Erstellt am: 8. 1. 2010 - 16:36 Uhr
Fußball-Journal '10-1.
Ja, 2010 wird es wieder ein Fußball-Journal geben. Die Gründe dafür stehen eh hier.
Die 123 Einträge des FB-Journals des Vorjahres hängen nun denen zum fussballjournal10 hintendran.
Die seit Jahren brillant funktionierende Allianz zwischen Ex-Spieler/Nun-Trainer-Elite und Mainstream-Medien hat aktuell zwei Themen ausgepackelt, auf die man sich (in beidseitigem Interesse, zum beidseitigen Nutzen) eingroovt.
Thema 1 (Legionäre = Sündenböcke) geht gerade glorios schief. Thema 2 (den "auf die Jugend setzen"-Schmäh instrumentralisieren) funktioniert bei hingegen weiter blenden.
Die, die sich trauen, auf die tatsächlichen Problemzonen (wirtschaftlicher Ausverkauf, TV-Rechte-Brösel etc) einzugehen, sind - wie immer - in einer Minderheit.
Deshalb im Folgenden ein halbwegs detaillierter Überblick über diese aktuellen Machinationen.
Campaign 1: Die Legionäre sind voll blöd alle
Diese Platte leiert seit Wochen durch die Aussagen von Coaches und Fußball-Promis (Constantini, Pacult, Polster taten sich speziell hervor) und wurde in den Mainstream-Medien nicht nur begierig aufgenommen, sondern entsprechend süffisant aufbereitet. Ein Schelm, wer dabei an sowas wie eine koordinierte Aktion denkt. Das ist es nämlich nicht wirklich: die Profis auf beiden Seiten nehmen einfach mit rattenscharfem Instinkt Themen auf, die sie als einfach kommunizierbar und populistisch aufbereitbar einschätzen; der Wahrheitsgehalt und sowas wie sportlicher Ethos sind dabei völlig egal. Es geht ausschließlich ums Eigen-Interesse.
Die Sportseiten der Tageszeitungen brauchen derlei Campaignisierungen wie einen Bissen Brot. Während die audiovisuellen Medien mit anderen Benefits punkten können (und auch weil Sky Österreich, die da sicher mitgemacht hätten, urlaubt) und die Sport-Fachmedien den Platz und auch die Kraft für halbwegs differenzierte Berichterstattung haben und da deshalb nicht mitmachen müssen.
Und eine bestimmte Spezies von Coaches, egal ob sie gerade einen Job haben oder im Transfer-Karussel sitzen, spielt da mit und schlägt diese Themen vor. Meistens direkt an ihre Kontaktleute in den Tageszeitungen. Es handelt sich dabei um die üblichen Verdächtigen, die immer vorkommen: die Autoren von "Kolumnen" (die sie selten selber schreiben), die Ex-Starkicker, die auch bei den Adabei-Events auftauchen, die mit medialen Zuschreibungen oft jahrelang künstlich am Leben gehaltenen Überehrgeizlinge, von denen sich der Medienpartner im Erfolgs-Fall (wenn man sie dann in einen wichtigen Job geschrien hat) auch Gegenleistungten erwartet. Und bekommt.
Mit solchen Matthäussen ist es dem Boulevard ein Vergnügen Geschäfte zu machen.
Erstes Opfer: Scharner
Die Legionärs-Leier wurde von einem dergestalt zum Teamchef gehievten, Dietmar Constantini, angestimmt. Weil dieses Bashing für alle Beteiligten höchst praktisch ist: der Boulevard kann sich aufs Hochjubeln seiner jeweiligen lokal verankerten Lieblinge verlagern und hat Sündenböcke, die weit entfernt arbeiten und so keine große Wehrhaftigkeit aufweisen. Und der Teamchef muss sich nicht mit Auslandsreisen und Fremdsprachigkeit aufhalten, kann sich aufs Posieren in den VIP-Klubs der heimischen Stadien beschränken.
