Erstellt am: 9. 1. 2010 - 13:48 Uhr
Das Ende der Unschuld
Die Rechnung wird ungefähr so gegangen sein: eine Fantasybuchreihe in zwölf Teilen, die a) einige Ähnlichkeiten zu J.K. Rowlings Harry Potter-Romanen (geschrieben in Großbritannien, eine moderne und eine archaische Welt schieben sich ineinander, ein Teenager entdeckt seine wahre Bestimmung) aufweist, aber auch b) das Fangbanger-Zielpublikum der jüngsten Vampir-Euphorie (mit der Twilight-Saga und True Blood als heraus ragenden Beispielen) abholt und in die Kinos lockt. Wenn derartige externe, unbeeinflussbare Faktoren stimmen und der Profit-Tacho des ausführenden Produktionsstudios von „lahm“ auf „blingbling“ springt, dann meint man ein potenzielles Franchise in den Händen zu haben.
ZoeStead
Bedtime Stories
So geschehen mit The Saga of Darren Shan, einer seit Anfang der Noughties in regelmäßigen Abständen veröffentlichten Jugendroman-Reihe des schottischen Autors Darren O’Shaughnessy (Demonata), der sich gleich in Band Eins „Cirque du Freak“ selbst als Erzähler positioniert und darauf hinweist, dass alles, was sich zwischen den mit Glanzornamenten verzierten Buchdeckeln befindet, absolut seiner persönlichen Wahrheit entspricht. Jetzt mag man damit den einen oder anderen Pre-Teen wohl wirklich hinters Licht führen – was hab’ ich nicht alles geglaubt, wenn die Worte aus Mutterns Mund zu mir unter die Flanellbettwäsche strömten -, aber für den mittlerweile erwachsen gewordenen Leser tut der Authentizitätshinweis wohl wenig zur Sache. Was mich immer wieder hintreibt zu diesen mehrbändigen Erzählungen ist meine Sehnsucht danach, mich in anderen Welten zu verlieren. Und je mehr sie wachsen, je epischer sie sich ausbreiten, desto lieber ist es mir, wenn ich mich auf der Recamière meines schwedischen Ecksofas ausstrecke und über mir die Schneeflocken auf den Dachschrägenfenstern schmelzen.
UPI
Eskapismus, das galt den Aufgeklärten unter den Kinodiskursfachleuten lange Zeit als absolutes Tabu, lässt es sich doch schnellstens kurzschließen mit dankbaren Generalphilosophien wie der „Dialektik der Aufklärung“ von Theodor Adorno und Max Horkheimer, die jedwedes Divertissement sofort als kostümiertes Unterdrückungswerkzeug des kapitalistischen Systems definieren, somit uns nach getaner Arbeit auch noch die Freizeitindustrie mit denselben Leistungsforderungen quält und einpasst in den Alltag. Jetzt braucht man aber nur ein wenig Reflexionsfähigkeit, um von den oft ausufernd und charmant beschriebenen Anderswelten zu abstrahieren, also es als genau das zu erfassen, was es ist: eine Lagerfeuergeschichte, ein moderner Mythos, ohne große Anstrengungen aufzunehmen und zu verdauen. Aber auch etwas, das einen begleitet, weil es die Vorstellungskraft eines Autors im besten Fall unmittelbar auf einen wirft. Diese Qualität will ich Darren O’Shaughnessy zuschreiben, dessen „Saga of Darren Shan“ diverse Formeln des Jugendbuchgenres auf den Kopf stellt, andere konzentriert verfolgt.
UIP
Phantasmagoria interruptus
Wenn jetzt also die erste Film-Adaption, basierend auf der Storyline der ersten drei Bände, zu uns in die Kinos kommt, ist das für mich schon auch ein Grund zur Freude. All die Figuren, die auf den Seiten so plastisch beschrieben werden, locken mich in die Dunkelheit des Saals. Ungefähr so muss sich auch die Romanfigur Darren fühlen, denke ich, als er zum ersten Mal in jenes verfallene Theater mit seinen staubigen Samtvorhängen und dunklen Gängen geht, in dem sein normales Leben beginnt zu enden und er Eingang findet in die „Twilight Zone“.
Aber ich verlasse mich auf nichts mehr: In den vergangenen Jahren, nachdem die Potter-Manie so richtig abgehoben hat, sind einige meiner liebsten Fantasybuchreihen nach und nach auf der Leinwand gelandet. Immer wieder die ersten Teile davon jedenfalls, in denen die Charaktere eingeführt und die Grundstrukturen für den weiteren Verlauf der Geschichte etabliert werden. Und immer wieder habe ich dann vergeblich auf die Fortsetzungen gewartet, da das übersättigte Publikum die jeweiligen potenziellen Franchises im Keim erstickt, also nicht angenommen hat.
