Erstellt am: 9. 1. 2010 - 17:04 Uhr
Ewige Berliner Themen: Gentrification
Das erste große Berliner Thema im neuen Jahr kommt von oben: Der Schnee. Scheesturm! Schneechaos! Straßen werden nicht mehr geräumt! Berlin versinkt im Schnee! Auch die nicht fahrende S-Bahn beschäftigt die Berliner, aber was das soziale Leben der Stadt angeht ist natürlich - man kann das Wort schon nicht mehr hören - "Gentrification" ein Dauerbrenner.
Christiane Rösinger
Christiane Rösinger
Dabei wird der Prozess der Gentrifizierung immer wieder aufs Neue beobachtet und erklärt, es wird gewarnt und geunkt, ohne dass man damit etwas bewirken könnte. Gegen Gentrification hilft eigentlich nur die Deattraktivierung eines Wohngebiets für Investoren und da gehen die Ansichten über probate Mittel von Luxusautos anzünden, über guten Mieterschutz, bis zum Anbringen von Pappsatelliten, Wäscheleinen und Alditüten auf den Balkonen auseinander.
Beim Umgang mit diesem Dauerthema kann man drei Gangarten unterscheiden: Hysterie, Gelassenheit und Problemverdrängung. Die Gentrification-Hysteriker wittern schon Verdrängung, wenn in einer normal verelendeten Berliner Straße mit vier Säuferkneipen und drei türkischen Männercafés ein sogenanntes Szenecafe aufmacht. Der gelassene Stadtbeobachter wird da noch behaupten, Veränderung gehöre zum Stadtbild und es wäre doch auch ganz nett mal einen "Coffe-to-go" Laden in der Nähe zu haben, und schließlich ginge es uns im freien Berlin doch noch Gold.
Und es stimmt ja auch, dass es in Berlin noch mehr "Freiräume" und eine liberalere Politik als in anderen Städten, wie zum Beispiel Hamburg, gibt. Dort sind ja Künstler und Musiker der Goldenen Zitronen und aus dem Buback-Label-Umfeld mit dem offenen Brief "Not in our name" gegen die rasende Gentrifizierung ganzer Stadtviertel an die Öffentlichkeit gegangen.
Der Berliner Gentrification-Leugner wiederum wird auch noch, wenn sämtliche Säuferkneipen, Beerdigungsinstitute und Bäckereien ihre Läden für "nette" Cafés mit bionadetrinkenden jungen Leuten geräumt haben, wenn immer mehr Bars, Modeläden und die ersten Fast-Food-Ketten einziehen, keine "Aufwertung" des Bezirks und Verdrängung der Bewohner ausmachen können. So ein gefährdeter Kiez wie das hintere Kreuzberg um das Schlesische Tor herum ist wiederum für die Hysteriker schon längst als Studenten-Ballermann abgeschrieben, und das sich gerade gentrifizierende Nord-Neukölln sehen sie auch schon auf der Kippe.
Christiane Rösinger
Christiane Rösinger
Jetzt musste aber auch der gelassene Berlinbewohner einen Schock verkraften: In der Kreuzberger Oranienstraße haben zwei Traditionsläden zum Jahresende für immer geschlossen. Der Bierhimmel, eine schwul-lesbisches Café-Institution mit überragendem Kuchenangebot und das Café Jenseits am Heinrichsplatz gaben nach 20 Jahren auf. Das ist natürlich ein gefundenes Fressen für die Hysteriker: "Kreuzberg am Ende, Oranienstraße wird endgültig zur Touri-Meile! " Aber auch hier ist die Sache komplizierter: Während der Jenseits-Wirt die ständig wachsende Ladenmiete nicht mehr bezahlen kann, hatte man im Bierhimmel nach 20 Jahren einfach keine Lust mehr auf Szene-Gastronomie.