Außerdem ist es ein Leichtes auffällige Figuren wie etwa Paul Scharner aufgrund der zuletzt nicht ganz glücklichen Team-Auftritte zu schelten. Dass Scharners Probleme durch die Nicht-Strategie-Vorgabe des taktischen Wenigkönners Constantini verursacht waren, lässt sich damit auch locker wegleugnen. Provinzielle Wortmeldungen von Leuten wie Pacult oder Polster, die sich an Scharners Frisurer stoßen und seine technische Limitiertheit hervorheben (die sie im Fall von zb Stefan Maierhofer wieder charmant und für England gerade richtig halten) folgen.
Sogar die Agenturen schlossen sich dem Scharner-Bashing, das über die Weihnachtsfeiertage stattfand (auch weil die englischen Clubs da durchspielten) an. So wurde die Nicht-Meldung, dass Wigan bislang die meisten Gegentore kassiert hat, durch die Formulierung der Nachricht direkt Scharner angelastet.
Opfer Nr. 2: Arnautovic
Seit ein paar Tagen läuft dann die Folge-Story auf allen Mainstream/Boulevard-Kanälen: Marko Arnautovic fliegt bei Inter raus, weil er unmöglich, arrogant und frech ist und nicht grüßt. Zeuge: Josef Hickersberger, auch einer aus der Campaign-Posse, den Arnautovic in den Emiraten nicht erkannt/gegrüßt hatte. Seitenlange Empörung war die Folge, sogar der ÖFB (also natürlich nicht Constantini, sondern das Projekt 12, das von Constantini intern bekämpft wird) wäre schuld, die Mainstream-Medien waren moralisch entrüstet.
Am Mittwoch wurde der via Krone/Österreich/Kurier etc schon ausgemusterte Arnautovic in der Meisterschaft eingewechselt.
Mario Balotelli ist der junge Mann mit dem schwersten Stand in der ganzen Serie A: jede Woche rassistische Belästigungen ohne Ende. Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet Arnautovic sein bester Freund ist.
Am selben Tag erklärte Trainer Mourinho in der Gazetta auf Seite 2, dass Arnautovic ihn zum Lachen bringe, er sich gut mit ihm verstehen würde. "E un ragazzo davvero fantastico, pero con la testa da bambino". Und sein Kumpel Balotelli wäre so wie er. Marko war im Trainingslager ein paar mal zu spät gekommen, aber einmal auch drei Stunden zu früh. Und so jemand verdiene sich eine Einberufung.
Die Anti-Arnautovic-Berichterstattung, auf der Basis schwacher Infos zu einem falschen Zeitpunkt lanciert, brach also bereits am Donnerstag wieder in sich zusammen; der Boulevard rudert auch schon zurück.
Extrem vielsagendes Detail am Rande: in der Mittwoch-Kolumne von Herbert Prohaska in der Krone gab der an das Mourinho-Interview in der Printausgabe der Gazetta gelesen zu haben - was technisch unmöglich ist. Möglich ist es die Vorab-Aussendung des Gesprächs, die via Agentur schon am Dienstag verbreitet wurde, zu kennen. Einen besseren Beleg dafür, dass und wofür die Ghostwriter die Promis instrumentalisieren, kann man nicht liefern.
Auch das andere Freiwild beißt zurück
Der angepatzte Ivanschitz etwa wird von Kicker unter die Top 5 der offensiven Mittelfeldspieler der Bundesliga gewählt.
Der angepatzte György Garics bekommt zwar bald seinen dritten Trainer, hat aber überall einen Fixplatz. Ebenso wie der angepatzte Andreas Ibertsberger.
Der angepatzte Christian Fuchs war jüngst beim VfB Stuttgart im Gespräch.
Der verarschte Ekrem Dag ist beim anderen CL-Teilnehmer Stammspieler.
Der seit Jahren angepatzte, nein, vom Boulevard nachgerade angebrunzte Alex Manninger spielt wieder einmal im Tor von Weltklub Juventus Turin.
Der angepatzte Paul Scharner wird in England als Key Player angesehen, egal mit welcher Haarfarbe und auf welcher Position.
Nur die von Constantini brav einberufenen Hoffer und Maierhofer sind gerade im Out.
Welch krasse Fehleinschätzung der Realität.
Was nur dann kein Problem ist, wenn man eine willfährige Mainstream-Presse hinter sich hat, deren Sport-Redaktionen die hochprovinzielle Grundausrichtung ihrer Blätter durch eine Schollen-Politik wie diese rechtfertigen wollen.
