Erstellt am: 8. 1. 2010 - 15:48 Uhr
Was wurde eigentlich aus...
Vor gar nicht langer Zeit haben wir uns ja den Wahnsinn der Jahrzehntecharts angetan. Mit den finalen Platzierungen, aber auch meiner persönlichen Stimmabgabe, war ich eigentlich hochzufrieden. Bis ich mir vor kurzem doch in den Allerwertesten gebissen habe, da sowohl ich, als auch jeder meiner geschätzten KollegInnen das Meisterwerk "The Hour Of Bewilderbeast" (2000) von Badly Drawn Boy völlig ignoriert hatte. Was mich angeht, habe ich Badly Drawn Boy schlicht und einfach vergessen.
Musikalische Amnesie
Liz Furman
Dabei hatte für Badly Drawn Boy alias Damon Gough eigentlich alles vielversprechend begonnen. Im Zuge des Mercury Prize für "The Hour Of Bewilderbeast" von den Musikmedien gehypt, galt er schon damals als Paradebeispiel der One-Man-Show. Mit Wollmütze und Bart hatte der Mix aus traditionellem Songwriting und elektronischen Gefiepse in Eigenproduktion was für sich, Kollege Rotifer war schon anno 2000 bewundernd von dem Mann aus Manchester angetan. Es folgte eine schöne Zusammenarbeit mit UNKLE, alles schien ideal.
Nachfolgealben wie der Soundtrack zur Nick Hornby-Verfilmung "About A Boy" (mit den kleinen Hits "Silent Sigh" und "Something To Talk About") und das eigentlich mehr als solide zweite Album "Have You Fed The Fish?" waren für mich der Inbegriff der englischen Vorstadttristesse. Einer Welt abseits des Glamour-Londons, in der das Füttern des Goldfisches auch einem spirituellen Akt gleichkommt. Weil man sonst ja niemanden hat, mit dem man reden könnte. Dazwischen bleibt Platz, um die Queen zu heiraten und Madonna von der Bettkante zu stoßen. Für mich war das immer britischer Humor in Perfektion. Der Song "All Possibilities" ist für mich das Beste, was ich je von Badly Drawn Boy gehört habe. Bubblegum-Melodien: Niemand konnte es besser als er.
Unvergessen bleibt ohnehin das Dreigespann "All Possibilities"/"I Was Wrong"/"You Were Right" auf "Have You Fed The Fish?". Als Höhepunkt die folgenden Zeilen, an die ich mich kürzlich nach dem Tod von Vic Chesnutt zurückerinnerte:
I remember doing nothing on the night Sinatra died
And the night Jeff Buckley died
And the night Kurt Cobain died
And the night John Lennon died
I remember I stayed up to watch the news with everyone
And that was a lot of nights
And that was a lot of lives
Danach muss irgendwas passiert sein. "One Plus One Is One" (2004) und "Born In The UK" (2006) wurden von der Presse zerrissen, Badly Drawn Boy wurde regelrecht zum Feindbild von Pitchfork. Zu schwulstig, zu unmelodiös wäre das Ganze. War die Kombination aus Folksong, Klavier und orchestraler Unterlegung ein halbes Jahrzehnt vorher noch interessant gewesen, sei sie nun einfach nur noch unpassend. Und die Songs einfach schlecht, Kinderchor in "Year Of The Rat", das ging gar nicht. Das war auch die Zeit, in der ich den drolligen Kerl schon aus den Augen verloren hatte. Es war keine Absicht, irgendwie fühl ich mich jetzt auch schuldig.
Total Recall
Vor allem, weil ich Badly Drawn Boy kürzlich wieder entdeckt habe. Für das Publikum auf der Insel war er glaub ich nie ganz weg. Werbejingles hat er komponiert und mit "Donna And Blitzen" auch einen famosen Weihnachtssong für die BBC beigesteuert. Und auch sein neuester Output, der jetzt im Januar erscheint, wird vermutlich bei uns untergehen: "Is There Nothing We Could Do?", der Soundtrack zum UK-Fernsehfilm "The Fattest Man In Britain", mit Timothy Spall in der genial besetzten Hauptrolle. Den Film kann man nicht ganz aus den Augen lassen, behandelt er doch mit dem fettleibigen Georgie Godwin genau so einen Außenseiter, wie Badly Drawn Boy sie gern hat.
ITV1
BDB Records
Für die meisten Hörer mag "Is There Nothing We Could Do?" kein vollwertiges Album sein, beinhaltet es doch lediglich eine Handvoll Stücke über 3 Minuten, der Rest sind Instrumentals oder Reprises. Aber damit erfüllt Badly Drawn Boy seine Aufgabe famos: Mit "Is There Nothing We Could Do?" und "Welcome Me To Your World" liefert er zwei erfrischende Balladen, einmal unterlegt mit Streichern, dann wieder mit Bläserarrangement. Der Rest übt sich in Variation, greift musikalische Motive auf und rearrangiert sie, zerlegt einiges, fügt manches zusammen. Vieles kommt über 1:30 nicht hinaus, hinterlässt aber in seiner Kürze viele Spuren. Man hat ständig das Gefühl, das Ganze sei aus einem Topf gelöffelt. Und das macht den Soundtrack so wunderbar kohärent. So soll das sein.
Ich hoffe ich vergesse Badly Drawn Boy nicht wieder. Irgendwie befürcht ich es ja fast. Aber ich hab mir jetzt zumindest einen Knopf ins Taschentuch gemacht. Smile!