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Andreas Gstettner-Brugger

Vertieft sich gern in elektronische Popmusik, Indiegeschrammel, gute Bücher und österreichische Musik.

6. 1. 2010 - 12:00

Der barocke Popbarde

Zwischen Stoiker, Sterbeforscher, Geistern und Werner Herzog. Ein erster, kurzer Vorgeschmack auf das neue Get Well Soon-Album "Vexations".

"Man soll den Künstler nicht mit dem Kunstwerk verwechseln."

Dieser Satz ist mir von meinem Interview mit Sänger Jannis Noya Makrigiannis des Dänischen Choir Of Young Believers noch immer gut in Erinnerung geblieben. Ein Satz, den viele Popjournalisten im Gedächtnis behalten sollten. Allzu leicht verfällt man den schönen, durchdachten Kunstfiguren und Konzepten oder ist selbst daran beteiligt, sie durch medialen Diskurs zu erschaffen. Wir alle scheinen uns nach diesen hochstilisierten, oft tragischen Personen und Geschichten zu sehnen. Sie erwecken unser Mitgefühl, lassen innere Spannung und Neugier entstehen. Und die Frage, wieviel Wahrheit hinter den Erzählungen steckt, die wir alle stetig reproduzieren, wird nicht selten vorweg mit Bemerkungen wie unwichtig oder sinnlos ausgehebelt.

Get Well Soon spielen am 23.Jänner 2010 live am FM4 Geburtstagsfest in der Arena Wien.

"Vexations" (Cityslang) erscheint am 08.Jänner 2010.

Im Fall von Konstantin Gropper und seinem neuen Get Well Soon-Album ist dieser Betrachtungsaspekt allerdings durchaus fruchtbar. Nicht nur, dass Konstantin Gropper gefallen an dem Künstler-Kunstwerk-Satz findet, fügt er wohlweislich hinzu:

"Ich würde sagen, dadurch, dass es das Kunstwerk jetzt gibt, ist es nicht mehr Teil von mir. Denn es hat durchaus auch etwas therapeutisches, wenn ich diese Dinge schreibe, oder veräußere. Dann sind sie ja raus aus mir. Das mute ich dann dem Hörer zu. (lacht)"

Jens Oellermann

Ärgernisse

Die Dinge, die Konstantin hier ganz lapidar erwähnt, sind die großen, weitreichenden Themen, die anhand von 14 Songs auf seinem neuen Werk "Vexations" abgehandelt werden. Die "Ärgernisse", um die es geht, sind tiefschürfende, philosophische Fragen, die das eigene Leben erschüttern und mit denen man sich - früher oder später - auseinandersetzen und in letzter Konsequenz in irgendeiner Form auch arrangieren muss.

Get Well Soon

Groppers Reise beginnt mit dem orchestralen und doch reduzierten Stück "Nausea", das ein schwummriges Gefühl der Seekrankheit aufkommen lässt. Zwischen Streichern und Glockenspiel sind Feldaufnahmen zu hören, die Konstantin im Wald hinter dem Haus seiner Eltern aufgenommen hat. Das elterliche Domizil war für die schreiberische Schaffensphase sein Rückzugsort, abgeschieden vom Rest der Welt. Dort entstand auch die Idee, sich diesmal eher indirekt mit den eigenen Unzulänglichkeiten und dunklen Seiten zu beschäftigen. Für "Vexasions" wird recherchiert und mit dem zweiten Stück "Seneca's Silence" schon ins Kernthema vorgestoßen, das auch als inhaltliche Klammer des Album dient, der Stoizismus.

Ein hölzernes Vibraphon, gefühlvolle Streicher, ein dezenter Bläsersatz und grooviger Schlagzeugrhythmus entführen uns in die Welt von Seneca, der selbst die von Kaiser Nero befohlene Selbsttötung stoisch vollzog und die man als Vermächtnis seiner Lehre interpretieren könnte. In abgeschwächter Form vielleicht auch ein Lebensansatz, der Gropper geholfen hat, mit dem Rummel und den unkontrollierbaren Charakterzuschreibungen umzugehen, die nach dem Debüt "Rest Now, Weary Head! ..." losbrachen?