Campaign 2: Die Jugend ist unser Anliegen, voll echt-ehrlich!
Das ist nix als ein großer Bluff, ein Schmäh.
Niemanden derjenigen, die "die Jugend" und deren unbedingte Förderung als Agenda vor sich her tragen, interessiert das wirklich. Egal ob Stronach/Schöttel, Reichel/Polster, Constantini/Boulevard - es geht ausschließlich um beinharte Eigen/Macht-Interessen.
Bestes Zeichen: außer der gezielten Verbreitung von populistischem Geschwätz wird nichts unternommen. Außerhalb einer dauerhaften Willenskundgebung passiert nichts.
Die Inszenierung von so etwas wie einem Ja zur "Jugend", einer Nachwuchs-Förderung ist ebenso wie das Anpatzen der Legionäre eine womöglich ursprünglich gar nichts absichtsvolle Kampagne der bereits ganz oben erwähnten Koalition zwischen Mainstream-Medien und Trainer-Poseuren.
Erfunden hat das der Jugend-Hasser und Generation-Playstation-Diffamierer Constantini, in dem Moment, als er gemerkt hat, dass es ein guter Dreh ist um sich bei kaum Arbeit mit fremden Federn schmücken zu können - seitdem klappert und plappert die Mythen-Bildung vor sich hin.
Die, die es wirklich verdienen würden, die Ausbildungsstätten bei Rapid, Sturm, Austria ua, die ÖFB-Projekte wie die Challange oder das Projekt 12, werden kaum mehr am Rande erwähnt, der Teamchef hat es verstanden diese Begriffe, das durch ihn aufgewirbelte Konstrukt als sein Ding zu positionieren. Wichtig auch für den Boulevard, der ihn anhand dieses hohlen Begrifflichkeit punzieren kann.
Augenauswischen in Neustadt
Zum Jahreswechsel sind nun die Trittbrettfahrer aufgesprungen, die ihre Aktionen (die allesamt nix mit Jugendförderung zu tun haben) unter dasselbe Signet setzen.
In Wiener Neustadt etwa wurde die Entlassung eines Trainers, der eine absurde Maßnahme nicht sofort ungesetzt hatte, damit begründet. Mit der erfolgreichen Jugendarbeit des Peter Schöttel.
Pure Augenauswischerei.
Der Neue, der sofort alles, was Stronach/Neumann anordnen brav exekutiert, hat nicht nur keine Expertise als Coach, auch seine Tätigkeit als sportlicher Leiter bei Rapid zwischen 03/04 - 06 zeigt keine markanten Merkmale. Im Vergleich zu dem, was Nachfolger Hörtnagl seither auf die Beine gestellt hat, kann man seine Phase mit freiem Auge gar nicht mehr wahrnehmen.
Es ist natürlich kein Zufall, dass diese Zick-Zack-Politik just in Frank Stronachs Magna-Imperium passiert: dort wird auf das allererste Gesetz von guter Jugendarbeit (Nachhaltigkeit, Stabilität, Verläßlichkeit) von Anfang an kein Wert gelegt, dort sind die Sontagsreden über die "Jugend" seit jeher reine Lippenbekenntnisse, dort geht es um Eitelkeiten des Besitzers, um sonst genau nichts.
Herrenbauerei in Linz
Genauso seine Scherze mit dem Jugend-Schmäh treibt der andere Bundesliga-Verein, der noch auf Herrenbauern-Art geführt wird: Peter Michael Reichels LASK. Der pfropft seinem Klub, der eine aufbauende Zwischensaison, in der sich niemand um Platzziffern schert, dringend nötig hätte, wieder einen Marketing-Gag drauf: Toni Polster, auch ein Mann bar jedes Trainer-Könnens, einen Selbstinszenierer par excellence, einen Adabei mit Früstücks-Direktoren-Schmäh, einer, der für einen (am besten auch noch bezahlten) Medienauftritt seine Großmutter verkaufen würde.
Polster ist, weil es das neue "Jugend"-Diktum, das der Boulevard jetzt gierig aufgesaugt hat und jetzt als Pseudo-Kriterium vor sich herträgt, so befiehlt, jetzt nicht nur "Marketing"-Verantwortlicher und eine Art Sportdirektor (was er beides alibihalber schon einmal war), sondern auch Jugend-Koordinator und Amateur-Trainer (wovon er keinen Tau hat).