New York Times
Am schmerzlichsten ist mir Paul Weitz’ The Golden Compass in Erinnerung: Die unter anderem mit Nicole Kidman besetzte Fantasy-Gaudi basiert auf der Trilogie „His Dark Materials“ (schon im Titel eine Verlinkung auf Miltons „Paradise Lost“, welches das philosophische Rückgrat der außergewöhnlichen Reihe ist) des britischen Autors Philip Pullman. In unvergleichlicher Weise schließt er darin Wissenschaft, Fantasie, Mythen und Philosophien kurz, um von den Abenteuern der jugendlichen Lyra Belacqua in einer Welt zu erzählen, die der unseren ähnlich, aber doch ganz anders ist, die einen Mechanismus verwendet, der es ihr erlaubt, zwischen verschiedenen Dimensionen hindurch zu steigen, wie durch einen Perlenvorhang. Die von Pullman extravagant und expliziert formulierte Kritik an institutionalisierter Religion musste für die Filmversion umformuliert werden, um die jedenfalls in den USA das Familienkino-Segment dominierende Fundi-Zuseherschaft nicht zu vergräulen: Damit hat Regisseur Weitz das Originalmaterial verraten und mich verloren; das Einspielergebnis von „The Golden Compass“ ist weit hinter den Erwartungen zurück geblieben. Wie das von Tintenherz, Eragon und noch über einem Dutzend anderer Jugendbuchverfilmungen.
Samt und Seide
Wieso sollte man sich also jetzt überhaupt um einen Film wie Cirque du Freak: The Vampire’s Assistant kümmern? Zum einen da Darren O’Shaughnessy einen jedenfalls für mich unwiderstehlichen thematischen und atmosphärischen Rahmen für seinen Entwicklungsroman gewählt hat: den der Freakshow. Geschichten von im Wanderzirkus ausgebeuteten körperlich deformierten oder besonders talentierten Mitmenschen sind im Kino üblicherweise Erwachsenensache: ich erinnere mich an Tod Brownings Hauptwerk Freaks aus den Dreißiger Jahren, an die Episode „Der Zirkus“ aus der Fernsehserie Akte X und an die herausragende HBO-Produktion in zwei Staffeln Carnivalé. Weitz’ Film hat freilich ein anderes, ein notwendigerweise breiteres Zielpublikum: Demnach geben sich die Freaks darin auch nicht ganz so ungeheuerlich in ihrem Hinweisen auf die Verdorbenheit der Normal-Welt, sondern sind eher schauergotische Popstars in glitzernden Gewändern. Nichts an ihnen sorgt für Ekel, ihre Körperlichkeit ist auf ein verträgliches Mindestmaß herunter gedimmt, selbst die von Evra Von (Patrick Fugit), dem Schlangenjungen, der jedes Mal, wenn man ihm die Hand gibt, einige Hautschuppen verliert.
Die Freaks
UPI
UIP
UPI
UPI
Vampir beißt Reh
Das Produktionsdesign von „Cirque du Freak: The Vampire’s Assistant“ ist beachtenswert: angefangen beim burtonesk animierten Vorspann über die dunklen Gänge des verlassenen Theaters hin zu den diversen Zelten der Freak-Performer stimmt die Stimmung in diesem Film. Getragen wird er zudem von den Schauspielern: John C. Reilly sieht auf den ersten Blick zwar etwas zu verträglich aus der Wäsche, um einen glaubwürdigen jahrhundertealten Vampir namens Larten Crepsley abzugeben, aber immerhin wird er für Darren auch zu einer Art von Vater- und Familienersatz, dem er mit einem gerüttelt Maß aus Liebe und Verachtung begegnet. Fugit verleiht dem schüchternen, Schlagzeug spielenden Schlangenjungen Evra Von eine zeitgemäße Verletzlichkeit und Salma Hayek funktioniert auch als bärtige Madame Truska.
UPI
Vor allem US-amerikanische Kritiker haben den Hauptdarsteller Chris Massoglia (der im Übrigen aus einer sehr religiösen Republikanerfamilie stammt) aufgrund seiner eindimensionalen Bubihaftigkeit angegriffen, dabei aber übersehen, dass er auch in den Büchern vorerst einmal das ist: ein ganz normaler, langweiliger, Fußball und Horror-Comics liebender Teenager, der keine Ahnung hat von Abgründen. Insofern passt seine Rehäugigkeit gut für diese Rolle, die ja ohnehin in einem dialektischen Verhältnis zur Evolution seines (ehemals) besten Freundes Steve steht. Der gerät im Verlauf des Films (in den Büchern erst im dritten Band!) in die Fänge der Vampanze, einer archaischen und gefährlichen Vampir-Clique, die von humanistischen Prinzipien des Larten Crepsley nichts hält und alles für einen ideologischen Krieg vorbereitet.
UPI
Die Bücher
HarperCollins
This is a true story. I don’t expect you to believe me – I wouldn’t believe it myself if I hadn’t lived it – but it is. Everything I describe in this book happened, just as I tell it!
