Erstellt am: 7. 1. 2010 - 19:23 Uhr
Kein Journal '10.
Reiz- und Teaser-Worte für lasche Oberflächen-Konsumenten:
Bono, Franz Schuh, New York Times, Österreich, Döpfner, SZ-Magazin, das Ende von Pop, Slavoj Žižek und sein perverer Kino-Führer, Afrika und eine bessere Weltkarte.
Es ist so wie 2004, 2006 und 2008: Kein "Journal".
Dieses Label bleibt den ungeraden Jahren vorbehalten.
Das hat mehrere Gründe.
Zum einen ist das was täglich daherkommt, zwar genau aus dieser Regelmäßigkeit heraus verführerisch und reizvoll - wenn man sich aber quasi auf ewig drauf verlassen kann, verliert es den Reiz dann auch wieder und wird zur Gewohnheit. Ist ein bissl wie mit Liebe, Feuer und Ehe.
Zum anderen bieten die geraden Jahre ein wirklich umfassendes und zwei, drei ebenso fixe Events, die meine ganze Aufmerksamkeit fordern und daneben nix Anderes zulassen. Und die Monokulturen WM-/EM-Journal, Olympia-Journal oder Afrika-Cup-Log nehmen allein zeitmäßig schon einmal fast ein Fünftel des Jahres in Anspruch.
Deshalb kommen in den geraden Jahren unregelmäßige Einträge. Heuer wohl mehr als 08, 06 oder 04, vor allem, weil sich im Journal 09 doch einige Schwerpunkte ergeben haben, die weitere Beobachtung erfordern. Egal ob der Medienwandel, die gleichzeitige Über- und Unterforderung der Digital Natives (resp. Audimaxisten) oder das Abdriften in eine postdemokratische Outsourcing-Gesellschaft: daran kann ich heuer schon allein deshalb nicht vorbeikommen, weil von euch da zuviele Anregungen reinkommen.
Traniges Nichtschreib-Training
Noch ein Rekurs auf 09: Der von Vorarlberger FP- Verantwortlichen erfundene Begriff Exil-Jude wurde auf den 2. Platz zum Unwort des Jahres gewählt. Die Erfinder halten den Einsatz auch im Nachhinein für richtig.
Dass es zu beidem kommen konnte ist die Schuld der Mainstream-Medien, die diesem frei erfundenen Begriff nicht entgegengewirkt, sondern ihn unkritisch einfach übernommen haben.
Wie immer im frischen Jahr hab ich mich die ersten paar Tage zurückhalten müssen den antrainierten Automatismus jeden Tag etwas Zugetragenes, Erlebtes, Gedachtes, Erlesenes oder Erlauschtes in Eintragsform zu gießen zurückzudrängen. Denn selbst in der tranigen Zeit der Abhängerei zwischen den Jahren tut sich für den (nach einem Jahr Gewohnheit) zutiefst outputgeschulten zuviel um nicht etwas drein-drauf-dagegenzusetzen.
Auch wenn ich - wie etwa heuer - kaum digital unterwegs war, sondern mich hauptsächlich in der alten Print/Lese-Welt umgetan habe. Auch wenn die statisch war, wie sonstwann im Jahr kaum. So hat etwa die "Tageszeitung" "Österreich" die letzte ihrer Sonntags-Sackl-Ausgaben Tage vorher komplett vorproduziert; und es ist nicht wirklich aufgefallen. Das zeigt: es macht überhaupt keinen Unterschied, ob eine österreichische Tageszeitung wirklich aktuell berichtet: zählen tun nur die transportierten Vorurteils-Bestätigungen.
Sowas verfängt auch bei mir: selbst beim besten Online-Newsangebot außerhalb des ORF, der Standard-Site. Da berichtet man am 4.1. über ein Anti-File-Sharing-Gewettere des zurecht unbeliebten U2-Frontmanns Bono, hievt da Vergleiche mit der alten Metallica/Napster-Geschichte in die Frontallappen der Leser.
Intellectual Property als bloßer Spielball
Was Bono wirklich schreibt.
Was davon in heimischen Medien überbleibt.
Und hier gleich das nächste Beispiel über den Unterschied zwischen Fakten und instrumentalisierter Meldung, gefunden bei Niggemeier.