Das zeigt, was die Erfindung eines substanzlosen Begriffs, der aus einer rein machtpolitisch motivierten Kampagne enstanden ist, dann auch für Schaden anrichten kann, wenn die Trittbrettfahrer den Unfug übernehmen.
Ehrlicher Old-School-Blödsinn in Klafu
Irgendwie ehrlicher ist da der Schwachsinn, der sich gerade im dafür mehr als anfälligen Klagenfurt abspielt. Dort geht das ab, was immer passiert, wenn panische Ahnungslose (also: die Mehrheit der österreichischen Fußball-Funktionäre) Trainer entlässt und neue Wunderwuzzis holt.
Die wollen dann immer neue Spieler, gerne solche aus ihrem Umfeld (nicht zuletzt weil da über diverse Umwege auch Transfer-Provisionen anfallen) und belasten die eh schon klammen Kassen dann bis zum Limit - im Fall von Hypo Kärnten noch gewagter. Genau nach diesem Uralt-Abzocker-Schmäh geht in Klagenfurt gerade Jose Prelogar vor, und weil das Austria Kärnten-Schiff nach Schinkels Abgang nicht nur kein Herz, sondern auch keine Führung mehr hat, geht sich das auch aus. Die Branche lacht sich schief und in Kärnten kann man sich auf die dort übliche "Olle seinds gegen uuns!"-Pose zurückziehen.
Irgendwie lieb, weil so herzlich Oldschool ist das.
Die Ausnahme zur Regel
Ein Ausnahme-Fall ist der in jeder Hinsicht unbequeme Ex-Trauner und derzeit Nur-Experte Alfred Tatar, hier in einem aktuellen Interview.
Weil die audiovisuellen Medien gerade Wintersport-Pause machen, sich die Fachblätter kaum etwas trauen und die Sport-Portale nur vorsichtig agieren, bleibt innerhalb der Print-Campain-Gesellschaft der vereinigten Sportredaktionen nur vereinzelter interner Widerstand.
Etwa die Geschichte aus dem Kurier von Mittwoch, in der die tatsächlichen, anderswo hinter Ablenkungswolken aus Tratsch, Campaign 1, regionalem Honigumsmaulgeschmiere und Campaign 2 versteckten Probleme deutlich angesprochen werden.
1) wegen der wirtschaftlich zunehmend schlechter werdenden Lage für den Fußball unternehmen Vereine aktuell Irrsinn bis hin zum Vertragsbruch um zu entschlacken: Gratkorn, Neustadt oder Kärnten, aber auch andere Zweitligisten als aktuelles Beispiel.
2) Das ist bloß ein Vorgeschmack auf anstehende Konkurs-Verfahren, die sich (auch in Zusammenspiel mit den zu erwartenden Enthüllungen aus dem Wettskandal) zu einem Kahlschlag der österreichischen Vereins-Landschaft verdichten könnten.
3) der Unwillen der Bundesliga sich schon vor oder während dieser Probleme damit zu beschäftigen anstatt nachher betroffen aus der Wäsche zu schauen.
Aktuell sind nämlich wieder einmal die TV-Rechte der Bundesliga ausgeschrieben.
und vor allem
4) die groben Wickel, die sich aus dem neuen TV-Vertrag noch ergeben können. Da ist mit Termin 14.1. (Hauptversammlung der Bundesliga) eine Entscheidung zu erwarten, die aktuell auf folgendes hinausläuft: alles auf Sky, nur noch 12 statt möglicher 36 Sonntagsspiele im ORF. Das gefällt vor allem Rapid Wien nicht, die außerhalb des ORF keine flächendeckende Reichweite sehen. Salzburg kocht via Servus-TV sein Süppchen, die anderen TV-Sender sind klamm, die anderen Vereine ebenso.
Natürlich haben auch in diesem Spiel die Verlage ihre jeweiligen Interessen, über politische oder sonstige Verbindungen sind sie Teil des Gesamtspiels - deshalb ist das Schweigen des Boulevards zu diesem Thema auch so interessant. Und die hier heute angesprochenen Kampagnen und künstlichen Schwerpunkte so willkommen.