Mit diesen Worten beginnt „Cirque du Freak“, das erste Buch der „Saga von Darren Shan“: Darren selbst erzählt uns seine Geschichte. Anfangs ist er noch ein Musterschüler und talentierter Fußballer. Mit seinem besten Freund Steve Leonard (Spitzname "Leopard") hockt er stundenlang in seinem Zimmer und liest Horror-Comics. Er tut, was Jungs in seinem Alter eben so tun. Eines Tages fällt ihm ein Flyer in die Hände und der wirbt für eine Veranstaltung, der ein 16-Jähriger unmöglich widerstehen kann.
For one week only – Cirque du Freak! See: The Snake-Boy! The Wolf Man! Larten Crepsley and his performing spider Madam Octa! The Bearded Lady! Rhamus Twobellies – World’s Fattest Man!
Der Cirque du Freak wird für den braven Buben Darren zu einem Initiationsritua. Im Halbdunkel eines verfallenen Theaters begegnet er Körperkünstlern, Werwölfen und Vampiren – radikale Gegenpositionen zu seinem behüteten Zuhause. Er schmeckt die Gefahr, weiß jetzt, dass es noch mehr geben muss als Schule – College – Arbeit – Rente – Tod. Wie wär’s mit ewigem Leben? Nach einer Verkettung unglücklicher Zufälle steht Darren Shan zum ersten Mal dem Vampir Larten Crepsley gegenüber - dessen tanzende Giftspinne hat Steve gebissen. Um ihn zu retten, muss Darren einen folgenschweren Pakt schließen: Er wird zum Assistenten Crepsleys und damit zum Halb-Vampir. Er weiß, ein Zurück gibt es nicht.
It took about 10 minutes for the poison to work its deadly charms. At the end of that time I couldn’t move any of my limbs, my lungs weren’t working (well, they were, but very, very slowly) and my heart had stopped (again, not fully, but enough for its beat to be undetectable). „I am going to snap the neck now,“ Mr. Crepsley said, and I heard a quick clicking sound as he jerked my head to one side.
Darren Shan ist tot. Und lebt weiter als Teil des „Cirque du Freak“. Es ist ein klassisches Thema der Jugendliteratur, dass man irgendwann unvermeidlich weiter gehen muss, das warme Elternhaus, das Leben im Jetzt ohne Konsequenzen und Verantwortung sind nur mehr Erinnerungen. Darren O’Shaughnessy nimmt sich viel Zeit für seine Geschichte, insgesamt fast 2.000 Seiten umfasst die Saga, deren Universum sich mit jedem Band erweitert. Dem Einfühlen in die neue Rolle folgt das Entdecken eines neuen Feinds.
All of a sudden, I knew why this man was so feared. He was evil. Not just bad or nasty, but pure demonic evil. This was a man I could imagine killing thousands of people, just to hear them scream.
„The Saga of Darren Shan“ ist flüssig geschrieben, keine unnötige Stilisierung verstopft den Erzählfluss. Wie in Rowlings vergleichbaren Potter-Romanen wachsen die Charaktere mit jedem Auftritt, sie verändern und erweitern sich. Das Fantastische darin ist vor allem Ventil für die Gefühlswelt des Teenagers. Wie in den besten Horror-Klassikern muss Darren mit seinem neuen Ich ins Reine kommen. Er ist ein Monster – aber er will seine Menschlichkeit nicht verlieren.
What should I do? That was the question which kept me awake long after the sun had risen. What should I do? Abandon my principles and drink human blood? Or stay true to my humanity and ... die?
Es ist dieser innere Konflikt, der im Kern der „Saga of Darren Shan“ steckt, der das Rückgrat einer jeden großen Tragödie ausmacht. Trotz oder vielleicht gerade wegen all der Vampire, Werwölfe und Zombies ist der „Cirque du Freak“ eine Geschichte über Menschlichkeit und Moral. Mit Darren erkennen wir, dass es keinen Unterschied macht, ob man Mensch oder Monster ist. Es geht darum, ob man die richtigen oder falschen Entscheidungen trifft.
UPI
Das Ende einer Reise
Ohja, es werden sich wieder viele finden, die dem Film seine Zärtlichkeit oder Einpassung in die Familienfreundlichkeit vorwerfen. Für mich persönlich ist der Knoten aufgegangen und ich hoffe darauf, dass all die anderen, weitaus fantastischeren Abenteuer des Darren Shan auch noch ihren Weg auf die Leinwand finden. Vielleicht nicht unter der Regie von Paul Weitz, der zwar echte Begeisterungsfähigkeit für seine Stoffe mitbringt, die wenigsten davon allerdings intellektuell aufzubereiten versucht, aber von jemand anderem: Wie wär’s mit Terry Gilliam oder Rob Zombie?