Wenn man sich den Original-Link anschaut (was offensichtlich keiner tut) entsteht ein gänzlich anderes Bild. Bono hat in seinem Blog für die New York Times zehn Tendenzen für die Zehner-Jahre vorausgesagt, manche wirr, manche gewitzt, alles in jedem Fall überdenkenswert. Die Nummer 2 auf seiner Liste: "Intellectual Property Developers". Dublins großer Sohn bespricht da die der TV/Kino-Industrie bevorstehenden Probleme mit Rechten und Copyrights und vergleicht (durchaus selbstironisch) mit dem (Nicht-)Handeln der Musikindustrie im abgelaufenen Jahrzehnt. Er stellt fest, dass es die "Creators" sind, die Einbußen hinnehmen werden, nicht die Provider, die nichts anderes sind als Zwischenhändler. Er zweifelt daran, dass keine bessere Kontrolle möglich ist und verweist auf die Beispiele von harter US/China-Hand. Nichts an seiner sarkastischen Sichtweise ist neu oder vogelwild. Nichts davon rechtfertigt den Standard-Einleitungssatz "... dann kann dies schon durchaus mal nach hinten los gehen.", der dem gesamten Ding eine Richtung gibt, die es nicht hat. Ganz abgesehen davon, dass die anderen 9 Punkte unerwähnt, unbesprochen bleiben und uns vermittelt wird, dass sich der greinende Gutmensch Bono via NYT sudernd geäußert hat.
Das ist nur ein zufälliges Micky-Maus-Beispiel (und: eigentlich muss man sogar froh sein, dass sich überhaupt jemand hierzulande für Dinge interessiert, die über die eigene Mistsuppe hinausgehen, so falsch sie dann auch transportiert werden):
Aber es sagt mir, dass die Medien (und zwar egal ob die Alten oder die Neuen oder die Hybride, die die Alten fälschlich als neu verkaufen) deswegen in der Krise stecken, weil sie ihre Grundaufgabe vernachlässigt haben: zu graben, zu forschen, zu schürfen, zu verknüpfen und zu transportieren. Stattdessen machen sie, zumal in Österreich, Politik, heben Details heraus und blasen die zu einer "Nachricht" auf, die in unser Vorurteilsmuster passt, die dem Status der entsprechenden Figur entspricht - nicht etwa der anders gelagerten Widersprüchlichkeit dahinter.
Hardcore-Populismus: Erwartungen bestätigen
Die NZZ-Reportage über den aktuellen Stand der Medienkrise.
Kein Link zum Schuh-Interview im Red Bulletin - dort hat man's nicht so mit neumodischen Medien.
Und, schau an: ein paar Tage nach meiner kleinen Schmähung wird es dann reingestellt ...
Diese und praktisch alle anderen Medien-Meldungen dienen dazu Erwartungshaltungen zu bestätigen, anstatt sie - was viel notwendiger und viel wichtiger wäre - zu brechen.
Es ist so, wie Springer-Vorstand Döpfner im Rahmen dieser langen, fast schon überausführlichen Geschichte über den Trend zum Newsroom im Journalismus in der NZZ zitiert wird: "Die Medienkrise ist im Wesentlichen eine Krise des Journalismus." Gut, in weiterer Folge kommen dann nur noch Worthülsen wie dass Recherche, das "Erspüren" von Neuigkeiten und "das Charisma des Inhalts" zählen würde - die grundsätzliche Erkenntnis, gegen die sich die gesamte heimische Medienszene noch wehrt wie der Teufel gegen das Weihwasser, ist in Deutschland allerdings bereits gelandet.
So wie die schönen kleinen Wahrheiten, die Franz Schuh nicht in der Presse, im Profil, im Falter oder im Standard sagen darf, sondern im Red Bulletin sagen muss.
Etwa: "Es ist problematisch, dass man alle Kommunikationsstrategien, die die Leute entdecken, immer beobachtet auf das, was dabei verlorengeht. Das ist so seit der Erfindung der Schrift, wo man gesagt hat, da geht das Gedächtnis verloren, weil die Leuter nur mehr am Zettel nachhschauen." Nicht ohne dass er die ständig kontrollierbare Spur der social Networks kritisch anspricht und die Qualität der gesprochenen Flüchtigkeit hervorhebt. Und dann trotzdem die neue Schriftkultur lobt, "die dadurch funktioniert, dass man um Aufmerkjsamkeit werben muss."
