Erstellt am: 8. 1. 2010 - 14:00 Uhr
Good morning, teacher!
von Petra Pfann
Jeden Morgen pünktlich um 8.30 Uhr wird in der belebten Dorfschule im Nordosten Thailands die thailändische Flagge gehisst. Dazu ertönt aus riesigen knisternden Lautsprecherboxen die Nationalhymne, die im Chor mitgesunden wird. In Reih und Glied müssen die SchülerInnen hintereinander stehen, ihren Bewegungsdrang zu drosseln fällt ihnen sichtlich schwer.
Petra Pfann
Wer den morgendlichen Ansprachen des Lehrkörpers nicht aufmerksam lauscht und still steht, läuft Gefahr einen Hieb mit dem Schlagstock einstecken zu müssen. Das einheitliche Erscheinungsbild wird durch die verpflichtende Schuluniform verstärkt. Auf persönlichen Schmuck und individuelles Schuhwerk müssen die SchülerInnen verzichten. Die Lebendigkeit des Schulareals während der Pausen wird in den Klassenzimmern durch einen autoritären und monotonen Unterrichtsstil abgelöst. Starres Auswendiglernen und unreflektiertes Nachsprechen oder Abschreiben sind Hauptmerkmale einer thailändischen Unterrichtsstunde. Auf Verständnis und kreative Verwendung des Gelernten wird nahezu kein Wert gelegt. Das Lehrziel scheint erreicht zu sein, wenn die Schüler das aktuell Vorgetragene möglichst ähnlich wiedergeben bzw. imitieren können. Revision und Überprüfung des Lernfortschritts finden nur einmal pro Jahr am Ende jedes Schuljahres statt, wobei die Wiederholung einer Schulstufe gänzlich unüblich ist.
Petra Pfann
Hausaufgaben werden nur äußerst selten aufgegeben und wenn, dann in den kurzen Unterrichtspausen so schnell wie möglich und etwas lieblos erledigt. Wer seine Schulbücher verbotenerweise mit nach Hause nimmt, muss zur Strafe für die MitschülerInnen gut sichtbar eine halbe Stunde in der prallen Mittagssonne am Schulhof stehen. In Mitteleuropa längst überholte Unterrichts- oder Erziehungsmethoden stehen hier leider noch auf der Tagesordnung.
Das Gemüt der SchülerInnen selbst scheint davon aber nicht beeinträchtigt zu werden.
Stets tragen sie ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen und sind für den üblichen Schabernack zwischen durch zu haben, der auch von den meisten LehrerInnen nur mit einem verständnisvollen Lächeln boniert wird. Außerhalb der Unterrichtseinheiten nehmen auch die LehrerInnen eine Freundschafts-Rolle ein. Sie stehen den SchülerInnen auch bei privaten Schwierigkeiten stets mit Rat und Tat zur Seite. Nicht selten ist zu beobachten, dass sich in den Pausen etwa der Mathematik-Lehrer aufs Volleyballfeld stellt – zur großen Freude und Erheiterung der SchülerInnen.
Zur Schule zu gehen bedeutet den Kindern alles. Der Name der lebendigen Dorfschule "Ruammiwittaya" bedeutet ins Deutsche übersetzt so viel wie "Freunde treffen".
Petra Pfann
Für viele der Kinder ist die Schule tatsächlich der einzige Ort, ihre Freunde zu treffen. In den Pausen sowie nach Unterrichtsschluss um 15 Uhr bleibt noch eine Stunde Zeit für gemeinsame sportliche Betätigung auf den unterschiedlichen, wenn auch etwas spartanisch ausgestatteten, Sportplätzen der Schule. Kaum zu Hause angekommen, müssen die meisten Kinder am elterlichen Hof mithelfen – viel Zeit für die eigenen Freunde bleibt da nicht mehr.
Petra Pfann
Mittels Spiel und Gesang gelingt mir die Verlagerung der Lebendigkeit vom Schulhof ins Klassenzimmer. Das dürfte den Kindern offensichtlich gefallen, denn nachdem die anfängliche Schüchternheit verflogen ist, unterstützen sie mich von nun an begeistert. Etwa auch wenn mich der herzensgute Schuldirektor ganz spontan nach der Morgenansprache vor allen SchülerInnen bittet: "Teacher Petra, can you sing a song for students, please?" Auch die LehrerInnen sind extrem offen für meine Anregungen und versuchen, die spielerischen Lehrmethoden auch in ihren Unterricht zu integrieren. Flexibilität und Unkompliziertheit wird in Thailand in allen Lebensbereichen groß geschrieben. Der gänzliche Verzicht auf die Frage "Warum?" scheint es zu erleichtern, aus allen aktuellen Umständen das Beste zu machen. Sei es, wenn der Unterricht für uns LehrerInnen kurzfristig ausfällt, weil ein buddhistischer Mönch angereist kommt, um den SchülerInnen über die wichtigsten Regeln des Lebens zu unterrichten oder wenn die SchülerInnen vorzeitig entlassen werden, weil der Schuldirektor von einer Minute auf die andere beschließt, mit uns allen eine Kollegin im Spital der benachbarten Stadt zu besuchen. Wir lernen viel voneinander und mein vierwöchiger Aufenthalt vergeht wie im Flug. Die Zeit des Abschieds bricht heran.
Petra Pfann
Als Zeichen ihrer Dankbarkeit hat der Direktor einen Mönch eingeladen, der mich segnet und mir als Erster vor den 333 SchülerInnen weiße Baumwollfäden um das Handgelenk knotet: "For good Luck!".
In mühevoller Handarbeit haben sie Blumenschmuck in allen möglichen Formen und Farben für mich gebastelt. Zur Feier des Tages sind auch alle Gemeindebediensteten der umliegenden Dörfer gekommen, die mit uns das selbst zubereitete Festessen genießen und mittels Karaoke-Gerät eine thailändische Schnulze nach der anderen zum Besten geben.
Petra Pfann
Gegen Ende meines letzten Schultags fühle ich mich wie ein hawaiianischer Christbaum, geschmückt mit all den Gaben der SchülerInnen und möchte meine Gastlehrerin Supapon gar nicht mehr los lassen, die mir wie alle Anderen in der Zwischenzeit richtig ans Herz gewachsen ist.
Ich bin überwältigt von so viel Offenheit und Herzlichkeit dieser liebevollen Menschen. Nur wenige Tage nach meiner Abreise erreicht mich die erste E-mail-Nachricht von Supapon: "I miss you, but sometimes I busy."