"Der Rummel war nicht so schlimm, aber es war definitiv eine neue Erfahrung für mich, im Fokus zu stehen. Ich habe das auch nicht als Kontrollverlust empfunden, dass plötzlich über mich Dinge geschrieben wurden, die nicht stimmen. Es gibt so mein Get Well Soon und dann gibt es das, was andere daraus machen. Es war in gewisser Weise amüsant anzusehen, wie meine Person öffentlich dargestellt wurde. Und es ist eigentlich gut, dass sogar eine Art Kunstfigur daraus entstanden ist, zu der ich etwas Distanz haben kann."

Jens Oellermann

Auseinandersetzung statt Zorn

Neben Seneca und existentialistischen, philosophischen Fragen streifen noch andere, bewegende Geschichten und Figuren durch "Vexations". An dieser Stelle seien nur kurz Elisabeth Kübler-Ross, Werner Herzog und Rainer Maria Rilke erwähnt. Was die mit den neuen Get Well Soon-Songs zu tun haben, wird hier bald noch ausführlich behandelt werden. Nur soviel: Es ging Konstantin Gropper für dieses Album darum, sich über den Gebrauch von Zitaten und die Annäherung an Werke anderer Künstler mit grundlegenden Themen wie beispielsweise dem eigenen Tod auseinanderzusetzen.

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Hier gibt's das komplette Lineup (mit Get Well Soon, Blood Red Shoes, Die Sterne uvm.) und alle Infos zum FM4 Geburtstagsfest am 23. Jänner in der Wiener Arena.

"Auf der therapeutischen Ebene hat es mir sehr geholfen, mich mit all diesen Büchern und Menschen zu befassen. Ich habe bei diesem Album mit fremdem Material gearbeitet, wenn man so will. Das war mein Ansatz, um das ganze nicht zu persönlich zu machen. Davor - muss ich zugeben - habe ich ja immer etwas Angst. Vielmehr wollte ich viel zitieren und zusammentragen, also nicht im Sinn einer Gesprächstherapie von mir zu erzählen. Das fände ich auch etwas langweilig."

Die persönliche Ebene zeigt sich auf "Vexations" vor allem durch die thematische Auswahl und deren musikalische Umsetzung. Zwischen bombastischer Instrumentierung und zerbrechlicher Reduktion, zwischen großer Geste und kleiner Mimik klingen die neuen Get Well Soon-Stücke überwältigend und intim zugleich. Der Hauptunterschied zum Erstlingswerk ist sicher, das Konstantin Gropper seine allein ausgehirnten Songs von Musikern und Orchester live einspielen ließ, in einem großen Studio mit großartigem Sound. Der durchwegs organische Klang geht dabei durch Mark und Bein, was den oft melancholischen Liedern zu erweiterter Tiefe verhilft.

Bei aller Abstraktion vom Individuum wird Konstantin Gropper gerade in der ersten Singleauskoppelung "Angry Young Man" am greifbarsten, geht es in dem Song doch um Konstantins "Unvermögen", Zorn zu spüren und zuzulassen.

"Ich bin sehr selten ein zorniger Mensch und ich komme mit Aggressionen, Wut und Zorn auch ganz schwer klar. In dem Lied wollte ich mich damit beschäftigen, wie sprachlos ich diesem Thema oft gegenüberstehe. Ich rätsel oft, warum ich nie so zornig sein kann, dass ich auch mal die Kontrolle verliere. Vielleicht ist es etwas chemisches, oder meine Leber (lacht). Ich weiß es auch nicht, aber genau darum geht es ja in diesem Stück."

Bei all den traurigen und tiefschürfenden Geschichten, über die Get Well Soon auf seinem neuen Album nachdenkt, ist Konstantin Gropper selbst ein sympatischer, witziger, geistreicher und umgänglicher Mensch, soweit ich das nach einem langen und angenehm lustigen Gespräch beurteilen kann. Soviel zum Thema Künstler und Kunstwerk. Mehr zu den spannenden Geschichten von "Vexations" gibt es in Kürze zu lesen.