Warum Schuhs Einsichten den Armin Thurnhers dieses Landes nicht gegeben sind? Ich will nicht spekulieren.
Toter Pop, lebendiger Zizek
Brill: das Magazin der Süddeutschen Zeitung über das abgelaufene Zeitalter der Leitkultur Pop.
Grand: Sophie Fiennes und Slavoy Zizeks Film The Pervert's Guide to Cinema.
Und auf das SZ-Magazin 53 (vom Silvestertag) zurückgreifen, wo die Ära des Pop, vor allem der Popmusik, den Totenschein bekam und das Zeitalter dieser Leitkultur für beendet erklärt wurde. Da sind alle 14 im Heft geäußerten Thesen ganz formidabel und stimmig und gleichzeitig auch alle völlig themenverfehlt.
Sagt, indirekt zumindest, Slavoj Žižek in der dieser Tage endlich auch hierezulande zugänglichen Köstlichkeit The Pervert's Guide to Cinema. Er zitiert da Szenen aus The Great Dictator und weist auf Bekanntes, aber Verdrängtes hin: dass nämlich die Musik in der Weltkugel-Ballon-Szene und der Schlussrede dieselbe (aus Wagners Lohengrin) wäre und Chaplin hier (durchaus auch in der Bild und Geräusch-Ebene) deutlich deren Austauschbarkeit im Kontext thematisiert.
Das war davor so und ist seither so.
Die historischen Sekunden, in denen das einmal kurz anders war, sind reine Ausnahmen, nicht die Regel.
Die Annahme sowas biegsam-flüchtiges wie Musik wäre in ihrem prinzipiellen Format per se widerständig basiert auf dieser fatalen Fehlannahme. Und auch die Erwartung, dass Jugend/Popkultur die Welt retten müsse.
Daran ist dieser zufällige Moment in den 60ern schuld, den ich eh schon oft, am genauesten hier besprochen habe.
Insofern sind alle 14 SZ-Magazin-Punkte eine gewaltige Themenverfehlung, weil sie von Versprechen, Rebellion, Problemstellung, Aufbegehren, Zitat-Freiheit, Leitmedium-Charakter, Utopie-Anspruch und anderen Unerfällbarkeiten ausgeht.
Die Aufsatzsammlung ist trotzdem das Gscheiteste, was man jüngst zum Thema "Pop" lesen konnte. Und, ja, auch an diesem Thema werde ich 2010 nicht vorbeikönnen. Gut so.
Afrika ist das Zentrum der Welt
Der African Cup of Nations findet vom 10. - 31.1. in Angola statt.
Warum es keine Karte einer gerechteren Welt gibt
Morgen jedenfalls startet an dieser Stelle das "Fußball-Journal '10" - unverzichtbar, auch für die eigene Psycho-Hygiene, weil sich schon in den wenigen Tagen von 2010 soviel unter den Tisch Gekehrtes, soviel Verlogenes und soviel aus der Krise des Journalismus Entstandenes ergeben hat, dass es gar nicht anders geht als hier eine Landschaft voller Potemkinscher Dörfer als das zu dekonstruieren, was es ist: der tiefe Blick in die heimische Seele, der Schlüssel zum Verständnis des Österreichertums.
Ab Samstag/Sonntag wird dann das zweitwichtigste Fußball-Ereignis des Jahres behandelt, und zwar in der Ausführlich- und Deutlichkeit, die es verdient: der Afrika-Cup ist nicht nur, weil er nicht weit entfernt von Südafrika stattfindet, nicht nur weil er sportlich höchstwertig ist, sondern auch, weil wir mittlere Europäer gar nicht oft genug über den Kontinenten-Rand schauen können, die sportglobal gesehen wichtigste Angelegenheit im Januar.
Und, um gleich afrozentristisch anzugasen, und um allein wegen der hanebüchenen Reaktionen auf diese Geschichte von Mitte November noch einen draufzusetzen: in diesem Link (danke an Robin!!) sieht man schön welche Rolle Afrika in einer zumindest einmal formal korrekt gezeichneten Welt einnehmen würde.