Erstellt am: 11. 1. 2010 - 11:51 Uhr
Hühnertanz statt Hahnenkampf
„Das kann eigentlich nur eine Hühnermarmelade sein“. Die alte Dame in der Fußgängerzone von Saalbach/Hinterglemm ist sich ziemlich sicher. „Ja, Chicken Jam, das ist ein Fleisch“, sagt auch der Mitarbeiter eines großen Hotels, und ich frage mich, ob der Mann blind ist oder einfach nur ignorant. Siebenundzwanzig der weltbesten Snowboarderinnen sind in dem Luxusschuppen mitten in Hinterglemm untergebracht, der Ort wird von Beanietragenden Mädels in Snowboardboots bevölkert und rund 200 Meter vom Zentrum entfernt steht ein mächtiger Slopestyle Park, in dem zur Abwechslung mal nicht das Testosteron regiert.
Quiksilver
Der Roxy Chicken Jam, der weltweit größte Snowboardcontest nur für Mädels, findet heuer bereits zum siebten Mal statt - erstmals in Saalbach/Hinterglemm, und erstmals im Tal statt am Berg. „It’s so much better than on the glacier in Kaprun, because there is no wind or fog here”, meint die 19-jährige Favoritin Sarka Pancochova bei der Main Session Samstag Nachmittag. Die neue Location am Unterschwarzachlift ist nicht nur wettersicherer als das Kitzsteinhorn, sondern zieht auch mehr Publikum an. Denn Zuschauen ist erstmals in Straßenschuhen und ohne Snowboard möglich. Ein paar Jugendliche aus der Umgebung sind extra wegen des Events angereist, weil „wir wollten so einen Contest mal aus der Nähe sehen und uns von den Profis was abschauen.“
Abschauen kann man sich vor allem Switch-Tricks wie Cab 540 oder Switch-Backside-Spins, die die Holländerin Cheryl Maas, die Norwegerin Lisa Wiik und die anderen Boarderinnen, in den bewölkten Himmel stellen. Nur kurz scheint die Sonne auf den Nightpark, der voll auf die Bedürfnisse der Mädels abgestimmt worden ist. Beim Einstieg stehen zwei Rails, gefolgt von einer 3-er Kicker-Line, die mehrfache Umdrehungen um die eigene Achse ermöglicht, und ein paar Obstacles zum Schluss. Nach einer zweistündigen Jam-Session, bei der die Riderinnen so oft gegeneinander fahren können, wie sie wollen, stehen die acht Finalistinnen fest. Wirkliche Überraschungen gibt es dabei keine, und große Enttäuschungen auch nicht. Die Frauen beim Chicken Jam fahren nämlich offenbar nicht gegen- sondern miteinander. Vor dem Start klopfen sie einander auf die Schulter und singen Lieder. Und im Zielbereich fachsimpeln sie über ihre Läufe, jubeln, wenn eine besonders gut war und verbreiten Ferienlager-Stimmung - obwohl es hier um ein fettes Preisgeld von 50.000 US Dollar und wertvolle Punkte für die TTR Tour, die Snowboard Weltrangliste, geht.
Christoph Schöch / Quiksilver
„We’re all like a family, because we spend so much time together,” erklärt die Amerikanerin Chanelle Sladics die freundliche Atmosphäre. Viele Frauen, die in einem Sponsor-Team, wie dem von Roxy mitfahren, verbringen den Großteil des Jahres miteinander. Sie reisen gemeinsam von Berg zu Berg, teilen Hotelzimmer und manchmal sogar dieselbe Zahnbürste. Konkurrenzkampf wird so gut es geht vermieden. Die Tschechin Sarka Pancochova, die letztes Jahr als Newcomerin durchgestartet ist, kann das bezeugen. Auch sie gehört mittlerweile zum Kern der Girlie-Clique dazu und witzelt im Zielbereich mit den Langzeit-Profis um die Wette. „Everyone is friendly and trying to push me”, sagt sie. “I’m really stoked to be their friend.” Sarka ist momentan Führende der TTR Women’s Ranking List, dicht gefolgt vom Ausnahmetalent Cheryl Maas, die mit ihren fünfundzwanzig Jahren bereits zu den Älteren beim Chicken Jam gehört. Der Nachwuchs schläft nicht, und so schafft es tatsächlich eine komplette Newcomerin den Bewerb für sich zu entscheiden.
Die 19-jährige Finnin Enni Rukajärvi ist erst vor zwei Jahren in der Contest-Szene aufgetaucht. Und jetzt dürfte ihre Zeit gekommen sein. Schon beim Pleasure Jam im November ist sie Erste geworden. Mit einem kreativen Mix an Tricks - dem Backside 540 Indy etwa und dem Cab 540 - sticht sie auch im Chicken Jam-Finale die anderen Frauen aus. Zu ihren Vorbildern zählt der derzeit Erstplatzierte in der TTR Men’s Ranking List, Peetu Piiroinen, und auch sonst sind es eher die Jungs, die sie beim Boarden weiterbringen, meint sie in gebrochenem Englisch: „Girls can also push me, but I prefer to ride with boys.“ Mal schauen, ob sie das im nächsten Jahr auch noch sagen wird.
Christoph Schöch / Quiksilver
Roxy Chicken Jam 2010
1. Enni Rukajärvi (FIN)
2. Cheryl Maas (NED)
3. Kjersti Oestgaard Buaas (NOR)
Was man jedenfalls schon jetzt sagen kann, ist, dass der Chicken Jam in Saalbach/Hinterglemm eine gute neue Heimat gefunden hat. Der Event ist wetterfester, publikumsnaher und größer geworden und hat sich dabei seinen mädchenhaften Charme behalten. Die Siegerehrung und Party bei der Reiterkogel Talstation am Abend waren der beste Beweis dafür: herausgeputzt und mit bunten Hüten am Kopf haben sich die Snowboarderinnen ihre Preise abgeholt und danach wild auf der Bühne rumgetanzt. Spätestens seitdem wissen die Saalbacher und die Urlauber im Ort, was der Chicken Jam ist – der wichtigste Snowboardcontest für Frauen, bei dem Leistung und Spaß kein Widerspruch sind und bei dem man den Namen nicht zu wörtlich nehmen sollte. Von wegen Hühnermarmelade!