auch wenn sie – wie die Milka – in Deutschland, Österreich, Frankreich, der Slowakei und Polen hergestellt werden.

Suchard-Haus mit Minarett

free/Rama

Suchard-Haus

Das österreichische Kind wird dabei sein Urteil entsprechend einer von Schrödinger so nie formulierten Gleichung fällen: Die beste Schokolade existiert immer nur da, wo wir sie seit Kindheit eine Kinderarmlänge entfernt vor uns sehen. Ist so.

Und bitte jetzt nicht mit scheinobjektiven Kriterien wie dem höheren Kakaoanteil kommen, der unsere Schokoladen besser als die der Briten macht. Wären wir mit Cadbury aufgewachsen, würden wir vielleicht auch in deren fettig, picksüße Konsistenz sämtliche positive Kindheitserinnerungen projizieren.

Das grundsätzlich Sympathische an der kakaoarmen Cadbury-“Schokolade“-Mischung ist ja, dass sie an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert erdacht wurde, um das vormals sündteure Kolonialprodukt auch für die einfachen Leute erschwinglich zu machen.

Was wiederum Lanchesters Unken angeht, dass Kraft dazu die fachliche Kompetenz fehlt (der Autor hätte größeres Vertrauen zu Ferrero), würde ich darauf verweisen, dass auch Milka und Bensdorp schon seit längster Zeit gerade jenem Kraft-Konzern angehören.

Obwohl, wenn ich mir ansehe, was verpackungs- und geschmacksrichtungsmäßig seither mit jenen Marken passiert ist, frage ich mich schon, ob Lanchesters Skepsis nicht vielleicht doch begründet sein könnte.

Siehe dazu die von jeglicher Relativität ausgenommene Erweiterung oben erwähnter Nicht-Schrödinger-Formel, wonach die beste Schokoladentafel immer genau so aussieht, schmeckt und verpackt ist, wie man sie selbst in Kinderhänden gehalten hat und damit absolut nie zum Besseren verändert werden kann.

Übrigens war der Milka-Erfinder Philippe Suchard der erste Schweizer, der am Dach seines Eigenheims ein Minarett errichtete. Das sollte man den MinarettverbieterInnen schon auch ein bisschen unter die Nase reiben.

Cadbury-World

Cadburyworld

Cadburyworld

Willy Wonka hätte das wohl ebenso gefallen wie Cadburys eindeutig von seiner Schokoladenfabrik inspirierte
Cadburyworld.

Was mich wiederum interessieren würde, ist, warum Cadbury lila sein darf, wenn das Patent auf lilafarbene Schokoladenverpackung doch bei Milka liegt...

PS: Ein hochinteressantes historisches Denkmal an die Bemühungen des späten 19. Jahrhunderts, einen Kapitalismus mit menschlichem Antlitz zu schaffen, gibt übrigens die philanthropische Retortenvorstadt Bournville außerhalb von Birmingham her. Cadburys kakaohältigste Schokoladentafel ist immer noch danach benannt.